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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

"Man müßte vielleicht an den Herrn Baron nach MonteCarlo telegraphieren!"
ließ sich Pastor Tannebaum vorsichtig vernehmen. "Die Damen allein haben
doch einen zu schweren Stand."

"Die einzige Schwierigkeit ist die Brennerei!" sagte Gräfin Emerenzia mit
Nachdruck. "Alles andere können wir schwachen Frauen mit des Herrn Hilfe
und dem guten Maddis bewältigen. Die Brennerei aber -- das habe ich
immer gesagt -- ist ein Schandmal für ein christliches Gut!"

"Aber Gräfin!" rief jetzt Herr von Wenkendorff aus und warf seinen schweren
Körper entrüstet in den Sessel zurück. "Wo steht geschrieben, daß Branntwein
und Christentum sich nicht miteinander vertragen?"

"Aber das Christentum ist die wahre Sittlichkeit, und Sittlichkeit bei
Branntweintrinken ist undenkbar!" Mit purpurrotem Kopf hatte die Gräfin den
Hohn auf Wenkendorffs breitem Gesicht bemerkt und wurde von einer maßlosen
Wut gepackt, als keiner der Gäste ihre Meinung unterstützte.

"Herr Madelung ist nämlich Abstinenzler!" schrie die Fistelstimme des
Grafen Wolly aus dem Hintergrund. Damit zerrte er den Maler in das Licht
des Kronleuchters und rieb sich vergnügt die Hände, daß er endlich den weisen
Gesprächen des neuen Propheten entgangen war.

Madelung hielt dem Dutzend Augenpaare, das sich jetzt erstaunt auf ihn
richtete, mit der ihm eigenen Gelassenheit stand. Er machte auch nicht den
leisesten Versuch zu einer Verbeugung, denn er fühlte, daß es vor dieser Ver¬
sammlung von Herren galt, den Stolz des freien Mannes und Denkers zu
zeigen. Mit verschränkten Armen blieb er stehen, richtete den Blick in die Ferne
und fing mit einer etwas belegten Stimme zu reden an:

"Sittlichkeit ist gleichbedeutend mit Gesundheit. Der Alkohol als Genu߬
mittel ist unseres Leibes ärgster Feind. Eine Gesellschaftsordnung, die aus der
Fabrikation dieses Giftes eines ihrer Existenzmittel nimmt, ist aber nicht mehr
gesund!"

Graf Woldemar stand mit ausgerissenen Augen neben seinem Protegö. Nun
kicherte er: "Er braucht nämlich niemals einen Barbier, und eigentlich geht er
nämlich immer barfuß."

Madelung sah seinen gräflichen Interpreten mit einem großen Blicke an
und fuhr ruhig fort:

"Ein ungesunder Leib zeigt Krankheitserscheinungen. Die Vorgänge, die
Rußland jetzt erschüttern, sind aber nichts als solche Krankheitserscheinungen am
Leibe der Gesellschaft____"

"Amen!" rief Doktor Schlosser. Hinter den Brillengläsern funkelte sein
Auge halb belustigt, halb ärgerlich zu dem Redner hinauf, und auf seinem
glattrasierten, lebensklugen Gesicht wetterleuchtete der Spott.

"Was ist das sür ein Kauz?" Der alte Wenkendorff wandte sich ziemlich
laut an Baron Schledehausen. Der hatte nur ein verächtliches Achselzucken. Da
rollte Gräfin Schildberg ihre dicke Gestalt neben den Maler: "Herr Madelung


Sturm

„Man müßte vielleicht an den Herrn Baron nach MonteCarlo telegraphieren!"
ließ sich Pastor Tannebaum vorsichtig vernehmen. „Die Damen allein haben
doch einen zu schweren Stand."

„Die einzige Schwierigkeit ist die Brennerei!" sagte Gräfin Emerenzia mit
Nachdruck. „Alles andere können wir schwachen Frauen mit des Herrn Hilfe
und dem guten Maddis bewältigen. Die Brennerei aber — das habe ich
immer gesagt — ist ein Schandmal für ein christliches Gut!"

„Aber Gräfin!" rief jetzt Herr von Wenkendorff aus und warf seinen schweren
Körper entrüstet in den Sessel zurück. „Wo steht geschrieben, daß Branntwein
und Christentum sich nicht miteinander vertragen?"

„Aber das Christentum ist die wahre Sittlichkeit, und Sittlichkeit bei
Branntweintrinken ist undenkbar!" Mit purpurrotem Kopf hatte die Gräfin den
Hohn auf Wenkendorffs breitem Gesicht bemerkt und wurde von einer maßlosen
Wut gepackt, als keiner der Gäste ihre Meinung unterstützte.

„Herr Madelung ist nämlich Abstinenzler!" schrie die Fistelstimme des
Grafen Wolly aus dem Hintergrund. Damit zerrte er den Maler in das Licht
des Kronleuchters und rieb sich vergnügt die Hände, daß er endlich den weisen
Gesprächen des neuen Propheten entgangen war.

