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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Römische Kaiserinnen

für notwendig, ohne die Gefahren zu beachten, die die leichte Lösung der ehe¬
lichen Bande mit sich brachte: Frivolität, Verschwendungssucht und Untreue,
Laster, die man durch "die Einflüsse der Erziehung, des religiösen Empfindens,
der öffentlichen Meinung" zu bekämpfen versuchte, die aber wegen des größeren
Einflusses der Frau auf den Mann und ihres geringeren Verantwortlichkeits¬
gefühles zu unterdrücken nicht gelang.

Von diesen Gesichtspunkten aus die Geschichte der Frauen der Cäsaren zu
betrachten, unternimmt Guglielmo Ferrero, der bekannte Verfasser von "Größe
und Niedergang Roms", in seinem neuesten Werke*) und entrollt mit gewohnter
Meisterschaft Bilder wirklichen Lebens, echten Menschentunis und tiefster Tragik.

Hatte schon Cäsar seine Ehebündnisse aus politischen Gründen schließen
müssen -- dabei "widmete er", nach einem Worte Mommsens, "seinen Frauen
eine ehrliche Zuneigung, die selbst auf die politischen Verhältnisse nicht ohne
Rückwirkung blieb" --, so führten den jungen Octavian, den "Abkömmling
eines frischgeadelten reichen Bourgeois", zu jener beschleunigten Eheschließung
mit Livia, in der "sich die Quintessenz des römischen Hochadels vereinigte",
ähnliche Ursachen, wie sie Napoleon den Ersten Marie Luise von Österreich
heiraten ließen. Die für moderne Anschauung unfaßbare Tatsache, daß der
eigene Gatte Livias, Tiberius Claudius Nero, sie Octavian vermählte, läßt
sich, wie Ferrero trefflich ausführt, ebenfalls nur aus politischer Berechnung
erklären; offenbar hoffte der Claudier, "durch diese Heirat den jüngsten der
drei Führer der neuen Regierung zur altaristokratischen Partei herüberzuziehen".
Ausgezeichnet schildert Ferrero dann Livias Wirken und Erfolge: was sie durch
diese Heirat übernahm, hat sie "mit ruhiger Beharrlichkeit, Mäßigung und
wunderbarem Taktgefühl" durchgeführt, und wirklich bedeutete Livia im ersten
Jahrzehnt des Prinzipals "für die Römer die Verkörperung des Ideals einer
vornehmen Matrone", bis dann bald nach der Vermählung der Kaisertochter
mit Agrippa ihr "Stern vor der blendenden Erscheinung" Julias zu erblassen
begann und durch das Auftreten und Benehmen der Stieftochter eine Rivalität
zwischen beiden Frauen sich herausbildete, die sich auch nach Julias zweiter
Witwenschaft und ihrer Wiederverheiratung mit Livias Sohn Tiberius fort¬
setzte und zu mehrfachen Intrigen gegen die Kaiserin und Tiberius führte. Wie
sich in der Hetze gegen Tiberius zugleich die Rache der vornehmen Welt "an
der kaiserlichen Familie für die Vorrechte, die die überragende Stellung ihres
Oberhauptes ihr verschaffte" offenbarte, wie sie sich ebenso in dem Verhalten
zur gestürzten und verbannten Julia kundtat, wie weiter die Schwierigkeiten,
die Tiberius während seiner Regierung zu überwinden hatte, sich zum großen
Teil aus diesen psychologischen Ursachen ergeben, das alles führt Ferrero uns
vor Augen und nimmt dabei Anlaß zu einer gründlichen Prüfung des Cha-



"Die Frauen der Cäsaren." Berechtigte Übersetzung von Ernst Kapff, Stuttgart,
Julius Hoffmann, 1912. 8° 212 S. mit 2K Abbildungen nach antiken Bildnissen.
Römische Kaiserinnen

für notwendig, ohne die Gefahren zu beachten, die die leichte Lösung der ehe¬
lichen Bande mit sich brachte: Frivolität, Verschwendungssucht und Untreue,
Laster, die man durch „die Einflüsse der Erziehung, des religiösen Empfindens,
der öffentlichen Meinung" zu bekämpfen versuchte, die aber wegen des größeren
Einflusses der Frau auf den Mann und ihres geringeren Verantwortlichkeits¬
gefühles zu unterdrücken nicht gelang.

Von diesen Gesichtspunkten aus die Geschichte der Frauen der Cäsaren zu
betrachten, unternimmt Guglielmo Ferrero, der bekannte Verfasser von „Größe
und Niedergang Roms", in seinem neuesten Werke*) und entrollt mit gewohnter
Meisterschaft Bilder wirklichen Lebens, echten Menschentunis und tiefster Tragik.

