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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

Gutsherr zu den Mitteilungen Stellung nehmen, wie es ihm beliebte. Borkülls
Wohl war in erster Linie sein Interesse.

Er selber aber wollte sich nun erst recht in seiner Arbeit festbeißen. Ob
die Zukunft Unheil oder Segen über die Heimat brachte: keine Macht der Welt
sollte ihn in seiner Selbstsicherheit erschüttern können.




Hoch oben in Beau-Soleil lag die Villa, in der Baron von der Borke
nun schon den dritten Winter verbrachte.

Paul hatte die Treppe des Terrassengartens, die von der Straße hinauf¬
führte, bisher nur ein einziges Mal erstiegen. Damals begleitete seine Mutter
den Vater, da ihm die Ärzte in der Heimat nach einer schweren Lungenent¬
zündung den Aufenthalt im Süden verordnet hatten.

Es waren unerquickliche Erinnerungen, die jetzt in dem Sohn geweckt
wurden. Die Verschiedenheit im Charakter der beiden Eltern trat hier be¬
sonders schroff zutage, wo die lachende Natur des Südens alle Lebensgeister
in dem zum Genuß geborenen Baron erweckte.

Ganz im Gegensatz zu ihm fühlte sich Baronin Clementine von dem
mondainen Treiben der neuen Umgebung abgestoßen. Ihrem Mann an Jahren
voraus, besaß sie nicht mehr die Elastizität, sich von der gewohnten gesellschaft¬
lichen Reserve zu emanzipieren.

Ihre ewig nörgelnde Kritik vollendete das Werk der Entfremdung zwischen
den beiden Gatten. Es kam zu häßlichen Auftritten.

Eines Tages wurde Paul durch ein Telegramm zu den Eltern gerufen.
Er fand seine Mutter im Begriff abzureisen. Sie hatte die Entdeckung gemacht,
daß der Baron in intimere Beziehungen zu einer der Damen ihres Verkehrs
getreten war.

"Und glaubst Du, daß er mich um Entschuldigung gebeten hat? Er
nimmt das als sein gutes Recht in Anspruch!"

Die Selbstverständlichkeit, mit der Baron Alexander seinem Sohn von jener
Liaison erzählte, hatte Paul angewidert. Er vermied von da ab jede Be¬
gegnung mit dem Vater nach Möglichkeit und besuchte die Gegend von Monte
Carlo nur, wenn die Saison vorüber war, und die weiße Stadt vereinsamt in
ihrem Sommerschlafe lag.

Jetzt in den ersten goldenen Oktobertagen war sie daraus erwacht. Und
zu den frühesten Ankömmlingen hatte Baron Alexander von der Borke gehört.

In der Pension erfuhr Paul, daß der Vater bereits ausgegangen, aber
mit einiger Sicherheit um ein Uhr im Cass de Paris zu treffen sei. So hatte
er noch ein paar Stunden Zeit, die er in müßigem schleudern verbrachte.

An diesem Vormittag zeigte die Stadt, die ihm immer wie ein Sünden¬
babel erschienen war, ein beinahe jungfräulich anmutendes Gesicht. Auf den
Tennisplätzen, die man dem Bergabhang abgewonnen hatte, spielten im weißen


Sturm

Gutsherr zu den Mitteilungen Stellung nehmen, wie es ihm beliebte. Borkülls
Wohl war in erster Linie sein Interesse.

Er selber aber wollte sich nun erst recht in seiner Arbeit festbeißen. Ob
die Zukunft Unheil oder Segen über die Heimat brachte: keine Macht der Welt
sollte ihn in seiner Selbstsicherheit erschüttern können.




Hoch oben in Beau-Soleil lag die Villa, in der Baron von der Borke
nun schon den dritten Winter verbrachte.

Paul hatte die Treppe des Terrassengartens, die von der Straße hinauf¬
führte, bisher nur ein einziges Mal erstiegen. Damals begleitete seine Mutter
den Vater, da ihm die Ärzte in der Heimat nach einer schweren Lungenent¬
zündung den Aufenthalt im Süden verordnet hatten.

Es waren unerquickliche Erinnerungen, die jetzt in dem Sohn geweckt
wurden. Die Verschiedenheit im Charakter der beiden Eltern trat hier be¬
sonders schroff zutage, wo die lachende Natur des Südens alle Lebensgeister
in dem zum Genuß geborenen Baron erweckte.

Ganz im Gegensatz zu ihm fühlte sich Baronin Clementine von dem
mondainen Treiben der neuen Umgebung abgestoßen. Ihrem Mann an Jahren
voraus, besaß sie nicht mehr die Elastizität, sich von der gewohnten gesellschaft¬
lichen Reserve zu emanzipieren.

Ihre ewig nörgelnde Kritik vollendete das Werk der Entfremdung zwischen
den beiden Gatten. Es kam zu häßlichen Auftritten.

Eines Tages wurde Paul durch ein Telegramm zu den Eltern gerufen.
Er fand seine Mutter im Begriff abzureisen. Sie hatte die Entdeckung gemacht,
daß der Baron in intimere Beziehungen zu einer der Damen ihres Verkehrs
getreten war.

„Und glaubst Du, daß er mich um Entschuldigung gebeten hat? Er
nimmt das als sein gutes Recht in Anspruch!"

Die Selbstverständlichkeit, mit der Baron Alexander seinem Sohn von jener
Liaison erzählte, hatte Paul angewidert. Er vermied von da ab jede Be¬
gegnung mit dem Vater nach Möglichkeit und besuchte die Gegend von Monte
Carlo nur, wenn die Saison vorüber war, und die weiße Stadt vereinsamt in
ihrem Sommerschlafe lag.

Jetzt in den ersten goldenen Oktobertagen war sie daraus erwacht. Und
zu den frühesten Ankömmlingen hatte Baron Alexander von der Borke gehört.

In der Pension erfuhr Paul, daß der Vater bereits ausgegangen, aber
mit einiger Sicherheit um ein Uhr im Cass de Paris zu treffen sei. So hatte
er noch ein paar Stunden Zeit, die er in müßigem schleudern verbrachte.

An diesem Vormittag zeigte die Stadt, die ihm immer wie ein Sünden¬
babel erschienen war, ein beinahe jungfräulich anmutendes Gesicht. Auf den
Tennisplätzen, die man dem Bergabhang abgewonnen hatte, spielten im weißen


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[0538] Sturm Gutsherr zu den Mitteilungen Stellung nehmen, wie es ihm beliebte. Borkülls Wohl war in erster Linie sein Interesse. Er selber aber wollte sich nun erst recht in seiner Arbeit festbeißen. Ob die Zukunft Unheil oder Segen über die Heimat brachte: keine Macht der Welt sollte ihn in seiner Selbstsicherheit erschüttern können. Hoch oben in Beau-Soleil lag die Villa, in der Baron von der Borke nun schon den dritten Winter verbrachte. Paul hatte die Treppe des Terrassengartens, die von der Straße hinauf¬ führte, bisher nur ein einziges Mal erstiegen. Damals begleitete seine Mutter den Vater, da ihm die Ärzte in der Heimat nach einer schweren Lungenent¬ zündung den Aufenthalt im Süden verordnet hatten. Es waren unerquickliche Erinnerungen, die jetzt in dem Sohn geweckt wurden. Die Verschiedenheit im Charakter der beiden Eltern trat hier be¬ sonders schroff zutage, wo die lachende Natur des Südens alle Lebensgeister in dem zum Genuß geborenen Baron erweckte. Ganz im Gegensatz zu ihm fühlte sich Baronin Clementine von dem mondainen Treiben der neuen Umgebung abgestoßen. Ihrem Mann an Jahren voraus, besaß sie nicht mehr die Elastizität, sich von der gewohnten gesellschaft¬ lichen Reserve zu emanzipieren. Ihre ewig nörgelnde Kritik vollendete das Werk der Entfremdung zwischen den beiden Gatten. Es kam zu häßlichen Auftritten. Eines Tages wurde Paul durch ein Telegramm zu den Eltern gerufen. Er fand seine Mutter im Begriff abzureisen. Sie hatte die Entdeckung gemacht, daß der Baron in intimere Beziehungen zu einer der Damen ihres Verkehrs getreten war. „Und glaubst Du, daß er mich um Entschuldigung gebeten hat? Er nimmt das als sein gutes Recht in Anspruch!" Die Selbstverständlichkeit, mit der Baron Alexander seinem Sohn von jener Liaison erzählte, hatte Paul angewidert. Er vermied von da ab jede Be¬ gegnung mit dem Vater nach Möglichkeit und besuchte die Gegend von Monte Carlo nur, wenn die Saison vorüber war, und die weiße Stadt vereinsamt in ihrem Sommerschlafe lag. Jetzt in den ersten goldenen Oktobertagen war sie daraus erwacht. Und zu den frühesten Ankömmlingen hatte Baron Alexander von der Borke gehört. In der Pension erfuhr Paul, daß der Vater bereits ausgegangen, aber mit einiger Sicherheit um ein Uhr im Cass de Paris zu treffen sei. So hatte er noch ein paar Stunden Zeit, die er in müßigem schleudern verbrachte. An diesem Vormittag zeigte die Stadt, die ihm immer wie ein Sünden¬ babel erschienen war, ein beinahe jungfräulich anmutendes Gesicht. Auf den Tennisplätzen, die man dem Bergabhang abgewonnen hatte, spielten im weißen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/538>, abgerufen am 22.12.2024.