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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Neidhardt von Gneisenau

offizier in die Reihe der geschichtlichen Personen vor; und von da ab tragen
seine persönlichen Erlebnisse und so auch die Erzeugnisse seiner Feder den Stempel
des Historischen.

Gneisenaus Briefe müssen bei der Klarheit seines Denkens, bei der Stärke
und Fülle seines Empfindens, bei der Bestimmtheit seiner ganzen Art unfehlbar
vom höchsten Interesse sein, nicht für die Kenntnis seines Charakters allein, sondern
auch für die Detailgeschichte seiner Tage. Sie werfen aber auch auf die großen
weltbewegenden Entwicklungen manch scharfes Licht. Der richtige Sohn einer Zeit,
die ohne rasche Verkehrsmittel, ohne Telegraphen und Fernsprecher weit mehr,
weit längere und schönere Briefe schrieb als die unsrige, war Gneisenau ein
eifriger Korrespondent, was auch durch die große Zahl seiner persönlichen Ver¬
bindungen und durch die viele Abwesenheit von der Heimat bedingt war. Von
seinen Briefen haben schon Pertz und Delbrück viele veröffentlicht, auch Hormavr
bringt einige in seinen noch heute wertvollen "Lebensbildern aus den Befreiungs¬
kriegen" und Albert Pick in seinem inhaltreichen Buche "Aus der Zeit der Not".

Nun hat Julius von Pflugk-Harttung eine Sammlung von fast durchweg
unbekannten und ungedruckten Gneisenau - Briefen der Öffentlichkeit übergeben,
die schon deshalb höchst belehrend und beleuchtend wirken, weil sie fast aus¬
nahmslos vertraulichen Charakter tragen*). Der berühmte Soldat hat ebenso¬
gut zu schreiben verstanden, wie er seine Truppen zu befehligen und wie er,
nach zeitgenössischen Urteilen, zu sprechen und die Mitmenschen zu behandeln
wußte. Ob er nun die höchsten Fragen der Politik und der Strategie oder die
intimsten Familienangelegenheiten bespricht; ob es sich um Napoleon oder Kaiser
Alexander, um einen Hauskauf, die Viehpest oder den Alkoholometer handelt;
ob Heeresbewegungen und diplomatische Pläne oder die Sendung frischer Hemden
und einiger Flaschen Rotweins erörtert werden: immer ist der Ausdruck knapp
und klar, ohne sichtliche Kunst und ohne Rhetorik, aber belebt von kräftigen
Bildern und Vergleichen, niemals unbedeutend und stets von energischer Logik.
Was immer er schreibt, zeichnet den Mann und die Situation. Der Ton ist
auch der Gattin gegenüber meist ein kurzer, befehlender: Du wirst, Du hast usw.
Eine sonderliche Zärtlichkeit liegt kaum in diesen Briefen; aber die tiefe, echte
Sorge für das Wohl der Lebensgefährtin und der sieben Kinder, von denen
Gneisenau jahrelang ferngehalten war, spricht aus jeder Zeile. Allerdings oft
auch die Unzufriedenheit mit dem, was die Gattin tut oder nicht tut, schreibt
oder zu schreiben vergißt.

"Dein Schreiben aus Warmbrunn" (dem schlesischen Schwefelbade) heißt
es einmal, "habe ich erhalten. Man sah ihm den Ort an, wo es geschrieben



") "Briefe des Generals Neidhardt von Gneisenau 1809 bis 1315." Gotha bei Perthes
1913. Die Sammlung enthält achtundachtzig Briefe Gneisenaus an seine Frau und acht¬
undvierzig Stücke an Hardenberg, Boyen, Blücher, Grüner, l'Estocq u. a. Dem interessanten
Quellenwerke sind zahlreiche tatsächliche und persönliche Züge für den vorliegenden Versuch
eines Charakterbildes entnommen.
Neidhardt von Gneisenau

offizier in die Reihe der geschichtlichen Personen vor; und von da ab tragen
seine persönlichen Erlebnisse und so auch die Erzeugnisse seiner Feder den Stempel
des Historischen.

Gneisenaus Briefe müssen bei der Klarheit seines Denkens, bei der Stärke
und Fülle seines Empfindens, bei der Bestimmtheit seiner ganzen Art unfehlbar
vom höchsten Interesse sein, nicht für die Kenntnis seines Charakters allein, sondern
auch für die Detailgeschichte seiner Tage. Sie werfen aber auch auf die großen
weltbewegenden Entwicklungen manch scharfes Licht. Der richtige Sohn einer Zeit,
die ohne rasche Verkehrsmittel, ohne Telegraphen und Fernsprecher weit mehr,
weit längere und schönere Briefe schrieb als die unsrige, war Gneisenau ein
eifriger Korrespondent, was auch durch die große Zahl seiner persönlichen Ver¬
bindungen und durch die viele Abwesenheit von der Heimat bedingt war. Von
seinen Briefen haben schon Pertz und Delbrück viele veröffentlicht, auch Hormavr
bringt einige in seinen noch heute wertvollen „Lebensbildern aus den Befreiungs¬
kriegen" und Albert Pick in seinem inhaltreichen Buche „Aus der Zeit der Not".

