Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.Die "Kunst" des Lichtspieltheaters Gesellschaft sogar Künstler antreffen kann, die die große Anregung preisen, Nein, von selbst werden die Dinge, das hat sich jetzt deutlich gezeigt, nicht Natürlich fehlt es auch nicht an solchen, die bei aller Anerkennung des Da muß ich nun gleich betonen, daß der Kampf gegen den Kino, der Die „Kunst" des Lichtspieltheaters Gesellschaft sogar Künstler antreffen kann, die die große Anregung preisen, Nein, von selbst werden die Dinge, das hat sich jetzt deutlich gezeigt, nicht Natürlich fehlt es auch nicht an solchen, die bei aller Anerkennung des Da muß ich nun gleich betonen, daß der Kampf gegen den Kino, der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/361945"/> <fw type="header" place="top"> Die „Kunst" des Lichtspieltheaters</fw><lb/> <p xml:id="ID_2389" prev="#ID_2388"> Gesellschaft sogar Künstler antreffen kann, die die große Anregung preisen,<lb/> die sie dem Kinodrama verdanken, ja wenn sich sogar Dichter nicht scheuen, ihre<lb/> Dramen — Wortdramen! — kinematographisch zustutzen, d. h. verhunzen zu<lb/> lassen, was kann man dann vom großen Publikum erwarten? Wenn so etwas<lb/> am grünen Holze geschieht, was hat man wohl von dem dürren zu hoffen?</p><lb/> <p xml:id="ID_2390"> Nein, von selbst werden die Dinge, das hat sich jetzt deutlich gezeigt, nicht<lb/> besser werden. Verständiges Zureden, Aufklärung und Überredung haben keinen<lb/> Erfolg. Da kann nur das Gesetz helfen. Wer nicht freiwillig und aus Über¬<lb/> zeugung in den richtigen Weg einlenkt, bei dein müssen Staat und Polizei das<lb/> Nötige tun. Und glücklicherweise gehen ja auch schon einige deutsche Bundesstaaten<lb/> in dieser Richtung vor. So haben wir z. B. in Württemberg kürzlich von<lb/> der Negierung einen ausgezeichneten Gesetzentwurf erhalten, der an Strenge<lb/> nichts zu wünschen übrig läßt und sich der Zustimmung aller Urteilsfähigen<lb/> erfreut. Mit Spannung sieht man auf die beiden Kammern, die den Entwurf<lb/> soeben beraten, und jedermann hofft, daß sie ihn seinem wesentlichen Inhalte<lb/> nach annehmen. Dann kann Württemberg auch für die anderen Bundesstaaten<lb/> vorbildlich werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2391"> Natürlich fehlt es auch nicht an solchen, die bei aller Anerkennung des<lb/> ganzen Entwurfes doch an einigen grundlegenden Artikeln desselben Anstoß<lb/> nehmen. Die Argumente, deren sie sich dabei bedienen, sind aber derart, daß<lb/> man ruhig sagen kann: auch die besten Kenner des Kinos, die es jetzt bei uns<lb/> gibt, haben noch immer nicht verstanden, worin denn eigentlich die Gefahren der<lb/> Kinodramatik bestehen, und was ihren fundamentalen Unterschied von der dra¬<lb/> matischen Kunst, d. h. der Kunst der wirklichen Bühne ausmacht. Das sind<lb/> eben Dinge, die man mit der Jurisprudenz allein nicht fassen kann. Zu<lb/> ihrer richtigen Beurteilung gehört vielmehr ein fester ästhetischer Standpunkt,<lb/> eine klare Anschauung vom Wesen der Kunst. Deshalb sei es dem Ästhetiker<lb/> gestattet, von seinem Standpunkte aus gewissen juristischen Vorurteilen entgegen¬<lb/> zutreten, die nur zu sehr geeignet sind, die Streitfrage zu verwirren und das<lb/> klare Urteil zu trüben. Wir find leider durch den Kampf gegen die lex Hcintze<lb/> und durch die liberale Agitation der Goethe-Bünde allmählich in eine so un¬<lb/> bedingte Toleranz allem gegenüber, was nur von weitem nach Kunst aussieht,<lb/> hineingeraten, daß es wohl an der Zeit ist, sich einmal zu besinnen, wem denn<lb/> eigentlich dieses humane Wohlwollen gilt. d. h. ob das, was man um keinen<lb/> Preis durch Gesetze und Polizeimaßregeln beeinträchtigen möchte, denn wirklich<lb/> den Namen Kunst verdient.</p><lb/> <p xml:id="ID_2392" next="#ID_2393"> Da muß ich nun gleich betonen, daß der Kampf gegen den Kino, der<lb/> jetzt unter stetem Protest des organisierten Kinokapitals auf der ganzen Linie<lb/> ausgefochten wird, nur diejenigen Vorführungen der Lichtspieltheater trifft,<lb/> die unter dem Namen „Dramen" oder „Kunstfilms" bekannt sind. Man ver¬<lb/> steht darunter pantomimisch zugestutzte Handlungen dramatischen Charakters, die<lb/> sich zum größten Teil als Bearbeitungen richtiger Bühnenstücke darstellen. Diese</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0520]
Die „Kunst" des Lichtspieltheaters
Gesellschaft sogar Künstler antreffen kann, die die große Anregung preisen,
die sie dem Kinodrama verdanken, ja wenn sich sogar Dichter nicht scheuen, ihre
Dramen — Wortdramen! — kinematographisch zustutzen, d. h. verhunzen zu
lassen, was kann man dann vom großen Publikum erwarten? Wenn so etwas
am grünen Holze geschieht, was hat man wohl von dem dürren zu hoffen?
