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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

Wänden, für die er auf seinen Reisen viel Geld verausgabt hatte. Hätte er
sich wohl so einrichten können, wenn ihn der stattliche Zuschuß aus den Ein¬
künften des väterlichen Gutes nicht unabhängig von dem mageren Salair seines
Amtes gemacht hätte?

Wie mancher fruchtbare Sommerregeu, mancher Armschwung der chemischen
Hofleute von Borküll hatte sich in diesen und jenen Baustein seiner Bildung,
seines wissenschaftlichen Besitzes verwandelt!

Zwar schloß ihn das Recht der Erstgeburt vom Besitz der Scholle aus
und machte dereinst den Bruder zum Herrn von Borküll. Trotzdem traf der
Scholle Segen und Fluch auch ihn. Gleichgültig hatte er bis auf den heutigen
Tag die Gaben der Heimat angenommen, die da fern im Nebel des Nordens
verdämmerte. Wie, wenn sie jetzt plötzlich ausblieben, weil Borküll der Re¬
volution, d. h. einer neuen Verteilung des Besitzes zum Qpfer fiel?

Der Gutsherr ein vergnügungssüchtiger Globetrotter, der Majoratserbe
wahrscheinlich wieder durch alle möglichen Spiel- und Liebesaffären in der
Residenz festgehalten, die Mutter eine willensschwache Kranke, Mara, die
Schwester, eine Schwärmerin ohne feste Meinung, jeder neu auftauchenden Idee
kritiklos zugänglich, er selbst der Heimat und ihren Interessen längst ent¬
fremdet -- wahrhaftig: schlecht war das Gut gehütet, dem sie alle ihre Be¬
wegungsfreiheit verdankten.

Aber konnte er es ändern? Hier waltete ein unerschütterliches Natur¬
gesetz: die Borkes zeigten die Entartung einer Familie, die seit vielen Gene¬
rationen jenes Trainings entbehrt hatte, zu dem andere der Kampf ums Dasein
zwingt. Jetzt mußte die Not der Zeit ein schwaches, zum mindesten ein gleich¬
gültiges Geschlecht vorfinden. Und nur dem Zufall einer glücklichen Ver¬
anlagung hatte es Paul von der Borke zu verdanken, daß er nicht auch der
allgemeinen Erschlaffung verfallen war. Sein wissenschaftlicher Ehrgeiz hatte
ihn zur Betätigung von Kräften gezwungen, die sonst sicher ebenfalls ungenutzt
verkümmert wären.

Nur für einen Augenblick hatten ihn Ediths Mitteilungen über Borküll
in Angst versetzen können. Im nächsten verspottete er sich deswegen schon
wieder. Es mußte dann eben ohne den Borküller Zuschuß gehen! Er brauchte
sich nur mutig in eine Reihe mit den vielen zu stellen, die sich der Wissenschaft
widmen, ohne einen Pfennig Vermögen zu besitzen. War er nicht oft genug
säumig gewesen, während jene arbeiteten? Hatte er sich nicht durch manche
Stimmungen die Lust nehmen lassen? Das waren die schädlichen Begleit¬
erscheinungen seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit.

Unabhängig ist nur der Bedürfnislose. Und es galt jetzt bedürfnislos zu
werden.

Wie es dann kommen mochte: er sah aller Zukunft gelassen entgegen.

Ediths wegen wollte er nach Monte Carlo fahren und den Vater auf¬
suchen. Sie sollte ihm nicht Gleichgültigkeit vorwerfen dürfen. Mochte der


Sturm

Wänden, für die er auf seinen Reisen viel Geld verausgabt hatte. Hätte er
sich wohl so einrichten können, wenn ihn der stattliche Zuschuß aus den Ein¬
künften des väterlichen Gutes nicht unabhängig von dem mageren Salair seines
Amtes gemacht hätte?

Wie mancher fruchtbare Sommerregeu, mancher Armschwung der chemischen
Hofleute von Borküll hatte sich in diesen und jenen Baustein seiner Bildung,
seines wissenschaftlichen Besitzes verwandelt!

Zwar schloß ihn das Recht der Erstgeburt vom Besitz der Scholle aus
und machte dereinst den Bruder zum Herrn von Borküll. Trotzdem traf der
Scholle Segen und Fluch auch ihn. Gleichgültig hatte er bis auf den heutigen
Tag die Gaben der Heimat angenommen, die da fern im Nebel des Nordens
verdämmerte. Wie, wenn sie jetzt plötzlich ausblieben, weil Borküll der Re¬
volution, d. h. einer neuen Verteilung des Besitzes zum Qpfer fiel?

Der Gutsherr ein vergnügungssüchtiger Globetrotter, der Majoratserbe
wahrscheinlich wieder durch alle möglichen Spiel- und Liebesaffären in der
Residenz festgehalten, die Mutter eine willensschwache Kranke, Mara, die
Schwester, eine Schwärmerin ohne feste Meinung, jeder neu auftauchenden Idee
kritiklos zugänglich, er selbst der Heimat und ihren Interessen längst ent¬
fremdet — wahrhaftig: schlecht war das Gut gehütet, dem sie alle ihre Be¬
wegungsfreiheit verdankten.