Madelung hielt dem Dutzend Augenpaare, das sich jetzt erstaunt auf ihn
richtete, mit der ihm eigenen Gelassenheit stand. Er machte auch nicht den
leisesten Versuch zu einer Verbeugung, denn er fühlte, daß es vor dieser Ver¬
sammlung von Herren galt, den Stolz des freien Mannes und Denkers zu
zeigen. Mit verschränkten Armen blieb er stehen, richtete den Blick in die Ferne
und fing mit einer etwas belegten Stimme zu reden an:

„Sittlichkeit ist gleichbedeutend mit Gesundheit. Der Alkohol als Genu߬
mittel ist unseres Leibes ärgster Feind. Eine Gesellschaftsordnung, die aus der
Fabrikation dieses Giftes eines ihrer Existenzmittel nimmt, ist aber nicht mehr
gesund!"

Graf Woldemar stand mit ausgerissenen Augen neben seinem Protegö. Nun
kicherte er: „Er braucht nämlich niemals einen Barbier, und eigentlich geht er
nämlich immer barfuß."

Madelung sah seinen gräflichen Interpreten mit einem großen Blicke an
und fuhr ruhig fort:

„Ein ungesunder Leib zeigt Krankheitserscheinungen. Die Vorgänge, die
Rußland jetzt erschüttern, sind aber nichts als solche Krankheitserscheinungen am
Leibe der Gesellschaft____"

„Amen!" rief Doktor Schlosser. Hinter den Brillengläsern funkelte sein
Auge halb belustigt, halb ärgerlich zu dem Redner hinauf, und auf seinem
glattrasierten, lebensklugen Gesicht wetterleuchtete der Spott.

„Was ist das sür ein Kauz?" Der alte Wenkendorff wandte sich ziemlich
laut an Baron Schledehausen. Der hatte nur ein verächtliches Achselzucken. Da
rollte Gräfin Schildberg ihre dicke Gestalt neben den Maler: „Herr Madelung


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[0433] Sturm „Man müßte vielleicht an den Herrn Baron nach MonteCarlo telegraphieren!" ließ sich Pastor Tannebaum vorsichtig vernehmen. „Die Damen allein haben doch einen zu schweren Stand." „Die einzige Schwierigkeit ist die Brennerei!" sagte Gräfin Emerenzia mit Nachdruck. „Alles andere können wir schwachen Frauen mit des Herrn Hilfe und dem guten Maddis bewältigen. Die Brennerei aber — das habe ich immer gesagt — ist ein Schandmal für ein christliches Gut!" „Aber Gräfin!" rief jetzt Herr von Wenkendorff aus und warf seinen schweren Körper entrüstet in den Sessel zurück. „Wo steht geschrieben, daß Branntwein und Christentum sich nicht miteinander vertragen?" „Aber das Christentum ist die wahre Sittlichkeit, und Sittlichkeit bei Branntweintrinken ist undenkbar!" Mit purpurrotem Kopf hatte die Gräfin den Hohn auf Wenkendorffs breitem Gesicht bemerkt und wurde von einer maßlosen Wut gepackt, als keiner der Gäste ihre Meinung unterstützte. „Herr Madelung ist nämlich Abstinenzler!" schrie die Fistelstimme des Grafen Wolly aus dem Hintergrund. Damit zerrte er den Maler in das Licht des Kronleuchters und rieb sich vergnügt die Hände, daß er endlich den weisen Gesprächen des neuen Propheten entgangen war. Madelung hielt dem Dutzend Augenpaare, das sich jetzt erstaunt auf ihn richtete, mit der ihm eigenen Gelassenheit stand. Er machte auch nicht den leisesten Versuch zu einer Verbeugung, denn er fühlte, daß es vor dieser Ver¬ sammlung von Herren galt, den Stolz des freien Mannes und Denkers zu zeigen. Mit verschränkten Armen blieb er stehen, richtete den Blick in die Ferne und fing mit einer etwas belegten Stimme zu reden an: „Sittlichkeit ist gleichbedeutend mit Gesundheit. Der Alkohol als Genu߬ mittel ist unseres Leibes ärgster Feind. Eine Gesellschaftsordnung, die aus der Fabrikation dieses Giftes eines ihrer Existenzmittel nimmt, ist aber nicht mehr gesund!" Graf Woldemar stand mit ausgerissenen Augen neben seinem Protegö. Nun kicherte er: „Er braucht nämlich niemals einen Barbier, und eigentlich geht er nämlich immer barfuß." Madelung sah seinen gräflichen Interpreten mit einem großen Blicke an und fuhr ruhig fort: „Ein ungesunder Leib zeigt Krankheitserscheinungen. Die Vorgänge, die Rußland jetzt erschüttern, sind aber nichts als solche Krankheitserscheinungen am Leibe der Gesellschaft____" „Amen!" rief Doktor Schlosser. Hinter den Brillengläsern funkelte sein Auge halb belustigt, halb ärgerlich zu dem Redner hinauf, und auf seinem glattrasierten, lebensklugen Gesicht wetterleuchtete der Spott. „Was ist das sür ein Kauz?" Der alte Wenkendorff wandte sich ziemlich laut an Baron Schledehausen. Der hatte nur ein verächtliches Achselzucken. Da rollte Gräfin Schildberg ihre dicke Gestalt neben den Maler: „Herr Madelung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/433>, abgerufen am 22.12.2024.