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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Richard Wagner contra Linn Ludwig

Überschwer mag das Unternehmen erscheinen, diesen "Intellektualismus" zu
bekämpfen. Wer mich in meiner Ansicht niederringen will, hat scheinbar einen
starken Gegner zur Seite, denselben, den er im ersten Teil meiner Arbeit
neben sich hatte: dieser Helfer heißt Richard Wagner. Richard Wagner, der
nicht müde geworden ist, selbst von dem philosophischen Gehalt seiner Werke
zu sprechen, der in unzähligen Schriften den theoretischen Unterschied seiner
Werke von der Oper erörtert hat, der die Motive so benannt hat, wie sie
heute noch in Klavierauszügen, Textbüchern, Erläuterungen immer benannt
werden.

Daß Wagners Freunde und Feinde von heute eben von Wagners Wort
ausgehen, nicht seine Werke lieben, sondern immer nur das, was er von diesen
Werken gesagt hat, das kennzeichnet sie beide, Freunde und Feinde, als unzu¬
länglich. Daß das Genie ein so wunderliches, von der eigenen Bewußtheit so
unabhängiges Ding ist, daß es seine Werke oft selbst nicht im rechten Licht
sieht, ihnen Werte zuschreibt, die sie nicht haben und andere, die unbewußt
geschaffen darinnen sind, überhaupt nicht erkennt, das alles ist am Ende nicht
so selten. Daß Künstler nach der Tat, nach der Geburt ihres Werkes über
ihr Geschöpf sinnen und grübeln, es nicht bei der aus dem Unbewußten
gekommenen Schöpfung bewenden lassen, sondern hinterher mit dem Gedanken,
mit dem Symbol spielen, das ist eine Erscheinung, die um so häufiger ist, je
mehr der Künstler in seiner eigenen Seele Zwiste zu schlichten hat, je weniger
er über den Kämpfen seiner eigenen Zeit steht. In manchem Künstlerleben
der Renaissance finden wir dieselbe Erscheinung. Bei Wagner sehen wir die
Phase des Grübelns immer dann am deutlichsten, wenn er, der sprunghaft und
im Sturm Schaffende sein Werk vollendet hatte, wenn nach der Zeit der uner¬
hörten Anspannung die der Erschlaffung gekommen war: der Ring, das nächst
dem Parsifal heute am meisten befehdete Werk, war vor seiner Philosophie.

Und gerade ein Mann, dessen Leben so wenig das Glück des Ebenmaßes
gekannt hat, gerade der mußte der Gefahr erliegen, in seinem Werk nachträglich
die ungeklärten Wünsche seiner Zeit, das trübe Grau Schopenhauers zu sehen,
das für den, der diesem Werk unbefangen naht, nicht darinnen ist. Ein
Mann mit diesem Dämonenwillen, Anhänger zu sammeln mußte ganz anders
als andere versucht sein, nach einer Formel sür seine Schöpfung zu suchen und
mit dieser Formel die ersten Anhänger und Schüler zu gewinnen.

Hier aber liegt der Irrtum, der tragische des Meisters: eben diese Formel
war unzulänglich. Und doch glaubte er mit ihr sein Werk umspannt zu haben
und überantwortete es auf diese Weise dem Hirn und nicht dem Herzen der
Seinen -- Richard Wagner gegen Richard Wagner.

Nun war aber seine Zeit viel zu weit entfernt von jener glücklichen Einfalt
des Herzens und der Frische und Unbefangenheit der Sinne, ohne die man
nicht den rechten Weg zum Schönen findet. Gerade diese Zeit, die Erkenntnisse
und technischen Fortschritte des neunzehnten Jahrhunderts noch nicht richtig ein-


Richard Wagner contra Linn Ludwig

Überschwer mag das Unternehmen erscheinen, diesen „Intellektualismus" zu
bekämpfen. Wer mich in meiner Ansicht niederringen will, hat scheinbar einen
starken Gegner zur Seite, denselben, den er im ersten Teil meiner Arbeit
neben sich hatte: dieser Helfer heißt Richard Wagner. Richard Wagner, der
nicht müde geworden ist, selbst von dem philosophischen Gehalt seiner Werke
zu sprechen, der in unzähligen Schriften den theoretischen Unterschied seiner
Werke von der Oper erörtert hat, der die Motive so benannt hat, wie sie
heute noch in Klavierauszügen, Textbüchern, Erläuterungen immer benannt
werden.

Daß Wagners Freunde und Feinde von heute eben von Wagners Wort
ausgehen, nicht seine Werke lieben, sondern immer nur das, was er von diesen
Werken gesagt hat, das kennzeichnet sie beide, Freunde und Feinde, als unzu¬
länglich. Daß das Genie ein so wunderliches, von der eigenen Bewußtheit so
unabhängiges Ding ist, daß es seine Werke oft selbst nicht im rechten Licht
sieht, ihnen Werte zuschreibt, die sie nicht haben und andere, die unbewußt
geschaffen darinnen sind, überhaupt nicht erkennt, das alles ist am Ende nicht
so selten. Daß Künstler nach der Tat, nach der Geburt ihres Werkes über
ihr Geschöpf sinnen und grübeln, es nicht bei der aus dem Unbewußten
gekommenen Schöpfung bewenden lassen, sondern hinterher mit dem Gedanken,
mit dem Symbol spielen, das ist eine Erscheinung, die um so häufiger ist, je
mehr der Künstler in seiner eigenen Seele Zwiste zu schlichten hat, je weniger
er über den Kämpfen seiner eigenen Zeit steht. In manchem Künstlerleben
der Renaissance finden wir dieselbe Erscheinung. Bei Wagner sehen wir die
Phase des Grübelns immer dann am deutlichsten, wenn er, der sprunghaft und
im Sturm Schaffende sein Werk vollendet hatte, wenn nach der Zeit der uner¬
hörten Anspannung die der Erschlaffung gekommen war: der Ring, das nächst
dem Parsifal heute am meisten befehdete Werk, war vor seiner Philosophie.

Und gerade ein Mann, dessen Leben so wenig das Glück des Ebenmaßes
gekannt hat, gerade der mußte der Gefahr erliegen, in seinem Werk nachträglich
die ungeklärten Wünsche seiner Zeit, das trübe Grau Schopenhauers zu sehen,
das für den, der diesem Werk unbefangen naht, nicht darinnen ist. Ein
Mann mit diesem Dämonenwillen, Anhänger zu sammeln mußte ganz anders
als andere versucht sein, nach einer Formel sür seine Schöpfung zu suchen und
mit dieser Formel die ersten Anhänger und Schüler zu gewinnen.

Hier aber liegt der Irrtum, der tragische des Meisters: eben diese Formel
war unzulänglich. Und doch glaubte er mit ihr sein Werk umspannt zu haben
und überantwortete es auf diese Weise dem Hirn und nicht dem Herzen der
Seinen — Richard Wagner gegen Richard Wagner.

Nun war aber seine Zeit viel zu weit entfernt von jener glücklichen Einfalt
des Herzens und der Frische und Unbefangenheit der Sinne, ohne die man
nicht den rechten Weg zum Schönen findet. Gerade diese Zeit, die Erkenntnisse
und technischen Fortschritte des neunzehnten Jahrhunderts noch nicht richtig ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/480>, abgerufen am 27.07.2024.