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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Beiträge zu einer Psychologie der Arbeiter

Jeden einzelnen Abschnitt seines Buches beginnt Levenstein mit einer Ein¬
leitung, die sich öfters überhaupt nicht auf die Ergebnisse der Fragebogen,
sondern der (zum Teil in dem Buch "Aus der Tiefe" veröffentlichten) Briefe
stützt; diese Einleitungen beleben vielleicht die später folgende, nicht leicht
übersehbare Statistik, geben aber durchaus keine Zusammenfassung des reichen
Materials.

Die Ergebnisse seiner Untersuchung gibt Levenstein am Schluß: er stellt
in Form einer kaufmännischen Bilanz (!) die Unlustempfindungen auf die Debet-,
die heilsame Wirkung der Gefühlswerte auf die Kreditseite, wobei unter anderem
alle Antworten, in denen auf Fragen wie: "Macht Ihnen Ihre Arbeit Vergnügen?"
"Was drückt Sie mehr: der geringe Lohn oder daß Sie vom Arbeitgeber
abhängig sind?" "Denken Sie bei Ihrer Arbeit?" Gleichgültigkeit zum Ausdruck
kam, als Debet gerechnet werden! Auf Grund dieser Bilanz berechnet er ein
Defizit von 55,5 Prozent, woran er noch einige Betrachtungen knüpft, die den
Leser, wie schon früher bei der Lektüre des Buches, wünschen lassen, daß mit
Levensteins begeisterter Hingabe an seine Ideen und seiner zweifellosen Kenntnis
der Arbeiterpsyche ein nationalökonomisch und sozialpsychologisch geschulter
Mitarbeiter verbunden gewesen wäre, der ihn sowohl bei der Aufstellung der
Fragebogen, wie auch beim Bearbeiten der erstaunlich zahlreichen und wert¬
vollen Antworten beraten hätte, während man so fürchten muß, daß die unwissen¬
schaftliche Behandlung einer so schwierigen Frage auch späteren Erhebungen bei
den Arbeitern höchstens schaden wird.

Muß man auch zugeben, daß Levenstein mit Unrecht sein Buch "Die Arbeiter¬
frage" genannt hat, da die von ihm gedachte Lösung nicht gelungen ist, so
hat doch seine jahrelange Beschäftigung mit den Fragebogen überraschend viel
wertvolles Material zu einer Arbeiterpsychologie ergeben. Jede einzelne Kategorie
ist wert, für sich selbständig nach den verschiedensten Richtungen hin durchforscht
zu werden; hier sei es nur erlaubt, einige besonders prägnante Beispiele namhaft
zu machen, die von der Fülle des Interessanten einen Beweis geben mögen.

Auf die Frage: "Was ist Ihnen lieber, Akkord- oder Stundenlohn?"
schreibt ein Berliner Metallarbeiter: "Streng genommen, ist mir Stundenlohn
lieber, aber da die üblichen Stuudenlöhne größtenteils sehr gering sind, aus¬
genommen einige besonders qualifizierte Arbeiterkategorien, gebe ich der Not
gehorchend dem Mord den Vorzug, da es mir auf diese Weise möglich ist,
einen den Ansprüchen einer gesteigerten Lebenshaltung wenigstens einigermaßen
entsprechenden Verdienst zu erzielen. Vollständig verwerfe ich den Gruppen-
akkord, da bei ihm immer die schlechten Arbeiter auf Kosten der besseren
profitieren," und ein Solinger Metallarbeiter: "Akkord, weil ich hierdurch mein
eigener Herr bin, mir also keiner etwas zu befehlen hat. Auch ist die Akkord¬
arbeit mir deshalb sympathischer, weil sie einen gewissen Ansporn von Fleiß
und Regsamkeit mit sich bringt, gerade das Gegenteil von der Lohnarbeit,
welche in sehr vielen Fällen der Trägheit Vorschub leistet."


Beiträge zu einer Psychologie der Arbeiter

Jeden einzelnen Abschnitt seines Buches beginnt Levenstein mit einer Ein¬
leitung, die sich öfters überhaupt nicht auf die Ergebnisse der Fragebogen,
sondern der (zum Teil in dem Buch „Aus der Tiefe" veröffentlichten) Briefe
stützt; diese Einleitungen beleben vielleicht die später folgende, nicht leicht
übersehbare Statistik, geben aber durchaus keine Zusammenfassung des reichen
Materials.

Die Ergebnisse seiner Untersuchung gibt Levenstein am Schluß: er stellt
in Form einer kaufmännischen Bilanz (!) die Unlustempfindungen auf die Debet-,
die heilsame Wirkung der Gefühlswerte auf die Kreditseite, wobei unter anderem
alle Antworten, in denen auf Fragen wie: „Macht Ihnen Ihre Arbeit Vergnügen?"
„Was drückt Sie mehr: der geringe Lohn oder daß Sie vom Arbeitgeber
abhängig sind?" „Denken Sie bei Ihrer Arbeit?" Gleichgültigkeit zum Ausdruck
kam, als Debet gerechnet werden! Auf Grund dieser Bilanz berechnet er ein
Defizit von 55,5 Prozent, woran er noch einige Betrachtungen knüpft, die den
Leser, wie schon früher bei der Lektüre des Buches, wünschen lassen, daß mit
Levensteins begeisterter Hingabe an seine Ideen und seiner zweifellosen Kenntnis
der Arbeiterpsyche ein nationalökonomisch und sozialpsychologisch geschulter
Mitarbeiter verbunden gewesen wäre, der ihn sowohl bei der Aufstellung der
Fragebogen, wie auch beim Bearbeiten der erstaunlich zahlreichen und wert¬
vollen Antworten beraten hätte, während man so fürchten muß, daß die unwissen¬
schaftliche Behandlung einer so schwierigen Frage auch späteren Erhebungen bei
den Arbeitern höchstens schaden wird.

