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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

Der dachte schweigend: "Es ist das chemische Blut, was in ihm revoltiert!"

"Vielleicht, daß wir den Mann bei den Pflanzungen brauchen können. Um
die Frau werden sich schon meine Mädchen kümmern," sagte er schließlich
und mußte unwillkürlich lächeln, als er bemerkte, wie seine Worte die steife,
geschlossene Haltung des Försters lösten und seinen Zügen den gutmütigen Aus¬
druck zurückgaben, der ihnen eigentümlich war.

"Also abgemacht, Sandberg. Wir wären wieder mal einig. Oder --
haben Sie noch was auf dem Herzen?"

Eine jähe Röte färbte das wetterbraune Gesicht des Mannes. Er räusperte
sich: "Ich wollte nur bitten, wegen Evi -- wegen des gnädigen Fräuleins!"

"Was ist mit dem Mädel?"

"Sie sollte jetzt nicht mehr so allein in den Wald gehen! Ich meine bloß
wegen des vielen Volkes. Und dann das mit dem Eichhörnchen..."

"Eichhörnchen?"

"Die alte Tio hat es mitgebracht. Sie fand es tot im Forst!"

"Evis Eichhörnchen? Weiß sie noch nichts davon? Da wird es Tränen¬
bäche geben! Aber wie war denn das möglich?"

Sandberg zuckte die Achseln.

"Fragen wir doch die alte Tio!"

Wenkendorff ging entschlossen zur Tür.

Aus der Küche im Souterrain schallte den beiden eine laute, krächzende
Stimme entgegen. In der halbdunklen Ecke des Herdes, beschienen von dem
rötlichen Feuerschein, der aus dem Ofenloch fiel, hockte so was wie ein Tücher¬
bündel. Als die Gestalt des Gutsherrn in der Tür erschien, kroch es aus
seinem Winkel hervor und humpelte heran, sich als eine richtige Waldhexe ent¬
puppend. Ein rissiges Gesicht von der Farbe verwitterten Leders ließ sich sehen,
und aus einem zahnlosen Munde stürzte ein Schwall von Segenswünschen.
Dabei umfaßten die dürren Arme die Kniee des Eintretenden, der sich mit ein
paar gutmütig derben Worten der überschwenglichen Begrüßung erwehrte.

"Böse Zeiten, böse Menschen!" jammerte die Alte und langte aus den
Falten ihres UmHangs ein weißes Etwas hervor.

"Totgeschossen hat man es, das Glück von Sternburg! Wird sich rächen,
wird sich rächen! Schwarze Tage werden kommen! Brand und Mord wird
geschehen..."

Im Hintergrunde standen die Mägde und hörten mit angstvoll auf¬
gerissenen Augen zu, wie die Alte ihre wirren Reden jetzt auch dem Herrn in
die Ohren schrie.

Zu der frühen Stunde dieses nebligen Herbstmorgens war es noch dunkel
in dem weiten, niedrigen Raum -- eine Stimmung, die der gruseligen Situation
ein eindrucksvolles Relief gab.

Herr von Wenkendoiff lachte dröhnend auf:


Sturm

Der dachte schweigend: „Es ist das chemische Blut, was in ihm revoltiert!"

„Vielleicht, daß wir den Mann bei den Pflanzungen brauchen können. Um
die Frau werden sich schon meine Mädchen kümmern," sagte er schließlich
und mußte unwillkürlich lächeln, als er bemerkte, wie seine Worte die steife,
geschlossene Haltung des Försters lösten und seinen Zügen den gutmütigen Aus¬
druck zurückgaben, der ihnen eigentümlich war.

„Also abgemacht, Sandberg. Wir wären wieder mal einig. Oder —
haben Sie noch was auf dem Herzen?"

Eine jähe Röte färbte das wetterbraune Gesicht des Mannes. Er räusperte
sich: „Ich wollte nur bitten, wegen Evi — wegen des gnädigen Fräuleins!"

„Was ist mit dem Mädel?"

„Sie sollte jetzt nicht mehr so allein in den Wald gehen! Ich meine bloß
wegen des vielen Volkes. Und dann das mit dem Eichhörnchen..."

„Eichhörnchen?"

„Die alte Tio hat es mitgebracht. Sie fand es tot im Forst!"

„Evis Eichhörnchen? Weiß sie noch nichts davon? Da wird es Tränen¬
bäche geben! Aber wie war denn das möglich?"

Sandberg zuckte die Achseln.

„Fragen wir doch die alte Tio!"

Wenkendorff ging entschlossen zur Tür.

