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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Mehrsteuer" und die wirtschaftliche Lage

dem Land Kapital zu unproduktiven Zwecke entzogen und investiert werde,
daß die "Kaufkraft" des Publikums um den Betrag dieser Steuer, also um
eine Milliarde geschwächt werde und daß also eine verderbliche Rückwirkung
dieser "Kapitalentziehung" und Schwächung der Kaufkraft unausbleiblich sei.
Ein Professor der Staatswissenschaften hat sogar in apodiktischer Form das
Axiom aufgestellt, daß jede produktive Ausgabe dahin tendiere, den Zinsfuß
zu erniedrigen, den Konsolskurs zu steigern; daß aber jede unproduktive (also
vornehmlich solche zu Militärzwecken) dahin tendiere, den Zinsfuß zu steigern
und den Kurs zu erniedrigen. Von dieser Auffassung aus wird der Steuer¬
vorlage eine gleich verderbliche Wirkung auf den Geldmarkt und den Konsolskurs
vorausgesagt.

. Bei alledem handelt es sich um handgreifliche Trugschlüsse. Zunächst ist
jenes Axiom des national-ökonomischen Professors grundfalsch und findet in den
Tatsachen absolut keine Stütze. Nur eine Wechselwirkung zwischen Zinsfuß und
Anleihekurs ist tatsächlich vorhanden, derart, daß bei teueren Geldstand die
Anleihekurse sinken und umgekehrt. Wo aber bleibt der Beweis dafür, daß
produktive Anlagen den Zinsfuß erniedrigen? Jede Hochkonjunktur widerlegt
diesen apodiktischen Satz auf das schlagendste. Denn jede Hochkonjunktur sührt,
wie oben gesagt, schließlich zu einer Geldteuerung, weil die produktiven An¬
lagen, die Erweiterungsbauten und Neugründungen der Industrie, den vor¬
handenen Kapitalvorrat übersteigen und weil die dringende Nachfrage nach
Kapital den Wert desselben und damit den Zinsfuß erhöht. Für den letzteren
ist eben allein das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage entscheidend,
nicht der Verwendungszweck des Kapitals.

Nicht minder schief ist die Ausfassung, als werde durch die Steuer Kapital
investiert oder die Kaufkraft geschwächt. Um den letzten Einwand vorwegzu¬
nehmen, so ist doch offenbar, daß der angeblich verminderten Kaufkraft der
Steuerzahler die vermehrte Kaufkraft des Reichs gegenübersteht. Die Milliarde,
welche das Reich den Steuerzahlern entzieht, dient unmittelbar dem Zwecke,
als Kaufsumme für die verschiedenartigsten Zwecke, von der Anschaffung von
Armeematerial bis zur Beschaffung von Arbeitskraft in Form von Gehältern,
auf dem Markte zu erscheinen. Es handelt sich also für die Volkswirtschaft nicht
um eine Schwächung, sondern um eine Potenzierung der Kaufkraft dieser Summe.
Und ebenso unrichtig ist die Auffassung, als werde dieses Kapital dem Verkehr
oder der produktiven Anlage entzogen, um unproduktiv investiert zu werden.
Man muß, um diese Frage richtig zu beurteilen, den Blick auf die Gesamtheit
der Erscheinungen heften. Da steht es denn volkswirtschaftlich so. daß diese
Steuer, mag sie sich auch eine Vermögenssteuer nennen und nach dem Vermögen
erhoben werden, praktisch doch von dem Volkseinkommen gezahlt wird.
schätzungsweise beträgt unser jährlicher Kapitalszuwachs etwa vier Milliarden
Mark. Das ist die Summe, welche zur produktiven Anlage und Thesaurierung
jährlich verfügbar ist. Die Wirkung der Milliardensteuer wird also praktisch


Die Mehrsteuer» und die wirtschaftliche Lage

dem Land Kapital zu unproduktiven Zwecke entzogen und investiert werde,
daß die „Kaufkraft" des Publikums um den Betrag dieser Steuer, also um
eine Milliarde geschwächt werde und daß also eine verderbliche Rückwirkung
dieser „Kapitalentziehung" und Schwächung der Kaufkraft unausbleiblich sei.
Ein Professor der Staatswissenschaften hat sogar in apodiktischer Form das
Axiom aufgestellt, daß jede produktive Ausgabe dahin tendiere, den Zinsfuß
zu erniedrigen, den Konsolskurs zu steigern; daß aber jede unproduktive (also
vornehmlich solche zu Militärzwecken) dahin tendiere, den Zinsfuß zu steigern
und den Kurs zu erniedrigen. Von dieser Auffassung aus wird der Steuer¬
vorlage eine gleich verderbliche Wirkung auf den Geldmarkt und den Konsolskurs
vorausgesagt.

. Bei alledem handelt es sich um handgreifliche Trugschlüsse. Zunächst ist
jenes Axiom des national-ökonomischen Professors grundfalsch und findet in den
Tatsachen absolut keine Stütze. Nur eine Wechselwirkung zwischen Zinsfuß und
Anleihekurs ist tatsächlich vorhanden, derart, daß bei teueren Geldstand die
Anleihekurse sinken und umgekehrt. Wo aber bleibt der Beweis dafür, daß
produktive Anlagen den Zinsfuß erniedrigen? Jede Hochkonjunktur widerlegt
diesen apodiktischen Satz auf das schlagendste. Denn jede Hochkonjunktur sührt,
wie oben gesagt, schließlich zu einer Geldteuerung, weil die produktiven An¬
lagen, die Erweiterungsbauten und Neugründungen der Industrie, den vor¬
handenen Kapitalvorrat übersteigen und weil die dringende Nachfrage nach
Kapital den Wert desselben und damit den Zinsfuß erhöht. Für den letzteren
ist eben allein das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage entscheidend,
nicht der Verwendungszweck des Kapitals.

Nicht minder schief ist die Ausfassung, als werde durch die Steuer Kapital
investiert oder die Kaufkraft geschwächt. Um den letzten Einwand vorwegzu¬
nehmen, so ist doch offenbar, daß der angeblich verminderten Kaufkraft der
Steuerzahler die vermehrte Kaufkraft des Reichs gegenübersteht. Die Milliarde,
welche das Reich den Steuerzahlern entzieht, dient unmittelbar dem Zwecke,
als Kaufsumme für die verschiedenartigsten Zwecke, von der Anschaffung von
Armeematerial bis zur Beschaffung von Arbeitskraft in Form von Gehältern,
auf dem Markte zu erscheinen. Es handelt sich also für die Volkswirtschaft nicht
um eine Schwächung, sondern um eine Potenzierung der Kaufkraft dieser Summe.
Und ebenso unrichtig ist die Auffassung, als werde dieses Kapital dem Verkehr
oder der produktiven Anlage entzogen, um unproduktiv investiert zu werden.
Man muß, um diese Frage richtig zu beurteilen, den Blick auf die Gesamtheit
der Erscheinungen heften. Da steht es denn volkswirtschaftlich so. daß diese
Steuer, mag sie sich auch eine Vermögenssteuer nennen und nach dem Vermögen
erhoben werden, praktisch doch von dem Volkseinkommen gezahlt wird.
schätzungsweise beträgt unser jährlicher Kapitalszuwachs etwa vier Milliarden
Mark. Das ist die Summe, welche zur produktiven Anlage und Thesaurierung
jährlich verfügbar ist. Die Wirkung der Milliardensteuer wird also praktisch


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[0056] Die Mehrsteuer» und die wirtschaftliche Lage dem Land Kapital zu unproduktiven Zwecke entzogen und investiert werde, daß die „Kaufkraft" des Publikums um den Betrag dieser Steuer, also um eine Milliarde geschwächt werde und daß also eine verderbliche Rückwirkung dieser „Kapitalentziehung" und Schwächung der Kaufkraft unausbleiblich sei. Ein Professor der Staatswissenschaften hat sogar in apodiktischer Form das Axiom aufgestellt, daß jede produktive Ausgabe dahin tendiere, den Zinsfuß zu erniedrigen, den Konsolskurs zu steigern; daß aber jede unproduktive (also vornehmlich solche zu Militärzwecken) dahin tendiere, den Zinsfuß zu steigern und den Kurs zu erniedrigen. Von dieser Auffassung aus wird der Steuer¬ vorlage eine gleich verderbliche Wirkung auf den Geldmarkt und den Konsolskurs vorausgesagt. . Bei alledem handelt es sich um handgreifliche Trugschlüsse. Zunächst ist jenes Axiom des national-ökonomischen Professors grundfalsch und findet in den Tatsachen absolut keine Stütze. Nur eine Wechselwirkung zwischen Zinsfuß und Anleihekurs ist tatsächlich vorhanden, derart, daß bei teueren Geldstand die Anleihekurse sinken und umgekehrt. Wo aber bleibt der Beweis dafür, daß produktive Anlagen den Zinsfuß erniedrigen? Jede Hochkonjunktur widerlegt diesen apodiktischen Satz auf das schlagendste. Denn jede Hochkonjunktur sührt, wie oben gesagt, schließlich zu einer Geldteuerung, weil die produktiven An¬ lagen, die Erweiterungsbauten und Neugründungen der Industrie, den vor¬ handenen Kapitalvorrat übersteigen und weil die dringende Nachfrage nach Kapital den Wert desselben und damit den Zinsfuß erhöht. Für den letzteren ist eben allein das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage entscheidend, nicht der Verwendungszweck des Kapitals. Nicht minder schief ist die Ausfassung, als werde durch die Steuer Kapital investiert oder die Kaufkraft geschwächt. Um den letzten Einwand vorwegzu¬ nehmen, so ist doch offenbar, daß der angeblich verminderten Kaufkraft der Steuerzahler die vermehrte Kaufkraft des Reichs gegenübersteht. Die Milliarde, welche das Reich den Steuerzahlern entzieht, dient unmittelbar dem Zwecke, als Kaufsumme für die verschiedenartigsten Zwecke, von der Anschaffung von Armeematerial bis zur Beschaffung von Arbeitskraft in Form von Gehältern, auf dem Markte zu erscheinen. Es handelt sich also für die Volkswirtschaft nicht um eine Schwächung, sondern um eine Potenzierung der Kaufkraft dieser Summe. Und ebenso unrichtig ist die Auffassung, als werde dieses Kapital dem Verkehr oder der produktiven Anlage entzogen, um unproduktiv investiert zu werden. Man muß, um diese Frage richtig zu beurteilen, den Blick auf die Gesamtheit der Erscheinungen heften. Da steht es denn volkswirtschaftlich so. daß diese Steuer, mag sie sich auch eine Vermögenssteuer nennen und nach dem Vermögen erhoben werden, praktisch doch von dem Volkseinkommen gezahlt wird. schätzungsweise beträgt unser jährlicher Kapitalszuwachs etwa vier Milliarden Mark. Das ist die Summe, welche zur produktiven Anlage und Thesaurierung jährlich verfügbar ist. Die Wirkung der Milliardensteuer wird also praktisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/56>, abgerufen am 27.07.2024.