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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die irische Renaissance und George Moore

wie nie gehörte Harmonien. Allerlei Kindheitserinnerungen spielten eine weich¬
lockende Begleitung; er erzählt, wie er sich als Knabe einst in die Wildnis ge¬
wagt und angelnd am Eingang einer Felshöhle den Elfenkönig gesehen habe.
Und das Kind habe ihn gefragt, wie weit es von Kingstown ins Elfenreich
wäre. Darauf habe jener geantwortet, daß sich allmonatlich aus dem Meere
eine große Welle höbe, von der müsse man sich mitnehmen lassen und dann der
nächsten warten und ein Stück weiter wiederum der nächsten, bis zur neunten.
Diese aber trüge den erdenmüden Wanderer ins Elfenland. -- So erzählt der
Mann, der seinen Dichtungen stets den Reiz persönlicher Bekenntnisse zu geben
weiß, mit schlicht überzeugender Innigkeit, und der Leser, dem die Geschichte der
Mischen Literatur nicht fremd ist, spürt in solchen und ähnlichen Stellen intensiv
die Stimme des keltischen Bluts und fühlt, daß sie für ein sensitives Dichtcr-
gemüt recht wohl die Form hörbarer Rede annehmen konnte.,

Wenn jedoch die ererbten Impulse ein Teil des Menschen sind, so bildet
sich der andere durch Erziehung und Umgebung. Der George Moore, der mit
den Mystikern Jeats und Russell rasch Freundschaft schließt und die alte Schul¬
kameradschaft mit dem rechtgläubigen Katholiken Edward Martyn herzlich er¬
neuert, kann sein altes Selbst nicht verleugnen. Der Künstler in ihm gibt sich
der neuen Gedankenwelt gefangen, der Philosoph steht beobachtend daneben,
selten würdigend und anerkennend, oft unzufrieden kritisch und im Laufe der
Zeit mehr und mehr ernüchtert. Das erste in jener Zeit entstandene Buch, die
8kort 8tot^-Sammlung "l'Ke untilleä t^iolä" offenbart sehr deutlich die Ent¬
täuschung, die am großen Werke Schaffenden gar so oft in Träumen hin¬
dämmern und darüber die im Augenblick notwendige Tat verpassen zu sehen.
Dunkler Nebel der Mutlosigkeit liegt über dem kleinen Buch, das dennoch
in bezug auf künstlerisch plastische Gestaltung sehr hoch bewertetwerden muß, besonders
im Vergleich zu den landläufigen Erscheinungen der schönen Literatur in England.
Der drei Jahre später erschienene Roman "T'Ke I^sKe" urteilt schon milder,
bereitet aber gleichzeitig das philosophische Fazit vor, das Moore aus seinen
Erfahrungen in Irland einerseits für die Sache der Mischen Renaissance,
anderseits für sich selbst zieht. Klar ausgesprochen wird es am Schluß der
zusammengehörenden Bände "etait ana I^aröwsII": "v^ve" und "Salve" (diese,
wie die andern hier genannten Werke Moores, sind in der Tauchnitz-Ausgabe
zugänglich), die in der Form reizvoll hingeplauderter Erinnerungen eine Dar¬
stellung der Bewegung geben und durch manche Offenherzigkeit von einigen der
ernsthaften Enthusiasten vielleicht nicht ganz angenehm empfunden werden können.
Solcher Empfindlichkeit zu begegnen, ist ein kurzes Vorwort vorangestellt worden,
das darauf hinweist, der Dichter habe sein Material auf die nämliche Art ver¬
arbeitet, wie er es im Roman tun würde. Ein Vorbehalt ähnlich demjenigen,
wie ihn Goethe seinem "Dichtung und Wahrheit" beigegeben hat, nur daß der
feinfühlige Leser hier sehr viel klarer zu scheiden imstande sein wird. Denn
die geschilderte Periode liegt ja der Gegenwart um soviel näher, und der


