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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Römische Kaiserinnen

-- er tut das auch hier. Wenn manches seiner Ergebnisse im einzelnen an¬
fechtbar ist, wenn mancher Schluß, den er zieht, nicht zwingend erscheint, so
müssen wir immer wieder die psychologische Meisterschaft bewundern, mit der
Ferrero Menschen und Tatsachen zu durchforschen und zu deuten weiß, und gern
schauen wir ihm zu, wenn er die "ungeheure geschichtliche Tragödie" des
julisch-claudischen Hauses aus der "einseitigen und grellen Beleuchtung", "die
ihr durch Tacitus zuteil geworden ist", in ein milderes und gleichmäßigeres
Licht rückt. War schon früher die Glaubwürdigkeit des Tacitus, dem noch
Leopold von Ranke in seiner "Weltgeschichte" das höchste Lob spendet und
dessen Autorität Gustav FrerMg in seiner "Verlorenen Handschrift" so wirksam
zu verwenden versteht, wenigstens inbezug auf die Charaktere und Motive der
hervorragendsten Personen jener Zeit ins Wanken gekommen, so hat Ferrero sie
noch weiter erschüttert, ja teilweise ganz zunichte gemacht; dies gilt namentlich
für Tiberius und Lima, deren Rettung übrigens bereits Hugo Willrich in
seinem Buche "Lima" mit Erfolg unternommen hat.

Aber noch etwas anderes ist es, auf das von neuem mit Nachdruck
hingewiesen zu haben Ferreros großes Verdienst ist: ich meine das gewaltige
Problem, wie die uralte Antinomie zwischen dem natürlichen Freiheitsdrange
und der "unbedingt notwendigen strengen Zucht" zu lösen sei.

Noch ein Wort über das Äußere des Werkes: Ausstattung und Druck
sind gut; bei den Bildern fiel mir auf, daß neben Ociavia, Livia, Antonia,
Agrippina u. a. auch Abbildungen von Cicero und Pompejus beigegeben sind.
Einer raschen, klaren Übersicht über die Verwandtschaftsverhältnisse hätte eine
Ahnentafel gute Dienste geleistet.

Die Übersetzung ist trotz einiger Ausdrucksfehler und Unebenheiten im
ganzen gelungen.

Allen Gebildeten, die Interesse für die Antike und für moderne Behandlung
der Probleme, die jene enthält, hegen, ist auch dies Buch Ferreros warm zu
empfehlen.




Römische Kaiserinnen

— er tut das auch hier. Wenn manches seiner Ergebnisse im einzelnen an¬
fechtbar ist, wenn mancher Schluß, den er zieht, nicht zwingend erscheint, so
müssen wir immer wieder die psychologische Meisterschaft bewundern, mit der
Ferrero Menschen und Tatsachen zu durchforschen und zu deuten weiß, und gern
schauen wir ihm zu, wenn er die „ungeheure geschichtliche Tragödie" des
julisch-claudischen Hauses aus der „einseitigen und grellen Beleuchtung", „die
ihr durch Tacitus zuteil geworden ist", in ein milderes und gleichmäßigeres
Licht rückt. War schon früher die Glaubwürdigkeit des Tacitus, dem noch
Leopold von Ranke in seiner „Weltgeschichte" das höchste Lob spendet und
dessen Autorität Gustav FrerMg in seiner „Verlorenen Handschrift" so wirksam
zu verwenden versteht, wenigstens inbezug auf die Charaktere und Motive der
hervorragendsten Personen jener Zeit ins Wanken gekommen, so hat Ferrero sie
noch weiter erschüttert, ja teilweise ganz zunichte gemacht; dies gilt namentlich
für Tiberius und Lima, deren Rettung übrigens bereits Hugo Willrich in
seinem Buche „Lima" mit Erfolg unternommen hat.

Aber noch etwas anderes ist es, auf das von neuem mit Nachdruck
hingewiesen zu haben Ferreros großes Verdienst ist: ich meine das gewaltige
Problem, wie die uralte Antinomie zwischen dem natürlichen Freiheitsdrange
und der „unbedingt notwendigen strengen Zucht" zu lösen sei.

Noch ein Wort über das Äußere des Werkes: Ausstattung und Druck
sind gut; bei den Bildern fiel mir auf, daß neben Ociavia, Livia, Antonia,
Agrippina u. a. auch Abbildungen von Cicero und Pompejus beigegeben sind.
Einer raschen, klaren Übersicht über die Verwandtschaftsverhältnisse hätte eine
Ahnentafel gute Dienste geleistet.

Die Übersetzung ist trotz einiger Ausdrucksfehler und Unebenheiten im
ganzen gelungen.

Allen Gebildeten, die Interesse für die Antike und für moderne Behandlung
der Probleme, die jene enthält, hegen, ist auch dies Buch Ferreros warm zu
empfehlen.




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[0592] Römische Kaiserinnen — er tut das auch hier. Wenn manches seiner Ergebnisse im einzelnen an¬ fechtbar ist, wenn mancher Schluß, den er zieht, nicht zwingend erscheint, so müssen wir immer wieder die psychologische Meisterschaft bewundern, mit der Ferrero Menschen und Tatsachen zu durchforschen und zu deuten weiß, und gern schauen wir ihm zu, wenn er die „ungeheure geschichtliche Tragödie" des julisch-claudischen Hauses aus der „einseitigen und grellen Beleuchtung", „die ihr durch Tacitus zuteil geworden ist", in ein milderes und gleichmäßigeres Licht rückt. War schon früher die Glaubwürdigkeit des Tacitus, dem noch Leopold von Ranke in seiner „Weltgeschichte" das höchste Lob spendet und dessen Autorität Gustav FrerMg in seiner „Verlorenen Handschrift" so wirksam zu verwenden versteht, wenigstens inbezug auf die Charaktere und Motive der hervorragendsten Personen jener Zeit ins Wanken gekommen, so hat Ferrero sie noch weiter erschüttert, ja teilweise ganz zunichte gemacht; dies gilt namentlich für Tiberius und Lima, deren Rettung übrigens bereits Hugo Willrich in seinem Buche „Lima" mit Erfolg unternommen hat. Aber noch etwas anderes ist es, auf das von neuem mit Nachdruck hingewiesen zu haben Ferreros großes Verdienst ist: ich meine das gewaltige Problem, wie die uralte Antinomie zwischen dem natürlichen Freiheitsdrange und der „unbedingt notwendigen strengen Zucht" zu lösen sei. Noch ein Wort über das Äußere des Werkes: Ausstattung und Druck sind gut; bei den Bildern fiel mir auf, daß neben Ociavia, Livia, Antonia, Agrippina u. a. auch Abbildungen von Cicero und Pompejus beigegeben sind. Einer raschen, klaren Übersicht über die Verwandtschaftsverhältnisse hätte eine Ahnentafel gute Dienste geleistet. Die Übersetzung ist trotz einiger Ausdrucksfehler und Unebenheiten im ganzen gelungen. Allen Gebildeten, die Interesse für die Antike und für moderne Behandlung der Probleme, die jene enthält, hegen, ist auch dies Buch Ferreros warm zu empfehlen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/592>, abgerufen am 30.12.2024.