Hatte schon Cäsar seine Ehebündnisse aus politischen Gründen schließen
müssen — dabei „widmete er", nach einem Worte Mommsens, „seinen Frauen
eine ehrliche Zuneigung, die selbst auf die politischen Verhältnisse nicht ohne
Rückwirkung blieb" —, so führten den jungen Octavian, den „Abkömmling
eines frischgeadelten reichen Bourgeois", zu jener beschleunigten Eheschließung
mit Livia, in der „sich die Quintessenz des römischen Hochadels vereinigte",
ähnliche Ursachen, wie sie Napoleon den Ersten Marie Luise von Österreich
heiraten ließen. Die für moderne Anschauung unfaßbare Tatsache, daß der
eigene Gatte Livias, Tiberius Claudius Nero, sie Octavian vermählte, läßt
sich, wie Ferrero trefflich ausführt, ebenfalls nur aus politischer Berechnung
erklären; offenbar hoffte der Claudier, „durch diese Heirat den jüngsten der
drei Führer der neuen Regierung zur altaristokratischen Partei herüberzuziehen".
Ausgezeichnet schildert Ferrero dann Livias Wirken und Erfolge: was sie durch
diese Heirat übernahm, hat sie „mit ruhiger Beharrlichkeit, Mäßigung und
wunderbarem Taktgefühl" durchgeführt, und wirklich bedeutete Livia im ersten
Jahrzehnt des Prinzipals „für die Römer die Verkörperung des Ideals einer
vornehmen Matrone", bis dann bald nach der Vermählung der Kaisertochter
mit Agrippa ihr „Stern vor der blendenden Erscheinung" Julias zu erblassen
begann und durch das Auftreten und Benehmen der Stieftochter eine Rivalität
zwischen beiden Frauen sich herausbildete, die sich auch nach Julias zweiter
Witwenschaft und ihrer Wiederverheiratung mit Livias Sohn Tiberius fort¬
setzte und zu mehrfachen Intrigen gegen die Kaiserin und Tiberius führte. Wie
sich in der Hetze gegen Tiberius zugleich die Rache der vornehmen Welt „an
der kaiserlichen Familie für die Vorrechte, die die überragende Stellung ihres
Oberhauptes ihr verschaffte" offenbarte, wie sie sich ebenso in dem Verhalten
zur gestürzten und verbannten Julia kundtat, wie weiter die Schwierigkeiten,
die Tiberius während seiner Regierung zu überwinden hatte, sich zum großen
Teil aus diesen psychologischen Ursachen ergeben, das alles führt Ferrero uns
vor Augen und nimmt dabei Anlaß zu einer gründlichen Prüfung des Cha-



„Die Frauen der Cäsaren." Berechtigte Übersetzung von Ernst Kapff, Stuttgart,
Julius Hoffmann, 1912. 8° 212 S. mit 2K Abbildungen nach antiken Bildnissen.
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[0590] Römische Kaiserinnen für notwendig, ohne die Gefahren zu beachten, die die leichte Lösung der ehe¬ lichen Bande mit sich brachte: Frivolität, Verschwendungssucht und Untreue, Laster, die man durch „die Einflüsse der Erziehung, des religiösen Empfindens, der öffentlichen Meinung" zu bekämpfen versuchte, die aber wegen des größeren Einflusses der Frau auf den Mann und ihres geringeren Verantwortlichkeits¬ gefühles zu unterdrücken nicht gelang. Von diesen Gesichtspunkten aus die Geschichte der Frauen der Cäsaren zu betrachten, unternimmt Guglielmo Ferrero, der bekannte Verfasser von „Größe und Niedergang Roms", in seinem neuesten Werke*) und entrollt mit gewohnter Meisterschaft Bilder wirklichen Lebens, echten Menschentunis und tiefster Tragik. Hatte schon Cäsar seine Ehebündnisse aus politischen Gründen schließen müssen — dabei „widmete er", nach einem Worte Mommsens, „seinen Frauen eine ehrliche Zuneigung, die selbst auf die politischen Verhältnisse nicht ohne Rückwirkung blieb" —, so führten den jungen Octavian, den „Abkömmling eines frischgeadelten reichen Bourgeois", zu jener beschleunigten Eheschließung mit Livia, in der „sich die Quintessenz des römischen Hochadels vereinigte", ähnliche Ursachen, wie sie Napoleon den Ersten Marie Luise von Österreich heiraten ließen. Die für moderne Anschauung unfaßbare Tatsache, daß der eigene Gatte Livias, Tiberius Claudius Nero, sie Octavian vermählte, läßt sich, wie Ferrero trefflich ausführt, ebenfalls nur aus politischer Berechnung erklären; offenbar hoffte der Claudier, „durch diese Heirat den jüngsten der drei Führer der neuen Regierung zur altaristokratischen Partei herüberzuziehen". Ausgezeichnet schildert Ferrero dann Livias Wirken und Erfolge: was sie durch diese Heirat übernahm, hat sie „mit ruhiger Beharrlichkeit, Mäßigung und wunderbarem Taktgefühl" durchgeführt, und wirklich bedeutete Livia im ersten Jahrzehnt des Prinzipals „für die Römer die Verkörperung des Ideals einer vornehmen Matrone", bis dann bald nach der Vermählung der Kaisertochter mit Agrippa ihr „Stern vor der blendenden Erscheinung" Julias zu erblassen begann und durch das Auftreten und Benehmen der Stieftochter eine Rivalität zwischen beiden Frauen sich herausbildete, die sich auch nach Julias zweiter Witwenschaft und ihrer Wiederverheiratung mit Livias Sohn Tiberius fort¬ setzte und zu mehrfachen Intrigen gegen die Kaiserin und Tiberius führte. Wie sich in der Hetze gegen Tiberius zugleich die Rache der vornehmen Welt „an der kaiserlichen Familie für die Vorrechte, die die überragende Stellung ihres Oberhauptes ihr verschaffte" offenbarte, wie sie sich ebenso in dem Verhalten zur gestürzten und verbannten Julia kundtat, wie weiter die Schwierigkeiten, die Tiberius während seiner Regierung zu überwinden hatte, sich zum großen Teil aus diesen psychologischen Ursachen ergeben, das alles führt Ferrero uns vor Augen und nimmt dabei Anlaß zu einer gründlichen Prüfung des Cha- „Die Frauen der Cäsaren." Berechtigte Übersetzung von Ernst Kapff, Stuttgart, Julius Hoffmann, 1912. 8° 212 S. mit 2K Abbildungen nach antiken Bildnissen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/590>, abgerufen am 22.12.2024.