Aber konnte er es ändern? Hier waltete ein unerschütterliches Natur¬
gesetz: die Borkes zeigten die Entartung einer Familie, die seit vielen Gene¬
rationen jenes Trainings entbehrt hatte, zu dem andere der Kampf ums Dasein
zwingt. Jetzt mußte die Not der Zeit ein schwaches, zum mindesten ein gleich¬
gültiges Geschlecht vorfinden. Und nur dem Zufall einer glücklichen Ver¬
anlagung hatte es Paul von der Borke zu verdanken, daß er nicht auch der
allgemeinen Erschlaffung verfallen war. Sein wissenschaftlicher Ehrgeiz hatte
ihn zur Betätigung von Kräften gezwungen, die sonst sicher ebenfalls ungenutzt
verkümmert wären.

Nur für einen Augenblick hatten ihn Ediths Mitteilungen über Borküll
in Angst versetzen können. Im nächsten verspottete er sich deswegen schon
wieder. Es mußte dann eben ohne den Borküller Zuschuß gehen! Er brauchte
sich nur mutig in eine Reihe mit den vielen zu stellen, die sich der Wissenschaft
widmen, ohne einen Pfennig Vermögen zu besitzen. War er nicht oft genug
säumig gewesen, während jene arbeiteten? Hatte er sich nicht durch manche
Stimmungen die Lust nehmen lassen? Das waren die schädlichen Begleit¬
erscheinungen seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit.

Unabhängig ist nur der Bedürfnislose. Und es galt jetzt bedürfnislos zu
werden.

Wie es dann kommen mochte: er sah aller Zukunft gelassen entgegen.

Ediths wegen wollte er nach Monte Carlo fahren und den Vater auf¬
suchen. Sie sollte ihm nicht Gleichgültigkeit vorwerfen dürfen. Mochte der


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[0537] Sturm Wänden, für die er auf seinen Reisen viel Geld verausgabt hatte. Hätte er sich wohl so einrichten können, wenn ihn der stattliche Zuschuß aus den Ein¬ künften des väterlichen Gutes nicht unabhängig von dem mageren Salair seines Amtes gemacht hätte? Wie mancher fruchtbare Sommerregeu, mancher Armschwung der chemischen Hofleute von Borküll hatte sich in diesen und jenen Baustein seiner Bildung, seines wissenschaftlichen Besitzes verwandelt! Zwar schloß ihn das Recht der Erstgeburt vom Besitz der Scholle aus und machte dereinst den Bruder zum Herrn von Borküll. Trotzdem traf der Scholle Segen und Fluch auch ihn. Gleichgültig hatte er bis auf den heutigen Tag die Gaben der Heimat angenommen, die da fern im Nebel des Nordens verdämmerte. Wie, wenn sie jetzt plötzlich ausblieben, weil Borküll der Re¬ volution, d. h. einer neuen Verteilung des Besitzes zum Qpfer fiel? Der Gutsherr ein vergnügungssüchtiger Globetrotter, der Majoratserbe wahrscheinlich wieder durch alle möglichen Spiel- und Liebesaffären in der Residenz festgehalten, die Mutter eine willensschwache Kranke, Mara, die Schwester, eine Schwärmerin ohne feste Meinung, jeder neu auftauchenden Idee kritiklos zugänglich, er selbst der Heimat und ihren Interessen längst ent¬ fremdet — wahrhaftig: schlecht war das Gut gehütet, dem sie alle ihre Be¬ wegungsfreiheit verdankten. Aber konnte er es ändern? Hier waltete ein unerschütterliches Natur¬ gesetz: die Borkes zeigten die Entartung einer Familie, die seit vielen Gene¬ rationen jenes Trainings entbehrt hatte, zu dem andere der Kampf ums Dasein zwingt. Jetzt mußte die Not der Zeit ein schwaches, zum mindesten ein gleich¬ gültiges Geschlecht vorfinden. Und nur dem Zufall einer glücklichen Ver¬ anlagung hatte es Paul von der Borke zu verdanken, daß er nicht auch der allgemeinen Erschlaffung verfallen war. Sein wissenschaftlicher Ehrgeiz hatte ihn zur Betätigung von Kräften gezwungen, die sonst sicher ebenfalls ungenutzt verkümmert wären. Nur für einen Augenblick hatten ihn Ediths Mitteilungen über Borküll in Angst versetzen können. Im nächsten verspottete er sich deswegen schon wieder. Es mußte dann eben ohne den Borküller Zuschuß gehen! Er brauchte sich nur mutig in eine Reihe mit den vielen zu stellen, die sich der Wissenschaft widmen, ohne einen Pfennig Vermögen zu besitzen. War er nicht oft genug säumig gewesen, während jene arbeiteten? Hatte er sich nicht durch manche Stimmungen die Lust nehmen lassen? Das waren die schädlichen Begleit¬ erscheinungen seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Unabhängig ist nur der Bedürfnislose. Und es galt jetzt bedürfnislos zu werden. Wie es dann kommen mochte: er sah aller Zukunft gelassen entgegen. Ediths wegen wollte er nach Monte Carlo fahren und den Vater auf¬ suchen. Sie sollte ihm nicht Gleichgültigkeit vorwerfen dürfen. Mochte der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/537>, abgerufen am 21.12.2024.