Muß man auch zugeben, daß Levenstein mit Unrecht sein Buch „Die Arbeiter¬
frage" genannt hat, da die von ihm gedachte Lösung nicht gelungen ist, so
hat doch seine jahrelange Beschäftigung mit den Fragebogen überraschend viel
wertvolles Material zu einer Arbeiterpsychologie ergeben. Jede einzelne Kategorie
ist wert, für sich selbständig nach den verschiedensten Richtungen hin durchforscht
zu werden; hier sei es nur erlaubt, einige besonders prägnante Beispiele namhaft
zu machen, die von der Fülle des Interessanten einen Beweis geben mögen.

Auf die Frage: „Was ist Ihnen lieber, Akkord- oder Stundenlohn?"
schreibt ein Berliner Metallarbeiter: „Streng genommen, ist mir Stundenlohn
lieber, aber da die üblichen Stuudenlöhne größtenteils sehr gering sind, aus¬
genommen einige besonders qualifizierte Arbeiterkategorien, gebe ich der Not
gehorchend dem Mord den Vorzug, da es mir auf diese Weise möglich ist,
einen den Ansprüchen einer gesteigerten Lebenshaltung wenigstens einigermaßen
entsprechenden Verdienst zu erzielen. Vollständig verwerfe ich den Gruppen-
akkord, da bei ihm immer die schlechten Arbeiter auf Kosten der besseren
profitieren," und ein Solinger Metallarbeiter: „Akkord, weil ich hierdurch mein
eigener Herr bin, mir also keiner etwas zu befehlen hat. Auch ist die Akkord¬
arbeit mir deshalb sympathischer, weil sie einen gewissen Ansporn von Fleiß
und Regsamkeit mit sich bringt, gerade das Gegenteil von der Lohnarbeit,
welche in sehr vielen Fällen der Trägheit Vorschub leistet."


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[0441] Beiträge zu einer Psychologie der Arbeiter Jeden einzelnen Abschnitt seines Buches beginnt Levenstein mit einer Ein¬ leitung, die sich öfters überhaupt nicht auf die Ergebnisse der Fragebogen, sondern der (zum Teil in dem Buch „Aus der Tiefe" veröffentlichten) Briefe stützt; diese Einleitungen beleben vielleicht die später folgende, nicht leicht übersehbare Statistik, geben aber durchaus keine Zusammenfassung des reichen Materials. Die Ergebnisse seiner Untersuchung gibt Levenstein am Schluß: er stellt in Form einer kaufmännischen Bilanz (!) die Unlustempfindungen auf die Debet-, die heilsame Wirkung der Gefühlswerte auf die Kreditseite, wobei unter anderem alle Antworten, in denen auf Fragen wie: „Macht Ihnen Ihre Arbeit Vergnügen?" „Was drückt Sie mehr: der geringe Lohn oder daß Sie vom Arbeitgeber abhängig sind?" „Denken Sie bei Ihrer Arbeit?" Gleichgültigkeit zum Ausdruck kam, als Debet gerechnet werden! Auf Grund dieser Bilanz berechnet er ein Defizit von 55,5 Prozent, woran er noch einige Betrachtungen knüpft, die den Leser, wie schon früher bei der Lektüre des Buches, wünschen lassen, daß mit Levensteins begeisterter Hingabe an seine Ideen und seiner zweifellosen Kenntnis der Arbeiterpsyche ein nationalökonomisch und sozialpsychologisch geschulter Mitarbeiter verbunden gewesen wäre, der ihn sowohl bei der Aufstellung der Fragebogen, wie auch beim Bearbeiten der erstaunlich zahlreichen und wert¬ vollen Antworten beraten hätte, während man so fürchten muß, daß die unwissen¬ schaftliche Behandlung einer so schwierigen Frage auch späteren Erhebungen bei den Arbeitern höchstens schaden wird. Muß man auch zugeben, daß Levenstein mit Unrecht sein Buch „Die Arbeiter¬ frage" genannt hat, da die von ihm gedachte Lösung nicht gelungen ist, so hat doch seine jahrelange Beschäftigung mit den Fragebogen überraschend viel wertvolles Material zu einer Arbeiterpsychologie ergeben. Jede einzelne Kategorie ist wert, für sich selbständig nach den verschiedensten Richtungen hin durchforscht zu werden; hier sei es nur erlaubt, einige besonders prägnante Beispiele namhaft zu machen, die von der Fülle des Interessanten einen Beweis geben mögen. Auf die Frage: „Was ist Ihnen lieber, Akkord- oder Stundenlohn?" schreibt ein Berliner Metallarbeiter: „Streng genommen, ist mir Stundenlohn lieber, aber da die üblichen Stuudenlöhne größtenteils sehr gering sind, aus¬ genommen einige besonders qualifizierte Arbeiterkategorien, gebe ich der Not gehorchend dem Mord den Vorzug, da es mir auf diese Weise möglich ist, einen den Ansprüchen einer gesteigerten Lebenshaltung wenigstens einigermaßen entsprechenden Verdienst zu erzielen. Vollständig verwerfe ich den Gruppen- akkord, da bei ihm immer die schlechten Arbeiter auf Kosten der besseren profitieren," und ein Solinger Metallarbeiter: „Akkord, weil ich hierdurch mein eigener Herr bin, mir also keiner etwas zu befehlen hat. Auch ist die Akkord¬ arbeit mir deshalb sympathischer, weil sie einen gewissen Ansporn von Fleiß und Regsamkeit mit sich bringt, gerade das Gegenteil von der Lohnarbeit, welche in sehr vielen Fällen der Trägheit Vorschub leistet."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/441>, abgerufen am 27.07.2024.