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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

es, als sei jede menschliche Wohnstätte unter ihnen im Meer versunken. Zeit-
und raumlos flogen sie durch den leuchtenden Äther hin, berauscht von dem
Bewußtsein, teilzunehmen am Wandel der Sterne.

"Was sind wir? Atom oder Welt?" fragte Paul, die Stille unterbrechend.

"Verirrte sind wir! Schwärmer, Phrasenmacher, Genußmenschen, Egoisten,
Verbrecher, Verräter!"

Der Russe war aufgesprungen und hieb mit den Fäusten den Akzent zu
seinen Worten in die Luft.

Paul lächelte schmerzlich. Der Ausbruch klang mißtönend hinein in die
wundervolle Stimmung dieses milden, südlichen Abends.

Da nahten sich leichte Schritte, und der Schein eines Windlichts verlöschte
mit einem Schlag das Bild der Welten draußen. Eine andere, eng umgrenzte
war dafür aus dem Dunkel gezaubert. Sie ging nicht weiter, als der Kerzen¬
schein reichte, aber sie bot Farben und Schönheit genug zum Ersatz.

Außer dem Windlicht trug Angölique ein wahres Stilleben guter Dinge
auf ihrem Tablett. Rubinrot leuchtete der Wein in der langhalstgen Flasche,
goldene Orangen, tiefblaue Trauben, braune Feigen, ins Grün der Weinblätter
gebettet, türmten sich neben einer saftigen Schnitte gelben Käse. Knuspriges
Weißbrot lag dabei. Aber mehr als diese frugalen Leckerbissen lenkte das
Mädchen selber das Auge auf sich.

"Krassawiza!"*) murmelte Wasslijew. Aus seinem schwarzen Bart blitzten die
weißen Zähne in wohlgefälliger Überraschung.

Mit heiterer Anmut begrüßte die Wirtstochter ihre Gäste.

"Ich habe Ihnen doch meinen Freund bringen müssen, ma petits amis,"
sagte Paul von der Borke.

Das Mädchen setzte ihr Tablett ab. "Sicher auch ein Russe!" meinte sie,
und während sie sich die schwarzen Haare aus der Stirn strich, sahen ihre
sanften grauen Augen den Fremden ruhig an.

"Alle Russen blicken ernst! Aber das mögen wir gerade. Deshalb haben
wir uns ja mit Euch verbündet. Wir ergänzen uns so gut!"

Wasslijew lachte: "Auch eine politische Begründung!"

"Also trinken wir auf unser Bündnis!" Paul schenkte ein, und das
Mädchen nippte an dem Glas, das ihr der Russe ritterlich darbot. Sie lachte
hell auf, als er die Stelle suchte, die ihre Lippen berührt hatten: "Fröhlich
sein, steht Ihnen auch gut!"

Ihr heiteres Geplauder bewirkte, daß die Wandlung, die sich in der
Stimmung des Russen vollzogen hatte, anhielt.

Paul von der Borke beobachtete die beiden. Worte sind Schall und Rauch,
dachte er in Erinnerung an die leidenschaftliche Selbstanklage, die eben noch
unter dieser Laube in die Welt hinausgeschleudert wurde.



*) Eine Schönheit!
Sturm

es, als sei jede menschliche Wohnstätte unter ihnen im Meer versunken. Zeit-
und raumlos flogen sie durch den leuchtenden Äther hin, berauscht von dem
Bewußtsein, teilzunehmen am Wandel der Sterne.

„Was sind wir? Atom oder Welt?" fragte Paul, die Stille unterbrechend.

„Verirrte sind wir! Schwärmer, Phrasenmacher, Genußmenschen, Egoisten,
Verbrecher, Verräter!"

Der Russe war aufgesprungen und hieb mit den Fäusten den Akzent zu
seinen Worten in die Luft.

Paul lächelte schmerzlich. Der Ausbruch klang mißtönend hinein in die
wundervolle Stimmung dieses milden, südlichen Abends.

Da nahten sich leichte Schritte, und der Schein eines Windlichts verlöschte
mit einem Schlag das Bild der Welten draußen. Eine andere, eng umgrenzte
war dafür aus dem Dunkel gezaubert. Sie ging nicht weiter, als der Kerzen¬
schein reichte, aber sie bot Farben und Schönheit genug zum Ersatz.

Außer dem Windlicht trug Angölique ein wahres Stilleben guter Dinge
auf ihrem Tablett. Rubinrot leuchtete der Wein in der langhalstgen Flasche,
goldene Orangen, tiefblaue Trauben, braune Feigen, ins Grün der Weinblätter
gebettet, türmten sich neben einer saftigen Schnitte gelben Käse. Knuspriges
Weißbrot lag dabei. Aber mehr als diese frugalen Leckerbissen lenkte das
Mädchen selber das Auge auf sich.