Nun hat Julius von Pflugk-Harttung eine Sammlung von fast durchweg
unbekannten und ungedruckten Gneisenau - Briefen der Öffentlichkeit übergeben,
die schon deshalb höchst belehrend und beleuchtend wirken, weil sie fast aus¬
nahmslos vertraulichen Charakter tragen*). Der berühmte Soldat hat ebenso¬
gut zu schreiben verstanden, wie er seine Truppen zu befehligen und wie er,
nach zeitgenössischen Urteilen, zu sprechen und die Mitmenschen zu behandeln
wußte. Ob er nun die höchsten Fragen der Politik und der Strategie oder die
intimsten Familienangelegenheiten bespricht; ob es sich um Napoleon oder Kaiser
Alexander, um einen Hauskauf, die Viehpest oder den Alkoholometer handelt;
ob Heeresbewegungen und diplomatische Pläne oder die Sendung frischer Hemden
und einiger Flaschen Rotweins erörtert werden: immer ist der Ausdruck knapp
und klar, ohne sichtliche Kunst und ohne Rhetorik, aber belebt von kräftigen
Bildern und Vergleichen, niemals unbedeutend und stets von energischer Logik.
Was immer er schreibt, zeichnet den Mann und die Situation. Der Ton ist
auch der Gattin gegenüber meist ein kurzer, befehlender: Du wirst, Du hast usw.
Eine sonderliche Zärtlichkeit liegt kaum in diesen Briefen; aber die tiefe, echte
Sorge für das Wohl der Lebensgefährtin und der sieben Kinder, von denen
Gneisenau jahrelang ferngehalten war, spricht aus jeder Zeile. Allerdings oft
auch die Unzufriedenheit mit dem, was die Gattin tut oder nicht tut, schreibt
oder zu schreiben vergißt.

„Dein Schreiben aus Warmbrunn" (dem schlesischen Schwefelbade) heißt
es einmal, „habe ich erhalten. Man sah ihm den Ort an, wo es geschrieben



") „Briefe des Generals Neidhardt von Gneisenau 1809 bis 1315." Gotha bei Perthes
1913. Die Sammlung enthält achtundachtzig Briefe Gneisenaus an seine Frau und acht¬
undvierzig Stücke an Hardenberg, Boyen, Blücher, Grüner, l'Estocq u. a. Dem interessanten
Quellenwerke sind zahlreiche tatsächliche und persönliche Züge für den vorliegenden Versuch
eines Charakterbildes entnommen.
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[0364] Neidhardt von Gneisenau offizier in die Reihe der geschichtlichen Personen vor; und von da ab tragen seine persönlichen Erlebnisse und so auch die Erzeugnisse seiner Feder den Stempel des Historischen. Gneisenaus Briefe müssen bei der Klarheit seines Denkens, bei der Stärke und Fülle seines Empfindens, bei der Bestimmtheit seiner ganzen Art unfehlbar vom höchsten Interesse sein, nicht für die Kenntnis seines Charakters allein, sondern auch für die Detailgeschichte seiner Tage. Sie werfen aber auch auf die großen weltbewegenden Entwicklungen manch scharfes Licht. Der richtige Sohn einer Zeit, die ohne rasche Verkehrsmittel, ohne Telegraphen und Fernsprecher weit mehr, weit längere und schönere Briefe schrieb als die unsrige, war Gneisenau ein eifriger Korrespondent, was auch durch die große Zahl seiner persönlichen Ver¬ bindungen und durch die viele Abwesenheit von der Heimat bedingt war. Von seinen Briefen haben schon Pertz und Delbrück viele veröffentlicht, auch Hormavr bringt einige in seinen noch heute wertvollen „Lebensbildern aus den Befreiungs¬ kriegen" und Albert Pick in seinem inhaltreichen Buche „Aus der Zeit der Not". Nun hat Julius von Pflugk-Harttung eine Sammlung von fast durchweg unbekannten und ungedruckten Gneisenau - Briefen der Öffentlichkeit übergeben, die schon deshalb höchst belehrend und beleuchtend wirken, weil sie fast aus¬ nahmslos vertraulichen Charakter tragen*). Der berühmte Soldat hat ebenso¬ gut zu schreiben verstanden, wie er seine Truppen zu befehligen und wie er, nach zeitgenössischen Urteilen, zu sprechen und die Mitmenschen zu behandeln wußte. Ob er nun die höchsten Fragen der Politik und der Strategie oder die intimsten Familienangelegenheiten bespricht; ob es sich um Napoleon oder Kaiser Alexander, um einen Hauskauf, die Viehpest oder den Alkoholometer handelt; ob Heeresbewegungen und diplomatische Pläne oder die Sendung frischer Hemden und einiger Flaschen Rotweins erörtert werden: immer ist der Ausdruck knapp und klar, ohne sichtliche Kunst und ohne Rhetorik, aber belebt von kräftigen Bildern und Vergleichen, niemals unbedeutend und stets von energischer Logik. Was immer er schreibt, zeichnet den Mann und die Situation. Der Ton ist auch der Gattin gegenüber meist ein kurzer, befehlender: Du wirst, Du hast usw. Eine sonderliche Zärtlichkeit liegt kaum in diesen Briefen; aber die tiefe, echte Sorge für das Wohl der Lebensgefährtin und der sieben Kinder, von denen Gneisenau jahrelang ferngehalten war, spricht aus jeder Zeile. Allerdings oft auch die Unzufriedenheit mit dem, was die Gattin tut oder nicht tut, schreibt oder zu schreiben vergißt. „Dein Schreiben aus Warmbrunn" (dem schlesischen Schwefelbade) heißt es einmal, „habe ich erhalten. Man sah ihm den Ort an, wo es geschrieben ") „Briefe des Generals Neidhardt von Gneisenau 1809 bis 1315." Gotha bei Perthes 1913. Die Sammlung enthält achtundachtzig Briefe Gneisenaus an seine Frau und acht¬ undvierzig Stücke an Hardenberg, Boyen, Blücher, Grüner, l'Estocq u. a. Dem interessanten Quellenwerke sind zahlreiche tatsächliche und persönliche Züge für den vorliegenden Versuch eines Charakterbildes entnommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/364>, abgerufen am 27.07.2024.