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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

mir vor drei Tagen einen Gaul gerettet. So eine Stallwache bei einem kranken
Tier ist auch eine Betstunde!"

Pastor Tannebaum nickte zustimmend. Neben der massigen Gestalt des
Sternburger Gutsherrn nahm sich der kleine Mann mit dem rosigen Gesicht recht
dürftig aus. "Wer seine Pflicht so tut wie Baroneß Edles und Sonntags in
der Kirche nicht fehlt, der gibt den Leuten das beste Beispiel!" sagte er mit
seiner freundlichen hohen Stimme.

Frau Berta, geborene Madelung, war über die freimütiger Worte ihres
Mannes erschreckt. Sie beugte sich weit über den Tisch und sagte mit süßlicher
Liebenswürdigkeit zu der sichtlich verletzten Gräfin:

"Wie bewundernswert ist Ihre unermüdliche Fürsorge für das Volk, Frau
Gräfin!"

"Ja, leider finde ich nur wenig Unterstützung!" Und sie begann aus¬
führlich und umständlich von ihrem opferfreudigen Wirken zu erzählen. In der
Tür zum grünen Salon zeigte sich jetzt neben der stolzen Erscheinung des Baron
Schledehausen das bleiche müde Gesicht der Baronin Clementine. Sie rang
ihre krankhaft weißen, aber mit kostbaren Ringen geschmückten Hände:

"Was kann ich denn tun? Elend wie ich bin? Soll ich ihm kündigen,
wo Alexander doch so viel auf ihn hält. Raten Sie mir, Baron!"

Doktor Schlosser hörte ihr Jammern. "Um Gottes Willen nicht kündigen!"
sagte er, die Hand der Baronin an die Lippen führend. "Der Mann hat
seinen Denkzettel weg. Kollege Bergstrom erzählte mir, daß ihm ein faustgroßes
Loch in den Kopf geschlagen sei -- jeder andere Mensch wäre daran eingegangen.
Aber dieser chemische Dickschädel ist nicht so leicht umzubringen. Nach acht Tagen
wird er ganz kusch hier antreten, und es wird sicher besser mit ihm auszukommen
sein als früher."

Baronin Clementine seufzte: "Gott gebe es! Kirschs Halsstarrigkeit hat
uns das Leben schwer genug gemacht. Den ganzen Hof hat er tyrannisiere!"

"Nicht zu Ihrem Schaden, Baronin, nicht zu Ihrem Schaden!" brummte
der alte Wenkendorff und machte, sich halb erhebend, eine schwerfällige Ver¬
beugung vor der Hausherrin.

Schledehausen trat zu der Gruppe am Kamin: "Sie nehmen die Sache
doch etwas zu leicht! Der Kerl hat ja geradezu kommunistische Ideen entwickelt!
Selbst einer Wetterfahne wie dem Müller Mäggi, der jetzt natürlich auch zu
der chemischen Sache schwört, ist es zu bunt gewesen. Er hat mir erzählt, wie
es in Reval in der ,Estonio/ zugegangen ist. .Uns gehört das Land!' hat
Verwalter Kirsch geschrien, ,uns, die wir es im Schweiße unseres Angesichts
bestellen!' Die Deutschen hat er alle miteinander freche Schmarotzer genannt,
Blutsauger, Tagediebe! Wenn er auch jetzt wahrscheinlich wieder kleinlaut ist,
so kennen wir doch seine innerste Meinung. Das wäre der reine Bakterienherd
auf Borküll, um in Ihrer Sprache zu reden, Doktor. Ich finde, da muß das
Messer angesetzt und das Geschwür herausgeschnitten werden!"


Sturm

mir vor drei Tagen einen Gaul gerettet. So eine Stallwache bei einem kranken
Tier ist auch eine Betstunde!"

Pastor Tannebaum nickte zustimmend. Neben der massigen Gestalt des
Sternburger Gutsherrn nahm sich der kleine Mann mit dem rosigen Gesicht recht
dürftig aus. „Wer seine Pflicht so tut wie Baroneß Edles und Sonntags in
der Kirche nicht fehlt, der gibt den Leuten das beste Beispiel!" sagte er mit
seiner freundlichen hohen Stimme.

Frau Berta, geborene Madelung, war über die freimütiger Worte ihres
Mannes erschreckt. Sie beugte sich weit über den Tisch und sagte mit süßlicher
Liebenswürdigkeit zu der sichtlich verletzten Gräfin:

„Wie bewundernswert ist Ihre unermüdliche Fürsorge für das Volk, Frau
Gräfin!"

„Ja, leider finde ich nur wenig Unterstützung!" Und sie begann aus¬
führlich und umständlich von ihrem opferfreudigen Wirken zu erzählen. In der
Tür zum grünen Salon zeigte sich jetzt neben der stolzen Erscheinung des Baron
Schledehausen das bleiche müde Gesicht der Baronin Clementine. Sie rang
ihre krankhaft weißen, aber mit kostbaren Ringen geschmückten Hände:

„Was kann ich denn tun? Elend wie ich bin? Soll ich ihm kündigen,
wo Alexander doch so viel auf ihn hält. Raten Sie mir, Baron!"

