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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Neidhardt von Gneisenau

Ende Juni 1810 war er wieder in der Heimat*). Im November treffen
wir ihn in Breslau, hauptsächlich in eigenen Angelegenheiten, wie es scheint,
die aber nicht vom Flecke kamen. Übrigens langweilt er sich in der schlesischen
Hauptstadt, da er in Gesellschaften zu gehen keine Lust hatte. Im Anfang des
nächsten Jahres richtet wieder Hardenberg sein Augenmerk auf den Vielbewährten.
Am 17. März 1811 hatte der Staatskanzler -- bei dem der Patriot ja so oft
hinter dem Diplomaten zurücktreten mußte -- in Tempelburg bei Neustettin
eine geheime Zusammenkunft mit dem Eroberst. In einer Denkschrift riet
Gneisenau damals dem König, da die Verstimmung zwischen Napoleon und dem
Zaren immer akuter wurde, zu rüsten, als ob jeden Augenblick eine Katastrophe
eintreten könne.

Im Juni 1811 ist er, wieder getrennt von den Seinen, in Berlin. Seine
Privatverhältnisse hatten nach langen Verhandlungen endlich eine günstige
Wendung genommen, der König hatte ihm ein Geschenk von 37000 Talern zu¬
gewiesen. An militärisch hervorragender Stelle war der notorische Franzosen¬
feind schon zu kompromittiert; seine Unterstützung aber wollte Hardenberg doch
nicht missen und gab ihm eine Zivilanstellung. "Der König hat mich," schreibt
Gneisenau an seine Frau, "zum Staatsrat ernannt. Lasse dies den nächsten
Bekannten wissen und nimm künftighin nicht mehr den Oberstentitel an, sondern
nur den der Staatsrätin. Es sind hierbei besondere Absichten. Mein Gehalt
ist 2500 Taler. Doch bei heutiger Zeit verdient so etwas keiner Erwähnung.
Man kann nur von dem reden, was man den laufenden Monat besitzt; des
kommenden schon ist man nicht mehr sicher." Er bezog eine schöne Wohnung
Unter den Linden, die ihm ein Freund abgetreten hatte; sie war schön möbliert,
für alle Bedürfnisse war gesorgt**).

Gneisenau hielt die herrschenden Zustände, deren Kern Preußens
demütigende Abhängigkeit von Napoleon war, nicht für haltbar. "Für tiefe
Übel," schreibt er an seine Frau, "gebe es nur durchgreifende Arzneien. Richte
Dein Hauswesen immer so ein, daß Du dem Sturm unter irgendeinen Scheuer¬
dach zusehen kannst. Ich werde Dir nahe sein." Der "travestierte Staatsrat"
hatte sich nicht zu friedlichen Ideen bekehrt. Aber der König sah das Heil nur
in einem Anschlusse an Frankreich. "Preußen scheint sich vernünftig zu de-




*) Befremden muß Gneisenaus Urteil über die am 19. Juli verstorbene Königin Luise.
"Sie war zu sehr Frau, zu wenig Königin und unfähig, sich auf einen hohen Standpunkt
zu stellen oder darauf zu erhalten. Selbst ihr Herz war ihrem Gemahl nicht immer zu¬
gewandt, vielmehr einem anderen, was sie" auch nicht verhehlte, und als Mutter war sie
nicht achtungswürdig, da sie sich um die Erziehung ihrer Kinder nicht ernstlich bekümmerte."
Das Urteil Gneisenaus über die Fürstin hat sich später, wie Pflug-Harttung bemerkt, wesentlich
gebessert."
"Sogar für das Arzneimittel des Arztes, scherzt der ernste Mann. "Mein Freund
nämlich hat in den Hinteren Zimmern meiner Wohnung seine Gesellschafterin zurückgelassen
und mir im vollen Ernste den freien Gebrauch davon überlassen. Es ist eine üppige Figur
mit ein Paar schönen Augen."
Neidhardt von Gneisenau

