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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Richard Ivagner eontrs Linn Ludwig

zuschätzen gelernt hatte, gerade sie war wie geschaffen zu dem Unterfangen, im
Kunstwerk nicht die Kunst, sondern die Lehre zu suchen, es gewissermaßen auf
eine logische Gleichung ohne Unbekannten zurückzuführen. Sie mußte das Ton¬
werk um so höher schätzen, je mehr sein Motivgefüge auch einem geringen Musik¬
verständnis etwas zu offenbaren schien*). Und gerade dieses Motivgefüge hat
zur verstandesmäßigen Auslegung der Wagnerschen Musik geführt. Es schien
nun alles so leicht: auch denen, für die jede Musik bis dahin unzugänglich
gewesen war, erschloß sich nun eine ganze Welt von Gedanken. Und es ist
gewiß kerr Zufall, daß ein so großer Teil gerade der "philosophischen" Wagnerianer
gänzlich unmusikalisch ist.

Wohin dieses "Denken mit der Quint und Text" geführt hat, können wir
ab und zu noch heute schaudernd erleben. Ich las neulich in der Neuen
Rundschau eine Arbeit von Bernhard Shaw, in der auf dem Ring ein ganzes
Gebäude nicht nur einer Philosophie, sondern sogar einer Volkswirtschaft auf¬
gebaut war: "Wer aber ein solcher Tor ist zu sagen, der Ring sei ein sogenanntes
Kunstwerk und habe als solches nichts mit Fettaktien und Börsenwerten zu tun,
wer so töricht ist, dem sei das Wort des Meisters entgegengehalten. . ." usw.

So ungefähr war der Wortlaut. Man spreche diesen Unsinn nach und
höre dann den goldenen Hörnersatz des Walhallmotivs oder die gramvolle
chromatische Folge der Wandererakkorde, denke wieder an Shaws Fettaktien und
Vörsenwerte und entscheide dann zum Schluß selbst, wer zuerst, wer stärker war:
Wagner der Musikant oder Wagner der Philosoph und Volkswirt!

Kennzeichnend ist es auch, daß die Musiker, die Wagner gezeugt hat, sich
um seine Philosophie überhaupt nicht gekümmert haben: wer Model und Fischer
gekannt hat, wird vergeblich in ihrem Verhältnis zu Wagner nach ihr suchen.
Und Hans Richters wohlgefügte, dauerhafte Männlichkeit läßt nicht viel Gedanken
an einen weltentsagenden Pessimismus aufkommen. Von den Jungen, die an
Wagner ansetzen, ganz zu schweigen.

Und jetzt erst kann ich wieder von der neuen Gegnerschaft Wagners
sprechen. Es ist ihre Achillesferse, daß sie eben diese ganze Torheit dieses
"Gedankenlesens" mitmachen. Auch Friederich Huchs, des nun viel zu früh
geschiedenen, "Enzio" ist nicht davon freizusprechen. Emil Ludwigs Buch gar
setzt sich zu drei Vierteln seines Umfanges mit Wagners Philosophie aus¬
einander.

Sie sind denselben Weg gegangen wie ihre Väter. Sie haben alle aus
dem Orchester des Ringes, wie es der Meister befahl, die Nebelwelt Schopen-



*) Zu dieser Art Kunstpriestertun: gehört auch das Bemühen, die Themen symphonischer
Werke auf irgendwelche Naturlaute (Mühlenklappern, Kuckuksrufe usw.) zurückzuführen: ich
glaube, daß dem Beethoven, der die Pochende, rüttelnde große Terz an den Anfang seiner
Promethischen fünften Symphonie setzte, alles andere im Kopfe summte als Kuckuksrufe I Daß
Wagner nicht ein einziges Motiv hat, zu dem sich ein -solcher Naturlaut herbeiklügeln läßt,
macht Ludwig ihm zum schweren Vorwurf.
Richard Ivagner eontrs Linn Ludwig

zuschätzen gelernt hatte, gerade sie war wie geschaffen zu dem Unterfangen, im
Kunstwerk nicht die Kunst, sondern die Lehre zu suchen, es gewissermaßen auf
eine logische Gleichung ohne Unbekannten zurückzuführen. Sie mußte das Ton¬
werk um so höher schätzen, je mehr sein Motivgefüge auch einem geringen Musik¬
verständnis etwas zu offenbaren schien*). Und gerade dieses Motivgefüge hat
zur verstandesmäßigen Auslegung der Wagnerschen Musik geführt. Es schien
nun alles so leicht: auch denen, für die jede Musik bis dahin unzugänglich
gewesen war, erschloß sich nun eine ganze Welt von Gedanken. Und es ist
gewiß kerr Zufall, daß ein so großer Teil gerade der „philosophischen" Wagnerianer
gänzlich unmusikalisch ist.

Wohin dieses „Denken mit der Quint und Text" geführt hat, können wir
ab und zu noch heute schaudernd erleben. Ich las neulich in der Neuen
Rundschau eine Arbeit von Bernhard Shaw, in der auf dem Ring ein ganzes
Gebäude nicht nur einer Philosophie, sondern sogar einer Volkswirtschaft auf¬
gebaut war: „Wer aber ein solcher Tor ist zu sagen, der Ring sei ein sogenanntes
Kunstwerk und habe als solches nichts mit Fettaktien und Börsenwerten zu tun,
wer so töricht ist, dem sei das Wort des Meisters entgegengehalten. . ." usw.

So ungefähr war der Wortlaut. Man spreche diesen Unsinn nach und
höre dann den goldenen Hörnersatz des Walhallmotivs oder die gramvolle
chromatische Folge der Wandererakkorde, denke wieder an Shaws Fettaktien und
Vörsenwerte und entscheide dann zum Schluß selbst, wer zuerst, wer stärker war:
Wagner der Musikant oder Wagner der Philosoph und Volkswirt!

Kennzeichnend ist es auch, daß die Musiker, die Wagner gezeugt hat, sich
um seine Philosophie überhaupt nicht gekümmert haben: wer Model und Fischer
gekannt hat, wird vergeblich in ihrem Verhältnis zu Wagner nach ihr suchen.
Und Hans Richters wohlgefügte, dauerhafte Männlichkeit läßt nicht viel Gedanken
an einen weltentsagenden Pessimismus aufkommen. Von den Jungen, die an
Wagner ansetzen, ganz zu schweigen.

Und jetzt erst kann ich wieder von der neuen Gegnerschaft Wagners
sprechen. Es ist ihre Achillesferse, daß sie eben diese ganze Torheit dieses
„Gedankenlesens" mitmachen. Auch Friederich Huchs, des nun viel zu früh
geschiedenen, „Enzio" ist nicht davon freizusprechen. Emil Ludwigs Buch gar
setzt sich zu drei Vierteln seines Umfanges mit Wagners Philosophie aus¬
einander.

Sie sind denselben Weg gegangen wie ihre Väter. Sie haben alle aus
dem Orchester des Ringes, wie es der Meister befahl, die Nebelwelt Schopen-



*) Zu dieser Art Kunstpriestertun: gehört auch das Bemühen, die Themen symphonischer
Werke auf irgendwelche Naturlaute (Mühlenklappern, Kuckuksrufe usw.) zurückzuführen: ich
glaube, daß dem Beethoven, der die Pochende, rüttelnde große Terz an den Anfang seiner
Promethischen fünften Symphonie setzte, alles andere im Kopfe summte als Kuckuksrufe I Daß
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macht Ludwig ihm zum schweren Vorwurf.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/481>, abgerufen am 28.07.2024.