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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Ncidhardt von Gneisenau

ja terrorisiert werden. Man veröde die Gegend, wo der Feind vordringt.
Man schaffe Frauen und Kinder an unzugängliche Orte. Man erkläre alle
deutschen Fürsten, die zu Napoleon hielten, ihrer Throne verlustig und lasse
ihre Untertanen sich würdigere Regenten wählen. Jeder Adel, der nicht im
Kriege erworben ist, höre auf usw.

Aber wie hätte ein Friedrich Wilhelm der Dritte sich mit so verwegenen
Plänen befreunden können! Österreich blieb allein. Gneisenau bat um seinen
Abschied und erhielt ihn in Gnaden gegen das Versprechen, zurückzukehren, so¬
bald der König genötigt wäre, die Waffen zu ergreifen. In aller Heimlichkeit,
auf dem durch stürmische See erzwungenen Umwege über Schweden, ging der
verabschiedete Oberst nach England. Solche Reise war, von den schweren
Strapazen abgesehen, nicht ungefährlich. Napoleon hatte seine Späher und
gewissenlosen Agenten überall. Das rätselhafte Verschwinden des aus Wien
kommenden Lord Bathurst in Perleberg, der wahrscheinlich von der französischen
Geheimpolizei ermordet wurde, sprach deutlich genug.

Gneisenau hoffte eine englische Landung in Norddeutschland, die dessen
Erhebung veranlassen sollte, zu erzielen. Auch dem Erzherzog Karl soll er
Unterstützung durch eine englische Legion angeboten haben, ohne aber eine
bestimmte Antwort zu bekommen. In London trat er mit dem Prinzen von
Wales, mit dem Grafen Münster, mit dem preußenfreundlichen Minister Canning
in Berührung, erzielte aber nichts. In schärfsten Worten tadelt einer seiner
Briefe die Erbärmlichkeit der englischen Politik, die von unwissenden und un¬
geschickten Menschen gemacht werde. Die ganze Trostlosigkeit der Zeit spricht
aus diesem Schreiben. "Tritt nicht ein Gott ins Mittel, so sind wir alle ver¬
loren." In Wahrheit aber verzagte Gneisenau nicht. Über Schweden ging er
nach Petersburg. Was ihn dorthin führte, ist unschwer zu erraten. Auch Stein,
der "nomme Stein", weilte ja . seit seiner Achtung durch Napoleon in
Rußland.

So ist aus dem Offizier ein ruheloser Wanderer, ein unermüdlicher Agi¬
tator geworden, ein Verschwörer, wenn man will, der mit allen Napoleon¬
hassern in Deutschland, England, Rußland, Österreich, Spanien geheime Be¬
ziehungen unterhält und in der merkwürdigen Korrespondenz jener Tage bald
als Logier, bald als R. Schmid oder Fischer oder dergleichen auftaucht.

Neben diesen Sorgen der hohen Politik vergaß er seine Privatangelegen,
selten nicht, die freilich unter seiner langen Abwesenheit litten. Ein treuer
Familienvater, ein pflichtmäßig strenger Rechner gibt er seiner Frau An¬
weisungen, über die Bewirtschaftung von Mittel-Kauffung, über Verbesserungen
und Verpachtungen, über Schnapsbrennerei und Biererzeugung, dann wieder
über die Erziehung der Kinder usw. Die Sorgen, welche die Belastung des
Gutes und die schlechten Zeiten verursachen, blicken aus manchem Briefe heraus.
In Summa -- ein Mann, der an das Größte und Kleinste denkt, bei allem
patriotischen Gram voll ungebrochenen Mutes.


Ncidhardt von Gneisenau

ja terrorisiert werden. Man veröde die Gegend, wo der Feind vordringt.
Man schaffe Frauen und Kinder an unzugängliche Orte. Man erkläre alle
deutschen Fürsten, die zu Napoleon hielten, ihrer Throne verlustig und lasse
ihre Untertanen sich würdigere Regenten wählen. Jeder Adel, der nicht im
Kriege erworben ist, höre auf usw.

Aber wie hätte ein Friedrich Wilhelm der Dritte sich mit so verwegenen
Plänen befreunden können! Österreich blieb allein. Gneisenau bat um seinen
Abschied und erhielt ihn in Gnaden gegen das Versprechen, zurückzukehren, so¬
bald der König genötigt wäre, die Waffen zu ergreifen. In aller Heimlichkeit,
auf dem durch stürmische See erzwungenen Umwege über Schweden, ging der
verabschiedete Oberst nach England. Solche Reise war, von den schweren
Strapazen abgesehen, nicht ungefährlich. Napoleon hatte seine Späher und
gewissenlosen Agenten überall. Das rätselhafte Verschwinden des aus Wien
kommenden Lord Bathurst in Perleberg, der wahrscheinlich von der französischen
Geheimpolizei ermordet wurde, sprach deutlich genug.

Gneisenau hoffte eine englische Landung in Norddeutschland, die dessen
Erhebung veranlassen sollte, zu erzielen. Auch dem Erzherzog Karl soll er
Unterstützung durch eine englische Legion angeboten haben, ohne aber eine
bestimmte Antwort zu bekommen. In London trat er mit dem Prinzen von
Wales, mit dem Grafen Münster, mit dem preußenfreundlichen Minister Canning
in Berührung, erzielte aber nichts. In schärfsten Worten tadelt einer seiner
Briefe die Erbärmlichkeit der englischen Politik, die von unwissenden und un¬
geschickten Menschen gemacht werde. Die ganze Trostlosigkeit der Zeit spricht
aus diesem Schreiben. „Tritt nicht ein Gott ins Mittel, so sind wir alle ver¬
loren." In Wahrheit aber verzagte Gneisenau nicht. Über Schweden ging er
nach Petersburg. Was ihn dorthin führte, ist unschwer zu erraten. Auch Stein,
der „nomme Stein", weilte ja . seit seiner Achtung durch Napoleon in
Rußland.

So ist aus dem Offizier ein ruheloser Wanderer, ein unermüdlicher Agi¬
tator geworden, ein Verschwörer, wenn man will, der mit allen Napoleon¬
hassern in Deutschland, England, Rußland, Österreich, Spanien geheime Be¬
ziehungen unterhält und in der merkwürdigen Korrespondenz jener Tage bald
als Logier, bald als R. Schmid oder Fischer oder dergleichen auftaucht.

Neben diesen Sorgen der hohen Politik vergaß er seine Privatangelegen,
selten nicht, die freilich unter seiner langen Abwesenheit litten. Ein treuer
Familienvater, ein pflichtmäßig strenger Rechner gibt er seiner Frau An¬
weisungen, über die Bewirtschaftung von Mittel-Kauffung, über Verbesserungen
und Verpachtungen, über Schnapsbrennerei und Biererzeugung, dann wieder
über die Erziehung der Kinder usw. Die Sorgen, welche die Belastung des
Gutes und die schlechten Zeiten verursachen, blicken aus manchem Briefe heraus.
In Summa — ein Mann, der an das Größte und Kleinste denkt, bei allem
patriotischen Gram voll ungebrochenen Mutes.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/366>, abgerufen am 28.07.2024.