Aus der Küche im Souterrain schallte den beiden eine laute, krächzende
Stimme entgegen. In der halbdunklen Ecke des Herdes, beschienen von dem
rötlichen Feuerschein, der aus dem Ofenloch fiel, hockte so was wie ein Tücher¬
bündel. Als die Gestalt des Gutsherrn in der Tür erschien, kroch es aus
seinem Winkel hervor und humpelte heran, sich als eine richtige Waldhexe ent¬
puppend. Ein rissiges Gesicht von der Farbe verwitterten Leders ließ sich sehen,
und aus einem zahnlosen Munde stürzte ein Schwall von Segenswünschen.
Dabei umfaßten die dürren Arme die Kniee des Eintretenden, der sich mit ein
paar gutmütig derben Worten der überschwenglichen Begrüßung erwehrte.

„Böse Zeiten, böse Menschen!" jammerte die Alte und langte aus den
Falten ihres UmHangs ein weißes Etwas hervor.

„Totgeschossen hat man es, das Glück von Sternburg! Wird sich rächen,
wird sich rächen! Schwarze Tage werden kommen! Brand und Mord wird
geschehen..."

Im Hintergrunde standen die Mägde und hörten mit angstvoll auf¬
gerissenen Augen zu, wie die Alte ihre wirren Reden jetzt auch dem Herrn in
die Ohren schrie.

Zu der frühen Stunde dieses nebligen Herbstmorgens war es noch dunkel
in dem weiten, niedrigen Raum — eine Stimmung, die der gruseligen Situation
ein eindrucksvolles Relief gab.

Herr von Wenkendoiff lachte dröhnend auf:


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[0582] Sturm Der dachte schweigend: „Es ist das chemische Blut, was in ihm revoltiert!" „Vielleicht, daß wir den Mann bei den Pflanzungen brauchen können. Um die Frau werden sich schon meine Mädchen kümmern," sagte er schließlich und mußte unwillkürlich lächeln, als er bemerkte, wie seine Worte die steife, geschlossene Haltung des Försters lösten und seinen Zügen den gutmütigen Aus¬ druck zurückgaben, der ihnen eigentümlich war. „Also abgemacht, Sandberg. Wir wären wieder mal einig. Oder — haben Sie noch was auf dem Herzen?" Eine jähe Röte färbte das wetterbraune Gesicht des Mannes. Er räusperte sich: „Ich wollte nur bitten, wegen Evi — wegen des gnädigen Fräuleins!" „Was ist mit dem Mädel?" „Sie sollte jetzt nicht mehr so allein in den Wald gehen! Ich meine bloß wegen des vielen Volkes. Und dann das mit dem Eichhörnchen..." „Eichhörnchen?" „Die alte Tio hat es mitgebracht. Sie fand es tot im Forst!" „Evis Eichhörnchen? Weiß sie noch nichts davon? Da wird es Tränen¬ bäche geben! Aber wie war denn das möglich?" Sandberg zuckte die Achseln. „Fragen wir doch die alte Tio!" Wenkendorff ging entschlossen zur Tür. Aus der Küche im Souterrain schallte den beiden eine laute, krächzende Stimme entgegen. In der halbdunklen Ecke des Herdes, beschienen von dem rötlichen Feuerschein, der aus dem Ofenloch fiel, hockte so was wie ein Tücher¬ bündel. Als die Gestalt des Gutsherrn in der Tür erschien, kroch es aus seinem Winkel hervor und humpelte heran, sich als eine richtige Waldhexe ent¬ puppend. Ein rissiges Gesicht von der Farbe verwitterten Leders ließ sich sehen, und aus einem zahnlosen Munde stürzte ein Schwall von Segenswünschen. Dabei umfaßten die dürren Arme die Kniee des Eintretenden, der sich mit ein paar gutmütig derben Worten der überschwenglichen Begrüßung erwehrte. „Böse Zeiten, böse Menschen!" jammerte die Alte und langte aus den Falten ihres UmHangs ein weißes Etwas hervor. „Totgeschossen hat man es, das Glück von Sternburg! Wird sich rächen, wird sich rächen! Schwarze Tage werden kommen! Brand und Mord wird geschehen..." Im Hintergrunde standen die Mägde und hörten mit angstvoll auf¬ gerissenen Augen zu, wie die Alte ihre wirren Reden jetzt auch dem Herrn in die Ohren schrie. Zu der frühen Stunde dieses nebligen Herbstmorgens war es noch dunkel in dem weiten, niedrigen Raum — eine Stimmung, die der gruseligen Situation ein eindrucksvolles Relief gab. Herr von Wenkendoiff lachte dröhnend auf:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/582>, abgerufen am 22.12.2024.