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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Neidhardt von Gneisenau

tragen," sagte Napoleon im Dezember 1811 zum Fürsten Schwarzenberg, "und
sich mit mir verbinden zu wollen. Der König ist weise, das Ministerium ist
es auch. Aber es ist eine böse Nation, die ich nicht liebe. Es gibt immer
einen großen Widerspruch in den Gemütern." Die "Jakobiner des Nordens"
hat er ja die Preußen genannt.

Als Friedrich Wilhelm der Dritte sich im Februar 1812 entschloß, Napo¬
leon ein Auxiliarkorps für den russischen Krieg zuzusagen, verlangte Gneisenau
seine Entlassung und erhielt sie.

"Abermals ein Akt durchgespielt," schreibt er an seine Frau, "der mir
viel Sorgen gemacht hat. Ich habe darüber schnell einen grauen Kops be¬
kommen." (Er zählte damals zweiundfünfzig Jahre.) Er geht nach Livland,
dann nach England, landet, da die Dinge in Norddeutschland zum Losbruche
überreif scheinen, in Kolberg und ist am 10. März 1813, durch einen könig¬
lichen Brief berufen, an der Seite Friedrich Wilhelms in Breslau.

Was Gneisenau, "der Kopf Blüchers", wie dieser selbst ihn nannte, für
die Befreiungskampfe bedeutete, gehört der Geschichte an. Verdienste, die längst
anerkannt sind und die in der Pflngk-Harttungschen Briefsammlung ihre neuerliche
Beleuchtung finden. Wie in der österreichischen Armee Radetzky, so ist in der
preußischen Gneisenau derjenige, der unablässig treibt, der das Schicksal des
Krieges nicht von diplomatischen Bedenken und dynastischen Rücksichten abhängig
wissen will. Der Rückzug nach den für die preußischen Waffen zwar un¬
glücklichen, aber überaus ehrenvollen Schlachten von Lützen und Bautzen im
Mai 1813 scheint ihm unnötig, denn der Mut des preußischen Heeres sei un¬
geschwächt. Den Waffenstillstand von Poischwitz im Juni bedauert er schwer.
"Der Kampf ist noch nicht durchgefochten. So viele Opfer als unsere Nation
gebracht hat, dürfen nicht verloren gehen, ohne die Früchte dafür zu ernten."
Die Niederlage von Dresden, 26. und 27. August erkundigte ihn nicht, denn
sie sei nur durch Mißverständnisse und einen Mangel an Einverständnis, nicht
durch die Überlegenheit der feindlichen Waffen herbeigeführt worden: daß er
mit dem aus Politik ewig zögernden Bernadotte -- dem "Piaffeur" -- nicht
einverstanden war, ist selbstverständlich. "Er sollte" -- schreibt er am 7. Ok¬
tober, "über die Elbe gehen und ging nicht. Die große Armee in Böhmen
sollte aus ihren Bergen hervortreten und kam nicht. Wir fühlten, daß abermals
wir die ersten Schritte tun und den Anstoß geben müssen." Nach Leipzig, so
ist seine oft geäußerte Ansicht, hätten die Verbündeten sofort auf Paris los¬
gehen können und sollen, statt dem Gegner Zeit zur neuerlichen Sammlung zu
lassen. Mit Napoleon, der alle Regenten beschimpfte, zu verhandeln sei
schimpflich. -- Am 30. März 1814 endlich standen die alliirten Kaiser, Könige
und Fürsten auf dem Montmartre; bei ihnen war Gneisenau. "Eine Glorie
umstrahlte sein Gesicht, als er auf die eroberte Hauptstadt des Feindes herabsah."

Auch im Feldzug von 1815 ist wieder Gneisenau das geistige Haupt der
Verbündeten, das treibende Element. Wieder geht ihm alles zu langsam.


Neidhardt von Gneisenau

tragen," sagte Napoleon im Dezember 1811 zum Fürsten Schwarzenberg, „und
sich mit mir verbinden zu wollen. Der König ist weise, das Ministerium ist
es auch. Aber es ist eine böse Nation, die ich nicht liebe. Es gibt immer
einen großen Widerspruch in den Gemütern." Die „Jakobiner des Nordens"
hat er ja die Preußen genannt.

Als Friedrich Wilhelm der Dritte sich im Februar 1812 entschloß, Napo¬
leon ein Auxiliarkorps für den russischen Krieg zuzusagen, verlangte Gneisenau
seine Entlassung und erhielt sie.

„Abermals ein Akt durchgespielt," schreibt er an seine Frau, „der mir
viel Sorgen gemacht hat. Ich habe darüber schnell einen grauen Kops be¬
kommen." (Er zählte damals zweiundfünfzig Jahre.) Er geht nach Livland,
dann nach England, landet, da die Dinge in Norddeutschland zum Losbruche
überreif scheinen, in Kolberg und ist am 10. März 1813, durch einen könig¬
lichen Brief berufen, an der Seite Friedrich Wilhelms in Breslau.

Was Gneisenau, „der Kopf Blüchers", wie dieser selbst ihn nannte, für
die Befreiungskampfe bedeutete, gehört der Geschichte an. Verdienste, die längst
anerkannt sind und die in der Pflngk-Harttungschen Briefsammlung ihre neuerliche
Beleuchtung finden. Wie in der österreichischen Armee Radetzky, so ist in der
preußischen Gneisenau derjenige, der unablässig treibt, der das Schicksal des
Krieges nicht von diplomatischen Bedenken und dynastischen Rücksichten abhängig
wissen will. Der Rückzug nach den für die preußischen Waffen zwar un¬
glücklichen, aber überaus ehrenvollen Schlachten von Lützen und Bautzen im
Mai 1813 scheint ihm unnötig, denn der Mut des preußischen Heeres sei un¬
geschwächt. Den Waffenstillstand von Poischwitz im Juni bedauert er schwer.
„Der Kampf ist noch nicht durchgefochten. So viele Opfer als unsere Nation
gebracht hat, dürfen nicht verloren gehen, ohne die Früchte dafür zu ernten."
Die Niederlage von Dresden, 26. und 27. August erkundigte ihn nicht, denn
sie sei nur durch Mißverständnisse und einen Mangel an Einverständnis, nicht
durch die Überlegenheit der feindlichen Waffen herbeigeführt worden: daß er
mit dem aus Politik ewig zögernden Bernadotte — dem „Piaffeur" — nicht
einverstanden war, ist selbstverständlich. „Er sollte" — schreibt er am 7. Ok¬
tober, „über die Elbe gehen und ging nicht. Die große Armee in Böhmen
sollte aus ihren Bergen hervortreten und kam nicht. Wir fühlten, daß abermals
wir die ersten Schritte tun und den Anstoß geben müssen." Nach Leipzig, so
ist seine oft geäußerte Ansicht, hätten die Verbündeten sofort auf Paris los¬
gehen können und sollen, statt dem Gegner Zeit zur neuerlichen Sammlung zu
lassen. Mit Napoleon, der alle Regenten beschimpfte, zu verhandeln sei
schimpflich. — Am 30. März 1814 endlich standen die alliirten Kaiser, Könige
und Fürsten auf dem Montmartre; bei ihnen war Gneisenau. „Eine Glorie
umstrahlte sein Gesicht, als er auf die eroberte Hauptstadt des Feindes herabsah."

Auch im Feldzug von 1815 ist wieder Gneisenau das geistige Haupt der
Verbündeten, das treibende Element. Wieder geht ihm alles zu langsam.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/368>, abgerufen am 22.12.2024.