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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

hat sich eingehend mit der Alkoholfrage beschäftigt," sagte sie zu den drei
Herren mit einer vor Erregung sich überschlagenden Stimme. "Er hat schon
als Knabe nicht trinken mögen, aus dem sicheren Instinkt des unverdorbenen
Menschen, und bis auf den heutigen Tag hat er noch keinen Tropfen Alkohol
über die Lippen gebracht!"

"Das spricht sehr für den Alkohol!" flüsterte der Doktor Pastor Tannebaum
zu, der von dem Auftreten seines angeheirateten Verwandten peinlich berührt
war. Und laut sagte Schlosser:

"Ein Glas Burgunder täglich würde Ihnen gut tun, Herr Madelung!
Mir scheint. Sie brauchen eine AppetitanregungI"

Gern hätte der Maler diesen Hieb mit einem Lobgesang auf die Magerkeit
pariert, aber er war geistesgegenwärtig genug, es sich zu verbeißen. Er sah
die üppigen Formen seiner Gönnerin und schwieg.

Jetzt öffnete sich zur rechten Zeit die Flügeltür zum Eßzimmer und Baronin
Clementine bat ihre Gäste zur Tafel. "Mara ist für die Tischordnung
verantwortlich!" sagte sie, indem sie Schledehausens Arm nahm.

Es herrschte anfangs eine ziemlich frostige Stimmung. Die Hausherrin
bedeutete ihrer Tochter mit unwilligen Blicken, daß sie den Fehler gemacht hatte,
die Gräfin Hahn zu weit unten zu plazieren. Und wirklich saß diese während
der ganzen Mahlzeit steif und verstimmt auf ihrem Platz und antwortete ebenso
einsilbig auf des Pastors höfliche Fragen, wie sie Doktor Schlossers Geschichten
aus der Nachbarschaft ohne Teilnahme anhörte.

"Es ist wegen meines Herzens!" sagte Gräfin Schildberg sich entschuldigend
zu dem Maler, der den Ehrenplatz an ihrer Linken inne hatte. Sie goß sich
einen kräftigen Schluck Rotwein in ihr Wasser, um es dann noch mit viel Zucker
zu versüßen. "Herr Doktor Schlosser hat es mir verordnet."

Man war bereits beim Dessert angelangt, als der alte Maddis mit wich¬
tigem Eifer auf die Gräfin zugeschritten kam. Sein schwarzer Bratenrock und
seine weißen Handschuhe deuteten darauf hin, daß ihm heute die Rolle eines
Haushofmeisters übertragen war. In seinem kleinen grauen Schifferbart um
das gutmütige Gesicht nahm er sich recht ehrwürdig aus.

"Wrau Kräfin -- ein russisch Kontrollmensch ist kommen, um unse
Prennerei zu rewädären", sagte er im vergeblichen Versuch, seine kratzende
Stimme zu dämpfen.

"Was geht mich das an, Maddis -- hast du gehört, Clementine?" schrie
sie über den Tisch weg. "Ein Tschinownik ist da, der eure Brennerei kon¬
trollieren will!"

Die Baronin rang die Hände: "Der kommt zu passender Zeit, was macht
man mit dem Menschen?"

"Der ist nämlich von der Negierung!" erklärte Graf Woldemar mit auf¬
gerissenen Augen. "Dem muß man nämlich tüchtig zu essen geben, dann wird
er guter Laune."


Sturm

hat sich eingehend mit der Alkoholfrage beschäftigt," sagte sie zu den drei
Herren mit einer vor Erregung sich überschlagenden Stimme. „Er hat schon
als Knabe nicht trinken mögen, aus dem sicheren Instinkt des unverdorbenen
Menschen, und bis auf den heutigen Tag hat er noch keinen Tropfen Alkohol
über die Lippen gebracht!"

„Das spricht sehr für den Alkohol!" flüsterte der Doktor Pastor Tannebaum
zu, der von dem Auftreten seines angeheirateten Verwandten peinlich berührt
war. Und laut sagte Schlosser:

„Ein Glas Burgunder täglich würde Ihnen gut tun, Herr Madelung!
Mir scheint. Sie brauchen eine AppetitanregungI"

Gern hätte der Maler diesen Hieb mit einem Lobgesang auf die Magerkeit
pariert, aber er war geistesgegenwärtig genug, es sich zu verbeißen. Er sah
die üppigen Formen seiner Gönnerin und schwieg.

Jetzt öffnete sich zur rechten Zeit die Flügeltür zum Eßzimmer und Baronin
Clementine bat ihre Gäste zur Tafel. „Mara ist für die Tischordnung
verantwortlich!" sagte sie, indem sie Schledehausens Arm nahm.

Es herrschte anfangs eine ziemlich frostige Stimmung. Die Hausherrin
bedeutete ihrer Tochter mit unwilligen Blicken, daß sie den Fehler gemacht hatte,
die Gräfin Hahn zu weit unten zu plazieren. Und wirklich saß diese während
der ganzen Mahlzeit steif und verstimmt auf ihrem Platz und antwortete ebenso
einsilbig auf des Pastors höfliche Fragen, wie sie Doktor Schlossers Geschichten
aus der Nachbarschaft ohne Teilnahme anhörte.

