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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Adolf Matthias und das höhere Schulwesen

vergangene Jahrhundert hat der deutschen Schule heilsame Normen gebracht.
Möge ihr das künftige erwünschte Freiheit bringen!"

Drei Männer sind es hauptsächlich, denen das Verdienst zukommt, die
freiheitliche Bewegung in unserem Schulwesen angebahnt zu haben. Zu Althosf
und Paulsen gehört als dritter Adolf Matthias, der einzige Überlebende von
ihnen, der noch in Frische und Kraft unter uns wirkt. Das gemeinsame Ziel,
das alle drei innerlich und zum Teil auch äußerlich untereinander verband,
war, mit dem alten starr und unfruchtbar gewordenen Gymnasialsystem zu
brechen, an seine Stelle den freien Wettbewerb verschiedener Richtwege, Lehrziele
und Stoffgebiete zu setzen und hierdurch eine Mannigfaltigkeit von geistigen
Kräften zu entbinden, die den Zustand der Jugend und das Leben der Nation
nach allen Seiten hin bereichern und fördern sollte. Paulsen, der Theoretiker
unter ihnen, war aus geschichtlicher Forschung und gerecht abwägender all¬
gemeiner Betrachtung dazu gelangt, für die neue Aufgabe einzutreten und sie,
gestützt auf umfassende Kenntnis der bisherigen Entwicklung, entscheidend zu
formulieren. Althoff, zum guten Teil von ihm angeregt und beeinflußt, hat
mit dem Blicke des Staatsmanns für soziale und geschichtliche Notwendigkeiten
diese Aufgabe ergriffen und mit den Machtmitteln seiner Herrschernatur frei¬
heitliche Ideen zu verwirklichen unternommen. Matthias, sein erster Gehilfe
und praktischer Ratgeber bei der Durchführung, ist derjenige von den dreien,
dem die freiheitliche Richtung am unmittelbarsten in der Natur und im Blute
liegt. Er brauchte nur sein eigenes Wesen in Tat umzusetzen, um der Sache
der erzieherischen Bewegungsfreiheit aufs beste zu dienen. Die glückliche
Harmonie, zu der er veranlagt ist, bewahrte ihn dabei zugleich vor Maßlosigkeit
und vor Enge.

Althoff, bis zu seinem Tode in unerschöpflich rastloser Tätigkeit, wenn
auch zuletzt nicht mehr im Amte stehend, hat keine Zeit für seine Denkwürdig¬
keiten gefunden, von denen er nicht selten träumte und gerne selbst zu Ferner-
stehenden sprach. ("Bosheit war sein Lebenszweck", wollte der viel verschriene,
im innersten Grunde gütige Mann als ironisches Motto auf den Titel setzen.)
Paniscus schöne Selbstbiographie ist, soweit sie seine Jugendjahre umfaßt, der
Öffentlichkeit übergeben worden. Matthias, dem ein Geschick, das es besser mit
ihm als mit der deutschen Schule meinte, verhältnismäßig früh den Weg ins
Privatleben und damit in die rein literarische Tätigkeit gewiesen hat, ist hier¬
durch in den Stand gesetzt worden, der Öffentlichkeit ein Buch zu übergeben,
das man als den Ertrag seiner Lebenstätigkeit und seiner persönlichen Erfahrungen
bezeichnen kann*).

Es sind nicht Denkwürdigkeiten im überlieferten Verstände des Wortes,
was dieses Buch enthält, wohl aber in einem höheren und eigentlicheren Sinne.



*) "Erlebtes und Zulunftsfragen aus Schulverwaltung, Unterricht und Erziehung."
Ein Buch für Freunde deutscher Bildung. Berlin, Weidmannsche Buchhandlung. 1913. VI
und 319 Seiten.
Adolf Matthias und das höhere Schulwesen

vergangene Jahrhundert hat der deutschen Schule heilsame Normen gebracht.
Möge ihr das künftige erwünschte Freiheit bringen!"

Drei Männer sind es hauptsächlich, denen das Verdienst zukommt, die
freiheitliche Bewegung in unserem Schulwesen angebahnt zu haben. Zu Althosf
und Paulsen gehört als dritter Adolf Matthias, der einzige Überlebende von
ihnen, der noch in Frische und Kraft unter uns wirkt. Das gemeinsame Ziel,
das alle drei innerlich und zum Teil auch äußerlich untereinander verband,
war, mit dem alten starr und unfruchtbar gewordenen Gymnasialsystem zu
brechen, an seine Stelle den freien Wettbewerb verschiedener Richtwege, Lehrziele
und Stoffgebiete zu setzen und hierdurch eine Mannigfaltigkeit von geistigen
Kräften zu entbinden, die den Zustand der Jugend und das Leben der Nation
nach allen Seiten hin bereichern und fördern sollte. Paulsen, der Theoretiker
unter ihnen, war aus geschichtlicher Forschung und gerecht abwägender all¬
gemeiner Betrachtung dazu gelangt, für die neue Aufgabe einzutreten und sie,
gestützt auf umfassende Kenntnis der bisherigen Entwicklung, entscheidend zu
formulieren. Althoff, zum guten Teil von ihm angeregt und beeinflußt, hat
mit dem Blicke des Staatsmanns für soziale und geschichtliche Notwendigkeiten
diese Aufgabe ergriffen und mit den Machtmitteln seiner Herrschernatur frei¬
heitliche Ideen zu verwirklichen unternommen. Matthias, sein erster Gehilfe
und praktischer Ratgeber bei der Durchführung, ist derjenige von den dreien,
dem die freiheitliche Richtung am unmittelbarsten in der Natur und im Blute
liegt. Er brauchte nur sein eigenes Wesen in Tat umzusetzen, um der Sache
der erzieherischen Bewegungsfreiheit aufs beste zu dienen. Die glückliche
Harmonie, zu der er veranlagt ist, bewahrte ihn dabei zugleich vor Maßlosigkeit
und vor Enge.