Nein, von selbst werden die Dinge, das hat sich jetzt deutlich gezeigt, nicht
besser werden. Verständiges Zureden, Aufklärung und Überredung haben keinen
Erfolg. Da kann nur das Gesetz helfen. Wer nicht freiwillig und aus Über¬
zeugung in den richtigen Weg einlenkt, bei dein müssen Staat und Polizei das
Nötige tun. Und glücklicherweise gehen ja auch schon einige deutsche Bundesstaaten
in dieser Richtung vor. So haben wir z. B. in Württemberg kürzlich von
der Negierung einen ausgezeichneten Gesetzentwurf erhalten, der an Strenge
nichts zu wünschen übrig läßt und sich der Zustimmung aller Urteilsfähigen
erfreut. Mit Spannung sieht man auf die beiden Kammern, die den Entwurf
soeben beraten, und jedermann hofft, daß sie ihn seinem wesentlichen Inhalte
nach annehmen. Dann kann Württemberg auch für die anderen Bundesstaaten
vorbildlich werden.
Natürlich fehlt es auch nicht an solchen, die bei aller Anerkennung des
ganzen Entwurfes doch an einigen grundlegenden Artikeln desselben Anstoß
nehmen. Die Argumente, deren sie sich dabei bedienen, sind aber derart, daß
man ruhig sagen kann: auch die besten Kenner des Kinos, die es jetzt bei uns
gibt, haben noch immer nicht verstanden, worin denn eigentlich die Gefahren der
Kinodramatik bestehen, und was ihren fundamentalen Unterschied von der dra¬
matischen Kunst, d. h. der Kunst der wirklichen Bühne ausmacht. Das sind
eben Dinge, die man mit der Jurisprudenz allein nicht fassen kann. Zu
ihrer richtigen Beurteilung gehört vielmehr ein fester ästhetischer Standpunkt,
eine klare Anschauung vom Wesen der Kunst. Deshalb sei es dem Ästhetiker
gestattet, von seinem Standpunkte aus gewissen juristischen Vorurteilen entgegen¬
zutreten, die nur zu sehr geeignet sind, die Streitfrage zu verwirren und das
klare Urteil zu trüben. Wir find leider durch den Kampf gegen die lex Hcintze
und durch die liberale Agitation der Goethe-Bünde allmählich in eine so un¬
bedingte Toleranz allem gegenüber, was nur von weitem nach Kunst aussieht,
hineingeraten, daß es wohl an der Zeit ist, sich einmal zu besinnen, wem denn
eigentlich dieses humane Wohlwollen gilt. d. h. ob das, was man um keinen
Preis durch Gesetze und Polizeimaßregeln beeinträchtigen möchte, denn wirklich
den Namen Kunst verdient.
Da muß ich nun gleich betonen, daß der Kampf gegen den Kino, der
jetzt unter stetem Protest des organisierten Kinokapitals auf der ganzen Linie
ausgefochten wird, nur diejenigen Vorführungen der Lichtspieltheater trifft,
die unter dem Namen „Dramen" oder „Kunstfilms" bekannt sind. Man ver¬
steht darunter pantomimisch zugestutzte Handlungen dramatischen Charakters, die
sich zum größten Teil als Bearbeitungen richtiger Bühnenstücke darstellen. Diese
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