„Es ist wegen meines Herzens!" sagte Gräfin Schildberg sich entschuldigend
zu dem Maler, der den Ehrenplatz an ihrer Linken inne hatte. Sie goß sich
einen kräftigen Schluck Rotwein in ihr Wasser, um es dann noch mit viel Zucker
zu versüßen. „Herr Doktor Schlosser hat es mir verordnet."

Man war bereits beim Dessert angelangt, als der alte Maddis mit wich¬
tigem Eifer auf die Gräfin zugeschritten kam. Sein schwarzer Bratenrock und
seine weißen Handschuhe deuteten darauf hin, daß ihm heute die Rolle eines
Haushofmeisters übertragen war. In seinem kleinen grauen Schifferbart um
das gutmütige Gesicht nahm er sich recht ehrwürdig aus.

„Wrau Kräfin — ein russisch Kontrollmensch ist kommen, um unse
Prennerei zu rewädären", sagte er im vergeblichen Versuch, seine kratzende
Stimme zu dämpfen.

„Was geht mich das an, Maddis — hast du gehört, Clementine?" schrie
sie über den Tisch weg. „Ein Tschinownik ist da, der eure Brennerei kon¬
trollieren will!"

Die Baronin rang die Hände: „Der kommt zu passender Zeit, was macht
man mit dem Menschen?"

„Der ist nämlich von der Negierung!" erklärte Graf Woldemar mit auf¬
gerissenen Augen. „Dem muß man nämlich tüchtig zu essen geben, dann wird
er guter Laune."


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[0434] Sturm hat sich eingehend mit der Alkoholfrage beschäftigt," sagte sie zu den drei Herren mit einer vor Erregung sich überschlagenden Stimme. „Er hat schon als Knabe nicht trinken mögen, aus dem sicheren Instinkt des unverdorbenen Menschen, und bis auf den heutigen Tag hat er noch keinen Tropfen Alkohol über die Lippen gebracht!" „Das spricht sehr für den Alkohol!" flüsterte der Doktor Pastor Tannebaum zu, der von dem Auftreten seines angeheirateten Verwandten peinlich berührt war. Und laut sagte Schlosser: „Ein Glas Burgunder täglich würde Ihnen gut tun, Herr Madelung! Mir scheint. Sie brauchen eine AppetitanregungI" Gern hätte der Maler diesen Hieb mit einem Lobgesang auf die Magerkeit pariert, aber er war geistesgegenwärtig genug, es sich zu verbeißen. Er sah die üppigen Formen seiner Gönnerin und schwieg. Jetzt öffnete sich zur rechten Zeit die Flügeltür zum Eßzimmer und Baronin Clementine bat ihre Gäste zur Tafel. „Mara ist für die Tischordnung verantwortlich!" sagte sie, indem sie Schledehausens Arm nahm. Es herrschte anfangs eine ziemlich frostige Stimmung. Die Hausherrin bedeutete ihrer Tochter mit unwilligen Blicken, daß sie den Fehler gemacht hatte, die Gräfin Hahn zu weit unten zu plazieren. Und wirklich saß diese während der ganzen Mahlzeit steif und verstimmt auf ihrem Platz und antwortete ebenso einsilbig auf des Pastors höfliche Fragen, wie sie Doktor Schlossers Geschichten aus der Nachbarschaft ohne Teilnahme anhörte. „Es ist wegen meines Herzens!" sagte Gräfin Schildberg sich entschuldigend zu dem Maler, der den Ehrenplatz an ihrer Linken inne hatte. Sie goß sich einen kräftigen Schluck Rotwein in ihr Wasser, um es dann noch mit viel Zucker zu versüßen. „Herr Doktor Schlosser hat es mir verordnet." Man war bereits beim Dessert angelangt, als der alte Maddis mit wich¬ tigem Eifer auf die Gräfin zugeschritten kam. Sein schwarzer Bratenrock und seine weißen Handschuhe deuteten darauf hin, daß ihm heute die Rolle eines Haushofmeisters übertragen war. In seinem kleinen grauen Schifferbart um das gutmütige Gesicht nahm er sich recht ehrwürdig aus. „Wrau Kräfin — ein russisch Kontrollmensch ist kommen, um unse Prennerei zu rewädären", sagte er im vergeblichen Versuch, seine kratzende Stimme zu dämpfen. „Was geht mich das an, Maddis — hast du gehört, Clementine?" schrie sie über den Tisch weg. „Ein Tschinownik ist da, der eure Brennerei kon¬ trollieren will!" Die Baronin rang die Hände: „Der kommt zu passender Zeit, was macht man mit dem Menschen?" „Der ist nämlich von der Negierung!" erklärte Graf Woldemar mit auf¬ gerissenen Augen. „Dem muß man nämlich tüchtig zu essen geben, dann wird er guter Laune."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/434>, abgerufen am 28.07.2024.