Doktor Schlosser hörte ihr Jammern. „Um Gottes Willen nicht kündigen!"
sagte er, die Hand der Baronin an die Lippen führend. „Der Mann hat
seinen Denkzettel weg. Kollege Bergstrom erzählte mir, daß ihm ein faustgroßes
Loch in den Kopf geschlagen sei — jeder andere Mensch wäre daran eingegangen.
Aber dieser chemische Dickschädel ist nicht so leicht umzubringen. Nach acht Tagen
wird er ganz kusch hier antreten, und es wird sicher besser mit ihm auszukommen
sein als früher."

Baronin Clementine seufzte: „Gott gebe es! Kirschs Halsstarrigkeit hat
uns das Leben schwer genug gemacht. Den ganzen Hof hat er tyrannisiere!"

„Nicht zu Ihrem Schaden, Baronin, nicht zu Ihrem Schaden!" brummte
der alte Wenkendorff und machte, sich halb erhebend, eine schwerfällige Ver¬
beugung vor der Hausherrin.

Schledehausen trat zu der Gruppe am Kamin: „Sie nehmen die Sache
doch etwas zu leicht! Der Kerl hat ja geradezu kommunistische Ideen entwickelt!
Selbst einer Wetterfahne wie dem Müller Mäggi, der jetzt natürlich auch zu
der chemischen Sache schwört, ist es zu bunt gewesen. Er hat mir erzählt, wie
es in Reval in der ,Estonio/ zugegangen ist. .Uns gehört das Land!' hat
Verwalter Kirsch geschrien, ,uns, die wir es im Schweiße unseres Angesichts
bestellen!' Die Deutschen hat er alle miteinander freche Schmarotzer genannt,
Blutsauger, Tagediebe! Wenn er auch jetzt wahrscheinlich wieder kleinlaut ist,
so kennen wir doch seine innerste Meinung. Das wäre der reine Bakterienherd
auf Borküll, um in Ihrer Sprache zu reden, Doktor. Ich finde, da muß das
Messer angesetzt und das Geschwür herausgeschnitten werden!"


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[0432] Sturm mir vor drei Tagen einen Gaul gerettet. So eine Stallwache bei einem kranken Tier ist auch eine Betstunde!" Pastor Tannebaum nickte zustimmend. Neben der massigen Gestalt des Sternburger Gutsherrn nahm sich der kleine Mann mit dem rosigen Gesicht recht dürftig aus. „Wer seine Pflicht so tut wie Baroneß Edles und Sonntags in der Kirche nicht fehlt, der gibt den Leuten das beste Beispiel!" sagte er mit seiner freundlichen hohen Stimme. Frau Berta, geborene Madelung, war über die freimütiger Worte ihres Mannes erschreckt. Sie beugte sich weit über den Tisch und sagte mit süßlicher Liebenswürdigkeit zu der sichtlich verletzten Gräfin: „Wie bewundernswert ist Ihre unermüdliche Fürsorge für das Volk, Frau Gräfin!" „Ja, leider finde ich nur wenig Unterstützung!" Und sie begann aus¬ führlich und umständlich von ihrem opferfreudigen Wirken zu erzählen. In der Tür zum grünen Salon zeigte sich jetzt neben der stolzen Erscheinung des Baron Schledehausen das bleiche müde Gesicht der Baronin Clementine. Sie rang ihre krankhaft weißen, aber mit kostbaren Ringen geschmückten Hände: „Was kann ich denn tun? Elend wie ich bin? Soll ich ihm kündigen, wo Alexander doch so viel auf ihn hält. Raten Sie mir, Baron!" Doktor Schlosser hörte ihr Jammern. „Um Gottes Willen nicht kündigen!" sagte er, die Hand der Baronin an die Lippen führend. „Der Mann hat seinen Denkzettel weg. Kollege Bergstrom erzählte mir, daß ihm ein faustgroßes Loch in den Kopf geschlagen sei — jeder andere Mensch wäre daran eingegangen. Aber dieser chemische Dickschädel ist nicht so leicht umzubringen. Nach acht Tagen wird er ganz kusch hier antreten, und es wird sicher besser mit ihm auszukommen sein als früher." Baronin Clementine seufzte: „Gott gebe es! Kirschs Halsstarrigkeit hat uns das Leben schwer genug gemacht. Den ganzen Hof hat er tyrannisiere!" „Nicht zu Ihrem Schaden, Baronin, nicht zu Ihrem Schaden!" brummte der alte Wenkendorff und machte, sich halb erhebend, eine schwerfällige Ver¬ beugung vor der Hausherrin. Schledehausen trat zu der Gruppe am Kamin: „Sie nehmen die Sache doch etwas zu leicht! Der Kerl hat ja geradezu kommunistische Ideen entwickelt! Selbst einer Wetterfahne wie dem Müller Mäggi, der jetzt natürlich auch zu der chemischen Sache schwört, ist es zu bunt gewesen. Er hat mir erzählt, wie es in Reval in der ,Estonio/ zugegangen ist. .Uns gehört das Land!' hat Verwalter Kirsch geschrien, ,uns, die wir es im Schweiße unseres Angesichts bestellen!' Die Deutschen hat er alle miteinander freche Schmarotzer genannt, Blutsauger, Tagediebe! Wenn er auch jetzt wahrscheinlich wieder kleinlaut ist, so kennen wir doch seine innerste Meinung. Das wäre der reine Bakterienherd auf Borküll, um in Ihrer Sprache zu reden, Doktor. Ich finde, da muß das Messer angesetzt und das Geschwür herausgeschnitten werden!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/432>, abgerufen am 27.07.2024.