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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Richard ZVagner contra Linn Ludwig

erlebt haben, so anmaßend einem Genius gleichzustellen, dem zwei Jahr¬
hunderte und ein halbes die Göttlichkeit zugesprochen haben?

Was wir von dieser Seite noch hören werden, ist noch vom vorjährigen
Parsifalstreit in guter Erinnerung: "Unerhört schwerverständliche Werke, die
nun einmal für die Masse nicht bestimmt sind. Werke voll der tiefsten
Philosophie und der letzten Regungen der christlichen Gefühlswelt."

So ungefähr konnten wir es vor einem Jahr jeden Tag lesen. Und ohne
diese Hymnen geht es nicht. Unerhört schwierig? Wagners Werke sind dem
Verständnis leichter zugänglich, als irgend eine andere Musik des neunzehnten
Jahrhunderts. Und der Figaro setzt an Kultur und Empfindlichkeit der Sinne
bei seinen Hörern mehr voraus, als der Parsifal. Von den Gründen spreche
ich noch.

Nun soll man mir nicht den Vorwurf machen, ich wende mich gegen die
Partei Glasenapp und nicht, wie ich es angekündigt habe, gegen die Partei
Emil Ludwig. Aber ich mußte sagen, was ich gesagt habe: weil sich eben
aus diesem Wagnerianertum alten Schlages die neue Gegnerschaft von der
Art Ludwigs ganz folgerichtig entwickelt hat. Und ich habe mit guter Absicht
an das Wort von den Werken voll tiefster Philosophie und an die christlichen
Mysterien erinnert: weil eben in diesem Satz die Schwäche nicht nur der
Wagnerliebe Glasenappschen, sondern auch die Wagnerfeindschaft Ludwigschen
Typs enthalten ist. Weil hier die Falle verborgen ist, in die sie beide
geraten sind. Und diese Falle heißt: die intellektuelle Betrachtung Wagnerscher
Kunst, das Aufnehmen seiner Werke mit dem Großhirn, nicht mit dem Ohr
und Auge und mit dem Organ von Lieben und Hassen. Und um von vorn¬
herein lieber etwas zu deutlich als zu undeutlich zu erscheinen, füge ich hinzu:
wir, d. h. die, die sich in ihrem Verhältnis zu Wagner vor dem einen wie
vor dem anderen Übermaß zu hüten wußten, sehen in seinen Werken des
Großgefügten, des Erschütternden wie des Entzückenden so viel, daß wir der
Philosophie entraten können, ja, daß wir sie für zehn Takte des Meistersinger-
oder Tristanvorspiels mit Freuden hingeben. Auch -- um der Geringschätzung
zu begegnen, die Herr Ludwig für den Ring hegt -- für zehn Takte des
Nheingoldvorspiels.

Was ich hier unter Intellektualismus im Wagnerausnehmen verstehe,
habe ich schon im großen Umriß gezeigt. Im einzelnen gehört zu diesem
Begriff nicht nur das Bestreben, im Ring nur das Handbuch einer gewissen
Philosophie zu sehen, sondern auch die ganze Theoretisiererei über das Mustk-
drama in seinem Unterschied von der Oper und -- als Sünde wider den
heiligen Geist der Musik -- ihr Aufnehmen mit dem Verstand, der an den
Wagnerschen Motiven haftet und aus ihrer Wiederkehr und ihrer Variierung
ein gedankliches Gebäude sich zimmert.

Auf diesem Boden aber sind sie beide gewachsen, Wagnerianer von gestern
und Wagnergegner von heute.


Richard ZVagner contra Linn Ludwig

erlebt haben, so anmaßend einem Genius gleichzustellen, dem zwei Jahr¬
hunderte und ein halbes die Göttlichkeit zugesprochen haben?

Was wir von dieser Seite noch hören werden, ist noch vom vorjährigen
Parsifalstreit in guter Erinnerung: „Unerhört schwerverständliche Werke, die
nun einmal für die Masse nicht bestimmt sind. Werke voll der tiefsten
Philosophie und der letzten Regungen der christlichen Gefühlswelt."

So ungefähr konnten wir es vor einem Jahr jeden Tag lesen. Und ohne
diese Hymnen geht es nicht. Unerhört schwierig? Wagners Werke sind dem
Verständnis leichter zugänglich, als irgend eine andere Musik des neunzehnten
Jahrhunderts. Und der Figaro setzt an Kultur und Empfindlichkeit der Sinne
bei seinen Hörern mehr voraus, als der Parsifal. Von den Gründen spreche
ich noch.

Nun soll man mir nicht den Vorwurf machen, ich wende mich gegen die
Partei Glasenapp und nicht, wie ich es angekündigt habe, gegen die Partei
Emil Ludwig. Aber ich mußte sagen, was ich gesagt habe: weil sich eben
aus diesem Wagnerianertum alten Schlages die neue Gegnerschaft von der
Art Ludwigs ganz folgerichtig entwickelt hat. Und ich habe mit guter Absicht
an das Wort von den Werken voll tiefster Philosophie und an die christlichen
Mysterien erinnert: weil eben in diesem Satz die Schwäche nicht nur der
Wagnerliebe Glasenappschen, sondern auch die Wagnerfeindschaft Ludwigschen
Typs enthalten ist. Weil hier die Falle verborgen ist, in die sie beide
geraten sind. Und diese Falle heißt: die intellektuelle Betrachtung Wagnerscher
Kunst, das Aufnehmen seiner Werke mit dem Großhirn, nicht mit dem Ohr
und Auge und mit dem Organ von Lieben und Hassen. Und um von vorn¬
herein lieber etwas zu deutlich als zu undeutlich zu erscheinen, füge ich hinzu:
wir, d. h. die, die sich in ihrem Verhältnis zu Wagner vor dem einen wie
vor dem anderen Übermaß zu hüten wußten, sehen in seinen Werken des
Großgefügten, des Erschütternden wie des Entzückenden so viel, daß wir der
Philosophie entraten können, ja, daß wir sie für zehn Takte des Meistersinger-
oder Tristanvorspiels mit Freuden hingeben. Auch — um der Geringschätzung
zu begegnen, die Herr Ludwig für den Ring hegt — für zehn Takte des
Nheingoldvorspiels.

Was ich hier unter Intellektualismus im Wagnerausnehmen verstehe,
habe ich schon im großen Umriß gezeigt. Im einzelnen gehört zu diesem
Begriff nicht nur das Bestreben, im Ring nur das Handbuch einer gewissen
Philosophie zu sehen, sondern auch die ganze Theoretisiererei über das Mustk-
drama in seinem Unterschied von der Oper und — als Sünde wider den
heiligen Geist der Musik — ihr Aufnehmen mit dem Verstand, der an den
Wagnerschen Motiven haftet und aus ihrer Wiederkehr und ihrer Variierung
ein gedankliches Gebäude sich zimmert.

Auf diesem Boden aber sind sie beide gewachsen, Wagnerianer von gestern
und Wagnergegner von heute.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/479>, abgerufen am 21.12.2024.