Althoff, bis zu seinem Tode in unerschöpflich rastloser Tätigkeit, wenn
auch zuletzt nicht mehr im Amte stehend, hat keine Zeit für seine Denkwürdig¬
keiten gefunden, von denen er nicht selten träumte und gerne selbst zu Ferner-
stehenden sprach. („Bosheit war sein Lebenszweck", wollte der viel verschriene,
im innersten Grunde gütige Mann als ironisches Motto auf den Titel setzen.)
Paniscus schöne Selbstbiographie ist, soweit sie seine Jugendjahre umfaßt, der
Öffentlichkeit übergeben worden. Matthias, dem ein Geschick, das es besser mit
ihm als mit der deutschen Schule meinte, verhältnismäßig früh den Weg ins
Privatleben und damit in die rein literarische Tätigkeit gewiesen hat, ist hier¬
durch in den Stand gesetzt worden, der Öffentlichkeit ein Buch zu übergeben,
das man als den Ertrag seiner Lebenstätigkeit und seiner persönlichen Erfahrungen
bezeichnen kann*).

Es sind nicht Denkwürdigkeiten im überlieferten Verstände des Wortes,
was dieses Buch enthält, wohl aber in einem höheren und eigentlicheren Sinne.



*) „Erlebtes und Zulunftsfragen aus Schulverwaltung, Unterricht und Erziehung."
Ein Buch für Freunde deutscher Bildung. Berlin, Weidmannsche Buchhandlung. 1913. VI
und 319 Seiten.
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[0513] Adolf Matthias und das höhere Schulwesen vergangene Jahrhundert hat der deutschen Schule heilsame Normen gebracht. Möge ihr das künftige erwünschte Freiheit bringen!" Drei Männer sind es hauptsächlich, denen das Verdienst zukommt, die freiheitliche Bewegung in unserem Schulwesen angebahnt zu haben. Zu Althosf und Paulsen gehört als dritter Adolf Matthias, der einzige Überlebende von ihnen, der noch in Frische und Kraft unter uns wirkt. Das gemeinsame Ziel, das alle drei innerlich und zum Teil auch äußerlich untereinander verband, war, mit dem alten starr und unfruchtbar gewordenen Gymnasialsystem zu brechen, an seine Stelle den freien Wettbewerb verschiedener Richtwege, Lehrziele und Stoffgebiete zu setzen und hierdurch eine Mannigfaltigkeit von geistigen Kräften zu entbinden, die den Zustand der Jugend und das Leben der Nation nach allen Seiten hin bereichern und fördern sollte. Paulsen, der Theoretiker unter ihnen, war aus geschichtlicher Forschung und gerecht abwägender all¬ gemeiner Betrachtung dazu gelangt, für die neue Aufgabe einzutreten und sie, gestützt auf umfassende Kenntnis der bisherigen Entwicklung, entscheidend zu formulieren. Althoff, zum guten Teil von ihm angeregt und beeinflußt, hat mit dem Blicke des Staatsmanns für soziale und geschichtliche Notwendigkeiten diese Aufgabe ergriffen und mit den Machtmitteln seiner Herrschernatur frei¬ heitliche Ideen zu verwirklichen unternommen. Matthias, sein erster Gehilfe und praktischer Ratgeber bei der Durchführung, ist derjenige von den dreien, dem die freiheitliche Richtung am unmittelbarsten in der Natur und im Blute liegt. Er brauchte nur sein eigenes Wesen in Tat umzusetzen, um der Sache der erzieherischen Bewegungsfreiheit aufs beste zu dienen. Die glückliche Harmonie, zu der er veranlagt ist, bewahrte ihn dabei zugleich vor Maßlosigkeit und vor Enge. Althoff, bis zu seinem Tode in unerschöpflich rastloser Tätigkeit, wenn auch zuletzt nicht mehr im Amte stehend, hat keine Zeit für seine Denkwürdig¬ keiten gefunden, von denen er nicht selten träumte und gerne selbst zu Ferner- stehenden sprach. („Bosheit war sein Lebenszweck", wollte der viel verschriene, im innersten Grunde gütige Mann als ironisches Motto auf den Titel setzen.) Paniscus schöne Selbstbiographie ist, soweit sie seine Jugendjahre umfaßt, der Öffentlichkeit übergeben worden. Matthias, dem ein Geschick, das es besser mit ihm als mit der deutschen Schule meinte, verhältnismäßig früh den Weg ins Privatleben und damit in die rein literarische Tätigkeit gewiesen hat, ist hier¬ durch in den Stand gesetzt worden, der Öffentlichkeit ein Buch zu übergeben, das man als den Ertrag seiner Lebenstätigkeit und seiner persönlichen Erfahrungen bezeichnen kann*). Es sind nicht Denkwürdigkeiten im überlieferten Verstände des Wortes, was dieses Buch enthält, wohl aber in einem höheren und eigentlicheren Sinne. *) „Erlebtes und Zulunftsfragen aus Schulverwaltung, Unterricht und Erziehung." Ein Buch für Freunde deutscher Bildung. Berlin, Weidmannsche Buchhandlung. 1913. VI und 319 Seiten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/513>, abgerufen am 21.12.2024.