„Krassawiza!"*) murmelte Wasslijew. Aus seinem schwarzen Bart blitzten die
weißen Zähne in wohlgefälliger Überraschung.

Mit heiterer Anmut begrüßte die Wirtstochter ihre Gäste.

„Ich habe Ihnen doch meinen Freund bringen müssen, ma petits amis,"
sagte Paul von der Borke.

Das Mädchen setzte ihr Tablett ab. „Sicher auch ein Russe!" meinte sie,
und während sie sich die schwarzen Haare aus der Stirn strich, sahen ihre
sanften grauen Augen den Fremden ruhig an.

„Alle Russen blicken ernst! Aber das mögen wir gerade. Deshalb haben
wir uns ja mit Euch verbündet. Wir ergänzen uns so gut!"

Wasslijew lachte: „Auch eine politische Begründung!"

„Also trinken wir auf unser Bündnis!" Paul schenkte ein, und das
Mädchen nippte an dem Glas, das ihr der Russe ritterlich darbot. Sie lachte
hell auf, als er die Stelle suchte, die ihre Lippen berührt hatten: „Fröhlich
sein, steht Ihnen auch gut!"

Ihr heiteres Geplauder bewirkte, daß die Wandlung, die sich in der
Stimmung des Russen vollzogen hatte, anhielt.

Paul von der Borke beobachtete die beiden. Worte sind Schall und Rauch,
dachte er in Erinnerung an die leidenschaftliche Selbstanklage, die eben noch
unter dieser Laube in die Welt hinausgeschleudert wurde.



*) Eine Schönheit!
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[0488] Sturm es, als sei jede menschliche Wohnstätte unter ihnen im Meer versunken. Zeit- und raumlos flogen sie durch den leuchtenden Äther hin, berauscht von dem Bewußtsein, teilzunehmen am Wandel der Sterne. „Was sind wir? Atom oder Welt?" fragte Paul, die Stille unterbrechend. „Verirrte sind wir! Schwärmer, Phrasenmacher, Genußmenschen, Egoisten, Verbrecher, Verräter!" Der Russe war aufgesprungen und hieb mit den Fäusten den Akzent zu seinen Worten in die Luft. Paul lächelte schmerzlich. Der Ausbruch klang mißtönend hinein in die wundervolle Stimmung dieses milden, südlichen Abends. Da nahten sich leichte Schritte, und der Schein eines Windlichts verlöschte mit einem Schlag das Bild der Welten draußen. Eine andere, eng umgrenzte war dafür aus dem Dunkel gezaubert. Sie ging nicht weiter, als der Kerzen¬ schein reichte, aber sie bot Farben und Schönheit genug zum Ersatz. Außer dem Windlicht trug Angölique ein wahres Stilleben guter Dinge auf ihrem Tablett. Rubinrot leuchtete der Wein in der langhalstgen Flasche, goldene Orangen, tiefblaue Trauben, braune Feigen, ins Grün der Weinblätter gebettet, türmten sich neben einer saftigen Schnitte gelben Käse. Knuspriges Weißbrot lag dabei. Aber mehr als diese frugalen Leckerbissen lenkte das Mädchen selber das Auge auf sich. „Krassawiza!"*) murmelte Wasslijew. Aus seinem schwarzen Bart blitzten die weißen Zähne in wohlgefälliger Überraschung. Mit heiterer Anmut begrüßte die Wirtstochter ihre Gäste. „Ich habe Ihnen doch meinen Freund bringen müssen, ma petits amis," sagte Paul von der Borke. Das Mädchen setzte ihr Tablett ab. „Sicher auch ein Russe!" meinte sie, und während sie sich die schwarzen Haare aus der Stirn strich, sahen ihre sanften grauen Augen den Fremden ruhig an. „Alle Russen blicken ernst! Aber das mögen wir gerade. Deshalb haben wir uns ja mit Euch verbündet. Wir ergänzen uns so gut!" Wasslijew lachte: „Auch eine politische Begründung!" „Also trinken wir auf unser Bündnis!" Paul schenkte ein, und das Mädchen nippte an dem Glas, das ihr der Russe ritterlich darbot. Sie lachte hell auf, als er die Stelle suchte, die ihre Lippen berührt hatten: „Fröhlich sein, steht Ihnen auch gut!" Ihr heiteres Geplauder bewirkte, daß die Wandlung, die sich in der Stimmung des Russen vollzogen hatte, anhielt. Paul von der Borke beobachtete die beiden. Worte sind Schall und Rauch, dachte er in Erinnerung an die leidenschaftliche Selbstanklage, die eben noch unter dieser Laube in die Welt hinausgeschleudert wurde. *) Eine Schönheit!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/488>, abgerufen am 27.07.2024.