Die irische Renaissance und George Moore

wie nie gehörte Harmonien. Allerlei Kindheitserinnerungen spielten eine weich¬
lockende Begleitung; er erzählt, wie er sich als Knabe einst in die Wildnis ge¬
wagt und angelnd am Eingang einer Felshöhle den Elfenkönig gesehen habe.
Und das Kind habe ihn gefragt, wie weit es von Kingstown ins Elfenreich
wäre. Darauf habe jener geantwortet, daß sich allmonatlich aus dem Meere
eine große Welle höbe, von der müsse man sich mitnehmen lassen und dann der
nächsten warten und ein Stück weiter wiederum der nächsten, bis zur neunten.
Diese aber trüge den erdenmüden Wanderer ins Elfenland. — So erzählt der
Mann, der seinen Dichtungen stets den Reiz persönlicher Bekenntnisse zu geben
weiß, mit schlicht überzeugender Innigkeit, und der Leser, dem die Geschichte der
Mischen Literatur nicht fremd ist, spürt in solchen und ähnlichen Stellen intensiv
die Stimme des keltischen Bluts und fühlt, daß sie für ein sensitives Dichtcr-
gemüt recht wohl die Form hörbarer Rede annehmen konnte.,

Wenn jedoch die ererbten Impulse ein Teil des Menschen sind, so bildet
sich der andere durch Erziehung und Umgebung. Der George Moore, der mit
den Mystikern Jeats und Russell rasch Freundschaft schließt und die alte Schul¬
kameradschaft mit dem rechtgläubigen Katholiken Edward Martyn herzlich er¬
neuert, kann sein altes Selbst nicht verleugnen. Der Künstler in ihm gibt sich
der neuen Gedankenwelt gefangen, der Philosoph steht beobachtend daneben,
selten würdigend und anerkennend, oft unzufrieden kritisch und im Laufe der
Zeit mehr und mehr ernüchtert. Das erste in jener Zeit entstandene Buch, die
8kort 8tot^-Sammlung „l'Ke untilleä t^iolä" offenbart sehr deutlich die Ent¬
täuschung, die am großen Werke Schaffenden gar so oft in Träumen hin¬
dämmern und darüber die im Augenblick notwendige Tat verpassen zu sehen.
Dunkler Nebel der Mutlosigkeit liegt über dem kleinen Buch, das dennoch
in bezug auf künstlerisch plastische Gestaltung sehr hoch bewertetwerden muß, besonders
im Vergleich zu den landläufigen Erscheinungen der schönen Literatur in England.
Der drei Jahre später erschienene Roman „T'Ke I^sKe" urteilt schon milder,
bereitet aber gleichzeitig das philosophische Fazit vor, das Moore aus seinen
Erfahrungen in Irland einerseits für die Sache der Mischen Renaissance,
anderseits für sich selbst zieht. Klar ausgesprochen wird es am Schluß der
zusammengehörenden Bände „etait ana I^aröwsII": „v^ve" und „Salve" (diese,
wie die andern hier genannten Werke Moores, sind in der Tauchnitz-Ausgabe
zugänglich), die in der Form reizvoll hingeplauderter Erinnerungen eine Dar¬
stellung der Bewegung geben und durch manche Offenherzigkeit von einigen der
ernsthaften Enthusiasten vielleicht nicht ganz angenehm empfunden werden können.
Solcher Empfindlichkeit zu begegnen, ist ein kurzes Vorwort vorangestellt worden,
das darauf hinweist, der Dichter habe sein Material auf die nämliche Art ver¬
arbeitet, wie er es im Roman tun würde. Ein Vorbehalt ähnlich demjenigen,
wie ihn Goethe seinem „Dichtung und Wahrheit" beigegeben hat, nur daß der
feinfühlige Leser hier sehr viel klarer zu scheiden imstande sein wird. Denn
die geschilderte Periode liegt ja der Gegenwart um soviel näher, und der


