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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die irische Renaissance und George Moore

fahrener Dichter begutachten sollte. Moores Scharfblick war es zu danken, daß
unzulängliche Darsteller rechtzeitig durch andere ersetzt wurden, solche, die sich
durch Ueats gutgemeinte Bemühungen, die Vortragsweise der alten Rhapsoden
wieder zu beleben, nicht beirren ließen. Trotzdem geschah es, daß die Premiere
des seither unzählige Male mit Erfolg aufgeführten Ueatsschen Stückes "Lountesg
Latnleen" durchfiel, weil der Dichter hinter dem Rücken des regieführendcn
Freundes in Gglway einen Trupp Landfrauen angeworben hatte, die mit der
schrillen Echtheit ihres Volksgesangs, des navire, die ganz auf verhaltene Töne
gestimmte Poesie des Dramas störten. Der sehr bald nachher aufgeführte Ein¬
akter "Latnleen ni ttoulinan" von Ueats mußte nun freilich unmittelbar zu
den Herzen eines irischen Auditoriums sprechen. Das Stück ist ein Symbol
eingeschlossen in eine einfach und großzügig entwickelte Handlung. Latnleen
ni ttoullnar>! ist bekanntlich einer der poetischen Namen, mit denen irische
Patrioten ihr Land bezeichneten -- in jener Zeit, wo ihnen von Englands
Unduldsamkeit politische Verfolgung aus den geringfügigsten Ursachen drohte.
So besang man die Heimat unter der Maske einer geliebten Frau, und etwas
von dieser von innigstem Fühlen durchtränkten Poesie ist dem Iren auch heute
noch eigen. "Irland ist kein geographischer Begriff, sondern eine Persönlichkeit",
sagt Moore einmal. Bei Ueats nun erscheint Lattileen ni ttoulitmn als ge¬
beugte Greisin, um Hilfe flehend gegen die Fremden, die raubend in ihrem
Hause weilen. Solche Hilfe zu suchen wandert sie rastlos und kann doch als
Lohn nur Tränen und schmählichen Tod verheißen. Aber seit mehr als hundert
Jahren folgen ihr dennoch die besten Männer von Irland und auch der junge
Hochzeiter im Stück verläßt um ihretwillen Braut und Heim und geht der
Davoneilenden nach. Die alten Eltern fragen ihren jüngsten, eben eintretenden
Knaben, wo sie blieb: "Trafst du eine alte Frau auf dem Wege?" "Nein,"
antwortet er; "aber ich sah ein junges Weib und es schritt daher gleich einer
Königin!"

Diesem patriotischen Appell ist der Humor gefolgt, meist in kleinen Ein¬
aktern, die rasch gelernt und rasch verstanden wurden. Es entstand dann auch
in einer merkwürdigen Zusammenarbeit von Moore und Ueats die dramatisierte
Heldenlegende "Diarmuid und Grania", bei der Ueats das Verlangen stellte,
Moore solle den Text französisch schreiben, wonach er ins Englische und dann
ins Irische übersetzt werden sollte. Man merkt aus der gesteigerten Ironie der
Erzählung, daß Moore hier wohl bereits die UnHaltbarkeit der Verbindung
einsah.

Der zweite Band "Salve" bereitet dann auch die Trennung der Wege
vor. Mehr und mehr festigte sich in Moore die Überzeugung, daß Irland allein
seinem orthodoxen Katholizismus den Niedergang zu danken habe. Den schärfsten
Ausdruck fand diese Meinung in einem damals viel erörterten offenen Briefe
an die "IriZNlimes": "Wann wird mein unglückliches Land die Augen von
Rom wenden -- der Ursache all seines Leides? Seit Jahrhunderten hat Rom


Die irische Renaissance und George Moore

fahrener Dichter begutachten sollte. Moores Scharfblick war es zu danken, daß
unzulängliche Darsteller rechtzeitig durch andere ersetzt wurden, solche, die sich
durch Ueats gutgemeinte Bemühungen, die Vortragsweise der alten Rhapsoden
wieder zu beleben, nicht beirren ließen. Trotzdem geschah es, daß die Premiere
des seither unzählige Male mit Erfolg aufgeführten Ueatsschen Stückes „Lountesg
Latnleen" durchfiel, weil der Dichter hinter dem Rücken des regieführendcn
Freundes in Gglway einen Trupp Landfrauen angeworben hatte, die mit der
schrillen Echtheit ihres Volksgesangs, des navire, die ganz auf verhaltene Töne
gestimmte Poesie des Dramas störten. Der sehr bald nachher aufgeführte Ein¬
akter „Latnleen ni ttoulinan" von Ueats mußte nun freilich unmittelbar zu
den Herzen eines irischen Auditoriums sprechen. Das Stück ist ein Symbol
eingeschlossen in eine einfach und großzügig entwickelte Handlung. Latnleen
ni ttoullnar>! ist bekanntlich einer der poetischen Namen, mit denen irische
Patrioten ihr Land bezeichneten — in jener Zeit, wo ihnen von Englands
Unduldsamkeit politische Verfolgung aus den geringfügigsten Ursachen drohte.
So besang man die Heimat unter der Maske einer geliebten Frau, und etwas
von dieser von innigstem Fühlen durchtränkten Poesie ist dem Iren auch heute
noch eigen. „Irland ist kein geographischer Begriff, sondern eine Persönlichkeit",
sagt Moore einmal. Bei Ueats nun erscheint Lattileen ni ttoulitmn als ge¬
beugte Greisin, um Hilfe flehend gegen die Fremden, die raubend in ihrem
Hause weilen. Solche Hilfe zu suchen wandert sie rastlos und kann doch als
Lohn nur Tränen und schmählichen Tod verheißen. Aber seit mehr als hundert
Jahren folgen ihr dennoch die besten Männer von Irland und auch der junge
Hochzeiter im Stück verläßt um ihretwillen Braut und Heim und geht der
Davoneilenden nach. Die alten Eltern fragen ihren jüngsten, eben eintretenden
Knaben, wo sie blieb: „Trafst du eine alte Frau auf dem Wege?" „Nein,"
antwortet er; „aber ich sah ein junges Weib und es schritt daher gleich einer
Königin!"

Diesem patriotischen Appell ist der Humor gefolgt, meist in kleinen Ein¬
aktern, die rasch gelernt und rasch verstanden wurden. Es entstand dann auch
in einer merkwürdigen Zusammenarbeit von Moore und Ueats die dramatisierte
Heldenlegende „Diarmuid und Grania", bei der Ueats das Verlangen stellte,
Moore solle den Text französisch schreiben, wonach er ins Englische und dann
ins Irische übersetzt werden sollte. Man merkt aus der gesteigerten Ironie der
Erzählung, daß Moore hier wohl bereits die UnHaltbarkeit der Verbindung
einsah.

Der zweite Band „Salve" bereitet dann auch die Trennung der Wege
vor. Mehr und mehr festigte sich in Moore die Überzeugung, daß Irland allein
seinem orthodoxen Katholizismus den Niedergang zu danken habe. Den schärfsten
Ausdruck fand diese Meinung in einem damals viel erörterten offenen Briefe
an die „IriZNlimes": „Wann wird mein unglückliches Land die Augen von
Rom wenden — der Ursache all seines Leides? Seit Jahrhunderten hat Rom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/50>, abgerufen am 27.07.2024.