Ende Juni 1810 war er wieder in der Heimat*). Im November treffen
wir ihn in Breslau, hauptsächlich in eigenen Angelegenheiten, wie es scheint,
die aber nicht vom Flecke kamen. Übrigens langweilt er sich in der schlesischen
Hauptstadt, da er in Gesellschaften zu gehen keine Lust hatte. Im Anfang des
nächsten Jahres richtet wieder Hardenberg sein Augenmerk auf den Vielbewährten.
Am 17. März 1811 hatte der Staatskanzler — bei dem der Patriot ja so oft
hinter dem Diplomaten zurücktreten mußte — in Tempelburg bei Neustettin
eine geheime Zusammenkunft mit dem Eroberst. In einer Denkschrift riet
Gneisenau damals dem König, da die Verstimmung zwischen Napoleon und dem
Zaren immer akuter wurde, zu rüsten, als ob jeden Augenblick eine Katastrophe
eintreten könne.

Im Juni 1811 ist er, wieder getrennt von den Seinen, in Berlin. Seine
Privatverhältnisse hatten nach langen Verhandlungen endlich eine günstige
Wendung genommen, der König hatte ihm ein Geschenk von 37000 Talern zu¬
gewiesen. An militärisch hervorragender Stelle war der notorische Franzosen¬
feind schon zu kompromittiert; seine Unterstützung aber wollte Hardenberg doch
nicht missen und gab ihm eine Zivilanstellung. „Der König hat mich," schreibt
Gneisenau an seine Frau, „zum Staatsrat ernannt. Lasse dies den nächsten
Bekannten wissen und nimm künftighin nicht mehr den Oberstentitel an, sondern
nur den der Staatsrätin. Es sind hierbei besondere Absichten. Mein Gehalt
ist 2500 Taler. Doch bei heutiger Zeit verdient so etwas keiner Erwähnung.
Man kann nur von dem reden, was man den laufenden Monat besitzt; des
kommenden schon ist man nicht mehr sicher." Er bezog eine schöne Wohnung
Unter den Linden, die ihm ein Freund abgetreten hatte; sie war schön möbliert,
für alle Bedürfnisse war gesorgt**).

Gneisenau hielt die herrschenden Zustände, deren Kern Preußens
demütigende Abhängigkeit von Napoleon war, nicht für haltbar. „Für tiefe
Übel," schreibt er an seine Frau, „gebe es nur durchgreifende Arzneien. Richte
Dein Hauswesen immer so ein, daß Du dem Sturm unter irgendeinen Scheuer¬
dach zusehen kannst. Ich werde Dir nahe sein." Der „travestierte Staatsrat"
hatte sich nicht zu friedlichen Ideen bekehrt. Aber der König sah das Heil nur
in einem Anschlusse an Frankreich. „Preußen scheint sich vernünftig zu de-




*) Befremden muß Gneisenaus Urteil über die am 19. Juli verstorbene Königin Luise.
„Sie war zu sehr Frau, zu wenig Königin und unfähig, sich auf einen hohen Standpunkt
zu stellen oder darauf zu erhalten. Selbst ihr Herz war ihrem Gemahl nicht immer zu¬
gewandt, vielmehr einem anderen, was sie» auch nicht verhehlte, und als Mutter war sie
nicht achtungswürdig, da sie sich um die Erziehung ihrer Kinder nicht ernstlich bekümmerte."
Das Urteil Gneisenaus über die Fürstin hat sich später, wie Pflug-Harttung bemerkt, wesentlich
gebessert."
„Sogar für das Arzneimittel des Arztes, scherzt der ernste Mann. „Mein Freund
nämlich hat in den Hinteren Zimmern meiner Wohnung seine Gesellschafterin zurückgelassen
und mir im vollen Ernste den freien Gebrauch davon überlassen. Es ist eine üppige Figur
mit ein Paar schönen Augen."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/367>, abgerufen am 28.07.2024.