Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.Neidhardt von Gneisenau ward, das heißt unter Zerstreuungen. Es ist so undeutsch, mit so vielen Aus¬ Solche kleine Sorgen beschäftigten den Vielbeschäftigten in den großen Im Jahre 1809 war Gneisenau bekanntlich eines der Häupter der Kriegs¬ ") Gneisenaus Besitzung in Schlesien.
Neidhardt von Gneisenau ward, das heißt unter Zerstreuungen. Es ist so undeutsch, mit so vielen Aus¬ Solche kleine Sorgen beschäftigten den Vielbeschäftigten in den großen Im Jahre 1809 war Gneisenau bekanntlich eines der Häupter der Kriegs¬ ") Gneisenaus Besitzung in Schlesien.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325885"/> <fw type="header" place="top"> Neidhardt von Gneisenau</fw><lb/> <p xml:id="ID_1451" prev="#ID_1450"> ward, das heißt unter Zerstreuungen. Es ist so undeutsch, mit so vielen Aus¬<lb/> lassungen und Wiederholungen und so vielen Sinnentstellungen abgefaßt, daß<lb/> ich es vernichtet habe, damit man, wenn ich bei meiner Unternehmung zugrunde<lb/> gehen sollte und man es nach meinem Tode fände, nicht daraus auf Deine<lb/> Bildung schließe. Ich habe es nicht ohne Lachen gelesen." Noch schärfer als<lb/> dieser formelle klingt oft der sachliche Tadel, zumal der Vermögensverwaltung<lb/> in seiner Abwesenheit. „Du verlangst einen Rat von mir in betreff Deiner<lb/> Mittel-Kauffungen ^-Anordnungen. Aber wenn ich ihn auch geben könnte, so<lb/> würde ich ihn doch nicht gerne geben, da ich immer fürchten müßte. Du würdest<lb/> gerade deswegen, weil er von mir kommt, folchen nicht befolgen.--Wenn<lb/> die allerbestimmtesten und als unabweislich angekündigten Befehle nicht befolgt<lb/> werden, wie würde dies ein Ratschlag?"</p><lb/> <p xml:id="ID_1452"> Solche kleine Sorgen beschäftigten den Vielbeschäftigten in den großen<lb/> Tagen des Krieges, aber auch schon früher in jenen Jahren, welche als die der<lb/> inneren Wiederaufrichtung Preußens nicht minder wichtig sind. An diesem<lb/> Werke der Regenerierung hat ja Gneisenau neben Scharnhorst, Boyen, Clause-<lb/> witz, Grolmann, vor allem aber neben dem unvergleichlichen und einzigen<lb/> Freiherrn vom Stein sein reichlich Teil. Mit seinen Gedanken vom „Volk in<lb/> Waffen" zeigt gerade er eine wahrhaft moderne Auffassung. „Welche unendliche<lb/> Kräfte," schreibt er, in diesem Punkte noch klarer blickend als selbst ein Napoleon,<lb/> „schlafen im Schoße einer Nation unentwickelt und ungenutzt. In der Brust<lb/> von tausend und tausend Menschen wohnt ein großer Genius, dessen auf¬<lb/> strebende Flügel seine tiefen Verhältnisse lähmen. . . . Während ein Reich in<lb/> seiner Schwäche und Schmach vergeht, folgt vielleicht in einem elendsten Dorfe<lb/> ein Cäsar dem Pfluge, und ein Epaminondas nährt sich karg von den: Ertrag<lb/> der Arbeit seiner Hände." Die großen Lehren der Revolution, die schmerzliche<lb/> Schule, durch die Bonaparte seine Zeit geführt, waren an Gneisenau nicht ver¬<lb/> loren. Voll ehrlicher Bewunderung für den ebenso ehrlich gehaßten Meister in<lb/> Krieg und Frieden wünscht er für diesen Bonaparte einen Gegenbonaparte,<lb/> aus dem Volke herausgewachsen, ebenso fähig, die Kräfte einer ganzen Nation<lb/> zusammenzufassen, und ebenso skrupellos wie jener. Mit seinen Mitteln, mit<lb/> brutaler Gewalt und teuflischer Schlauheit müsse man den Zwingherrn Europas<lb/> bekämpfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1453" next="#ID_1454"> Im Jahre 1809 war Gneisenau bekanntlich eines der Häupter der Kriegs¬<lb/> partei, die offenen Anschluß an Österreich, das ja auch für Deutschlands Freiheit<lb/> und Ehre kämpfe, verlangte. Eine Verbindung mit Napoleon schien ihn: ehrlos<lb/> und gefährlich. „Einmal in der Höhle des Zyklopen, können wir nur auf den<lb/> Vorzug rechnen, zuletzt verspeist zu werden." Neben der Koalition mit Österreich<lb/> plante der kühnste aller preußischen Patrioten eine gewaltige Erhebung ganz<lb/> Norddeutschlands. Alle bürgerlichen Verhältnisse sollten davon durchdrungen.