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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Führung u"d Verpflegung der Millionenheere

dem große Heeresmassen erst einmal auf Grund einer bestimmten Lage,
eines gegebenen Auftrages in Bewegung gesetzt, so wird man in der
Regel auch an dem einmal gefaßten Plane festhalten müssen, es sei denn, daß
sich im Laufe der Operationen herausstellt, daß er auf falschen Voraussetzungen
beruhte und gänzlich abgeändert werden muß. Als 1870/71 die Maas- und
III. Armee auf Paris marschierten und die Nachricht vom Marsche Mac Masons
auf Metz erhielt, mußte allerdings der ganze Vormarsch abgeändert werden.
Daran hätte sich im allgemeinen nichts geändert, wenn die Meldungen über
den französischen Vormarsch früher und sicherer durch Lustfahrzeuge gemeldet
worden wären, als es durch die Meldungen der Kavallerie und die Nachrichten
der Presse erfolgte. So ist nicht anzunehmen, daß eine verbesserte Aufklärung
für die höhere Führung von wesentlichem Einfluß sein wird.




Von jeher ist die Führung bestrebt gewesen, sich auch auf den Gang
eines schon entstandenen Kampfes einen gewissen Einfluß zu wahren. Sie
kann dies nur durch das Ausscheiden und spätere Einsetzen von Reserven. Es
fragt sich, ob dies auch in Zukunft möglich sein wird. Glaubt man an die
Möglichkeit, große Truppenmassen noch im letzten Moment verschieben und
diese rechtzeitig nach der gefährdeten Stelle bringen zu können, um einem
feindlichen Flankenstoß zu begegnen oder damit selbst den im Laufe des
Kampfes als schwach erkannten Teil des Gegners angreifen zu können, so
haben die Reserven auch in großen Verhältnissen noch ihre Berechtigung.
Diese Verbindungen sind aber in der rangierten Schlacht der Millionenheere
nach unseren Anschauungen nicht mehr vorhanden. Vergegenwärtigt man sich
die Ausdehnung der zukünftigen Schlachtfronten, wenn mehrere Armeen neben¬
einander kämpfen, so müßten die zurückgehaltenen Reserven, wenn sie von der
Mitte nach dem Flügel entsendet werden, oftmals zwei bis drei Tagemarsche
zurücklegen, ehe sie eingesetzt werden können. Dann würden sie aber in der
Regel zu spät kommen. Werden sie früher eingesetzt, so läuft man Gefahr,
sie in eine falsche Richtung zu entsenden. Hin- und Hermärsche würden dann
die unausbleibliche Folge sein. Vom Standpunkt der obersten Heeresleitung
erscheinen deshalb Reserven entbehrlich. Etwas anderes ist es bei den unteren
Verbänden, diese müssen sich taktische Reserven ausscheiden. Bei den kleineren
Raumverhältnissen wird es auch da immer möglich sein, sie rechtzeitig nach
den Punkten zu bringen, wo der Führer mit ihnen die Entscheidung bringen will.

Auf diesem Gebiete findet sich ein grundsätzlicher Unterschied in der
deutschen und französischen Auffassung über die Führung im Zukunftskriege.
Die Franzosen halten es für möglich, zurückgehaltene Kräfte auch in den
größten Verhältnissen noch rechtzeitig vorschieben und einsetzen zu können. Sie
huldigen auch jetzt noch dem alten napoleonischen Grundsatz, erst zu sehen und
Zu erkunden, den Gegner möglichst zur Entwicklung zu bringen und dann erst


Führung u»d Verpflegung der Millionenheere

dem große Heeresmassen erst einmal auf Grund einer bestimmten Lage,
eines gegebenen Auftrages in Bewegung gesetzt, so wird man in der
Regel auch an dem einmal gefaßten Plane festhalten müssen, es sei denn, daß
sich im Laufe der Operationen herausstellt, daß er auf falschen Voraussetzungen
beruhte und gänzlich abgeändert werden muß. Als 1870/71 die Maas- und
III. Armee auf Paris marschierten und die Nachricht vom Marsche Mac Masons
auf Metz erhielt, mußte allerdings der ganze Vormarsch abgeändert werden.
Daran hätte sich im allgemeinen nichts geändert, wenn die Meldungen über
den französischen Vormarsch früher und sicherer durch Lustfahrzeuge gemeldet
worden wären, als es durch die Meldungen der Kavallerie und die Nachrichten
der Presse erfolgte. So ist nicht anzunehmen, daß eine verbesserte Aufklärung
für die höhere Führung von wesentlichem Einfluß sein wird.




Von jeher ist die Führung bestrebt gewesen, sich auch auf den Gang
eines schon entstandenen Kampfes einen gewissen Einfluß zu wahren. Sie
kann dies nur durch das Ausscheiden und spätere Einsetzen von Reserven. Es
fragt sich, ob dies auch in Zukunft möglich sein wird. Glaubt man an die
Möglichkeit, große Truppenmassen noch im letzten Moment verschieben und
diese rechtzeitig nach der gefährdeten Stelle bringen zu können, um einem
feindlichen Flankenstoß zu begegnen oder damit selbst den im Laufe des
Kampfes als schwach erkannten Teil des Gegners angreifen zu können, so
haben die Reserven auch in großen Verhältnissen noch ihre Berechtigung.
Diese Verbindungen sind aber in der rangierten Schlacht der Millionenheere
nach unseren Anschauungen nicht mehr vorhanden. Vergegenwärtigt man sich
die Ausdehnung der zukünftigen Schlachtfronten, wenn mehrere Armeen neben¬
einander kämpfen, so müßten die zurückgehaltenen Reserven, wenn sie von der
Mitte nach dem Flügel entsendet werden, oftmals zwei bis drei Tagemarsche
zurücklegen, ehe sie eingesetzt werden können. Dann würden sie aber in der
Regel zu spät kommen. Werden sie früher eingesetzt, so läuft man Gefahr,
sie in eine falsche Richtung zu entsenden. Hin- und Hermärsche würden dann
die unausbleibliche Folge sein. Vom Standpunkt der obersten Heeresleitung
erscheinen deshalb Reserven entbehrlich. Etwas anderes ist es bei den unteren
Verbänden, diese müssen sich taktische Reserven ausscheiden. Bei den kleineren
Raumverhältnissen wird es auch da immer möglich sein, sie rechtzeitig nach
den Punkten zu bringen, wo der Führer mit ihnen die Entscheidung bringen will.

Auf diesem Gebiete findet sich ein grundsätzlicher Unterschied in der
deutschen und französischen Auffassung über die Führung im Zukunftskriege.
Die Franzosen halten es für möglich, zurückgehaltene Kräfte auch in den
größten Verhältnissen noch rechtzeitig vorschieben und einsetzen zu können. Sie
huldigen auch jetzt noch dem alten napoleonischen Grundsatz, erst zu sehen und
Zu erkunden, den Gegner möglichst zur Entwicklung zu bringen und dann erst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/559>, abgerufen am 28.07.2024.