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[0048] Die irische Renaissance und George Moore wie nie gehörte Harmonien. Allerlei Kindheitserinnerungen spielten eine weich¬ lockende Begleitung; er erzählt, wie er sich als Knabe einst in die Wildnis ge¬ wagt und angelnd am Eingang einer Felshöhle den Elfenkönig gesehen habe. Und das Kind habe ihn gefragt, wie weit es von Kingstown ins Elfenreich wäre. Darauf habe jener geantwortet, daß sich allmonatlich aus dem Meere eine große Welle höbe, von der müsse man sich mitnehmen lassen und dann der nächsten warten und ein Stück weiter wiederum der nächsten, bis zur neunten. Diese aber trüge den erdenmüden Wanderer ins Elfenland. — So erzählt der Mann, der seinen Dichtungen stets den Reiz persönlicher Bekenntnisse zu geben weiß, mit schlicht überzeugender Innigkeit, und der Leser, dem die Geschichte der Mischen Literatur nicht fremd ist, spürt in solchen und ähnlichen Stellen intensiv die Stimme des keltischen Bluts und fühlt, daß sie für ein sensitives Dichtcr- gemüt recht wohl die Form hörbarer Rede annehmen konnte., Wenn jedoch die ererbten Impulse ein Teil des Menschen sind, so bildet sich der andere durch Erziehung und Umgebung. Der George Moore, der mit den Mystikern Jeats und Russell rasch Freundschaft schließt und die alte Schul¬ kameradschaft mit dem rechtgläubigen Katholiken Edward Martyn herzlich er¬ neuert, kann sein altes Selbst nicht verleugnen. Der Künstler in ihm gibt sich der neuen Gedankenwelt gefangen, der Philosoph steht beobachtend daneben, selten würdigend und anerkennend, oft unzufrieden kritisch und im Laufe der Zeit mehr und mehr ernüchtert. Das erste in jener Zeit entstandene Buch, die 8kort 8tot^-Sammlung „l'Ke untilleä t^iolä" offenbart sehr deutlich die Ent¬ täuschung, die am großen Werke Schaffenden gar so oft in Träumen hin¬ dämmern und darüber die im Augenblick notwendige Tat verpassen zu sehen. Dunkler Nebel der Mutlosigkeit liegt über dem kleinen Buch, das dennoch in bezug auf künstlerisch plastische Gestaltung sehr hoch bewertetwerden muß, besonders im Vergleich zu den landläufigen Erscheinungen der schönen Literatur in England. Der drei Jahre später erschienene Roman „T'Ke I^sKe" urteilt schon milder, bereitet aber gleichzeitig das philosophische Fazit vor, das Moore aus seinen Erfahrungen in Irland einerseits für die Sache der Mischen Renaissance, anderseits für sich selbst zieht. Klar ausgesprochen wird es am Schluß der zusammengehörenden Bände „etait ana I^aröwsII": „v^ve" und „Salve" (diese, wie die andern hier genannten Werke Moores, sind in der Tauchnitz-Ausgabe zugänglich), die in der Form reizvoll hingeplauderter Erinnerungen eine Dar¬ stellung der Bewegung geben und durch manche Offenherzigkeit von einigen der ernsthaften Enthusiasten vielleicht nicht ganz angenehm empfunden werden können. Solcher Empfindlichkeit zu begegnen, ist ein kurzes Vorwort vorangestellt worden, das darauf hinweist, der Dichter habe sein Material auf die nämliche Art ver¬ arbeitet, wie er es im Roman tun würde. Ein Vorbehalt ähnlich demjenigen, wie ihn Goethe seinem „Dichtung und Wahrheit" beigegeben hat, nur daß der feinfühlige Leser hier sehr viel klarer zu scheiden imstande sein wird. Denn die geschilderte Periode liegt ja der Gegenwart um soviel näher, und der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/48>, abgerufen am 27.07.2024.