</p><lb/> <note xml:id="FID_73" place="foot"> ") Gneisenaus Besitzung in Schlesien.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0365]
Neidhardt von Gneisenau
ward, das heißt unter Zerstreuungen. Es ist so undeutsch, mit so vielen Aus¬
lassungen und Wiederholungen und so vielen Sinnentstellungen abgefaßt, daß
ich es vernichtet habe, damit man, wenn ich bei meiner Unternehmung zugrunde
gehen sollte und man es nach meinem Tode fände, nicht daraus auf Deine
Bildung schließe. Ich habe es nicht ohne Lachen gelesen." Noch schärfer als
dieser formelle klingt oft der sachliche Tadel, zumal der Vermögensverwaltung
in seiner Abwesenheit. „Du verlangst einen Rat von mir in betreff Deiner
Mittel-Kauffungen ^-Anordnungen. Aber wenn ich ihn auch geben könnte, so
würde ich ihn doch nicht gerne geben, da ich immer fürchten müßte. Du würdest
gerade deswegen, weil er von mir kommt, folchen nicht befolgen.--Wenn
die allerbestimmtesten und als unabweislich angekündigten Befehle nicht befolgt
werden, wie würde dies ein Ratschlag?"
Solche kleine Sorgen beschäftigten den Vielbeschäftigten in den großen
Tagen des Krieges, aber auch schon früher in jenen Jahren, welche als die der
inneren Wiederaufrichtung Preußens nicht minder wichtig sind. An diesem
Werke der Regenerierung hat ja Gneisenau neben Scharnhorst, Boyen, Clause-
witz, Grolmann, vor allem aber neben dem unvergleichlichen und einzigen
Freiherrn vom Stein sein reichlich Teil. Mit seinen Gedanken vom „Volk in
Waffen" zeigt gerade er eine wahrhaft moderne Auffassung. „Welche unendliche
Kräfte," schreibt er, in diesem Punkte noch klarer blickend als selbst ein Napoleon,
„schlafen im Schoße einer Nation unentwickelt und ungenutzt. In der Brust
von tausend und tausend Menschen wohnt ein großer Genius, dessen auf¬
strebende Flügel seine tiefen Verhältnisse lähmen. . . . Während ein Reich in
seiner Schwäche und Schmach vergeht, folgt vielleicht in einem elendsten Dorfe
ein Cäsar dem Pfluge, und ein Epaminondas nährt sich karg von den: Ertrag
der Arbeit seiner Hände." Die großen Lehren der Revolution, die schmerzliche
Schule, durch die Bonaparte seine Zeit geführt, waren an Gneisenau nicht ver¬
loren. Voll ehrlicher Bewunderung für den ebenso ehrlich gehaßten Meister in
Krieg und Frieden wünscht er für diesen Bonaparte einen Gegenbonaparte,
aus dem Volke herausgewachsen, ebenso fähig, die Kräfte einer ganzen Nation
zusammenzufassen, und ebenso skrupellos wie jener. Mit seinen Mitteln, mit
brutaler Gewalt und teuflischer Schlauheit müsse man den Zwingherrn Europas
bekämpfen.
Im Jahre 1809 war Gneisenau bekanntlich eines der Häupter der Kriegs¬
partei, die offenen Anschluß an Österreich, das ja auch für Deutschlands Freiheit
und Ehre kämpfe, verlangte. Eine Verbindung mit Napoleon schien ihn: ehrlos
und gefährlich. „Einmal in der Höhle des Zyklopen, können wir nur auf den
Vorzug rechnen, zuletzt verspeist zu werden." Neben der Koalition mit Österreich
plante der kühnste aller preußischen Patrioten eine gewaltige Erhebung ganz
Norddeutschlands. Alle bürgerlichen Verhältnisse sollten davon durchdrungen.
") Gneisenaus Besitzung in Schlesien.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |