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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Deutscher Imperialismus

stärkt, wenn Gegner, die es bedrohten, fortgefallen oder überflügelt sind, wird
es in demselben Maße seine auswärtige Aktion steigern können und umgekehrt.

Die Frage, ob Deutschland seine überseeischen Engagements überhaupt
verstärken soll, beantwortet sich aus der Betrachtung der allgemeinen imperia¬
listischen Grundsätze, wie sie Dirksen aufgestellt hat, und aus der speziellen
Betrachtung der Eigenschaften Deutschlands. Der Erwerb von Pflanzungs¬
und Siedlungskolonien, die das Mutterland in seinem Rohstoffbezug unab¬
hängiger machen, die dem Menschenüberschuß Gelegenheit zur Siedlung und
zum Gelderwerb, dem Kapitalüberschuß Anlagegelegenheit geben, ist eine der
wesentlichen Eigenschaften imperialistischer Politik. Deutschland mit seinem
starken Überschuß an Menschen und Kapital, mit seiner hochentwickelten Industrie,
bedarf solcher ausländischen Gebiete zu seiner Ergänzung in ganz besonders
hohem Maße. Deutschland hat also auch nach dieser Richtung hin zu einer im¬
perialistischen Politik das größte Recht -- wenn man bei Lebensnotwendigkeiten
des Staates nach Recht und Unrecht fragen will.

Die Grundzüge für eine deutsche imperialistische Politik würden also sein:
Festigung und Erweiterung seiner Stellung als mitteleuropäische Großmacht
und Neuerwerbung überseeischer Gebiete.

Man wird nun einwenden, daß auch dies alles nur theoretische Aus¬
führungen feien und wird ihre Übertragung in die Praxis fordern und wird
fragen: welches sind nun die überseeischen Gebiete, die Deutschland erwerben
soll? Wie ist es möglich, daß Deutschland seine mitteleuropäische Stellung
stärken und erweitern soll, ohne sich noch mehr mit nationalen Fremdkörpern
zu infizieren? Wenn ich nun diese Frage mit einem: "Das weiß ich nicht"
beantworte, so wird man mir nicht vorwerfen können, daß ich Steine statt
Brot gegeben habe, daß ich ein blasser Theoretiker sei. Denn der Staats¬
mann, der eine imperialistische Politik Deutschlands in die Tat umsetzen will,
kann nicht im voraus ein bestimmtes Programm entwerfen, kann nicht im voraus
bestimmen, in welchem Jahre er dieses Gebiet erwerben will, in welchen: jenes.
Es muß genügen, daß er folgerichtig nach den Grundlinien eines bestimmten
Planes handelt. Wann er handeln muß, wie er handeln muß, das entwickelt
sich aus dem Lauf der Begebenheiten, den zu bestimmen in keines Menschen
Macht liegt. So bleibt also alles Reden darüber, wo Deutschland anfangen
sollte und mit welchen Mitteln es seine Ziele erreichen solle, nur müßiges
Bierbankpolitisieren.

Daher läßt sich auf die grundlegende, praktische Frage, womit Deutschland
seine imperialistische Politik nun beginnen müsse, ob mit dem Erwerb über¬
seeischer Kolonien oder mit der Stärkung seiner europäischen Stellung, keine
bestimmte Antwort geben. Es wäre wohl denkbar, daß ein weiteres Vor¬
drängen Rußlands zu einer bewaffneten Auseinandersetzung führte; dann
wäre der Gedanke wohl erwähnenswert, das alte deutsche Siedlungsland, das
dem Deutschtum von Jahr zu Jahr mehr verloren geht, ihm wieder zu ge-


Deutscher Imperialismus

stärkt, wenn Gegner, die es bedrohten, fortgefallen oder überflügelt sind, wird
es in demselben Maße seine auswärtige Aktion steigern können und umgekehrt.

Die Frage, ob Deutschland seine überseeischen Engagements überhaupt
verstärken soll, beantwortet sich aus der Betrachtung der allgemeinen imperia¬
listischen Grundsätze, wie sie Dirksen aufgestellt hat, und aus der speziellen
Betrachtung der Eigenschaften Deutschlands. Der Erwerb von Pflanzungs¬
und Siedlungskolonien, die das Mutterland in seinem Rohstoffbezug unab¬
hängiger machen, die dem Menschenüberschuß Gelegenheit zur Siedlung und
zum Gelderwerb, dem Kapitalüberschuß Anlagegelegenheit geben, ist eine der
wesentlichen Eigenschaften imperialistischer Politik. Deutschland mit seinem
starken Überschuß an Menschen und Kapital, mit seiner hochentwickelten Industrie,
bedarf solcher ausländischen Gebiete zu seiner Ergänzung in ganz besonders
hohem Maße. Deutschland hat also auch nach dieser Richtung hin zu einer im¬
perialistischen Politik das größte Recht — wenn man bei Lebensnotwendigkeiten
des Staates nach Recht und Unrecht fragen will.

Die Grundzüge für eine deutsche imperialistische Politik würden also sein:
Festigung und Erweiterung seiner Stellung als mitteleuropäische Großmacht
und Neuerwerbung überseeischer Gebiete.

Man wird nun einwenden, daß auch dies alles nur theoretische Aus¬
führungen feien und wird ihre Übertragung in die Praxis fordern und wird
fragen: welches sind nun die überseeischen Gebiete, die Deutschland erwerben
soll? Wie ist es möglich, daß Deutschland seine mitteleuropäische Stellung
stärken und erweitern soll, ohne sich noch mehr mit nationalen Fremdkörpern
zu infizieren? Wenn ich nun diese Frage mit einem: „Das weiß ich nicht"
beantworte, so wird man mir nicht vorwerfen können, daß ich Steine statt
Brot gegeben habe, daß ich ein blasser Theoretiker sei. Denn der Staats¬
mann, der eine imperialistische Politik Deutschlands in die Tat umsetzen will,
kann nicht im voraus ein bestimmtes Programm entwerfen, kann nicht im voraus
bestimmen, in welchem Jahre er dieses Gebiet erwerben will, in welchen: jenes.
Es muß genügen, daß er folgerichtig nach den Grundlinien eines bestimmten
Planes handelt. Wann er handeln muß, wie er handeln muß, das entwickelt
sich aus dem Lauf der Begebenheiten, den zu bestimmen in keines Menschen
Macht liegt. So bleibt also alles Reden darüber, wo Deutschland anfangen
sollte und mit welchen Mitteln es seine Ziele erreichen solle, nur müßiges
Bierbankpolitisieren.

Daher läßt sich auf die grundlegende, praktische Frage, womit Deutschland
seine imperialistische Politik nun beginnen müsse, ob mit dem Erwerb über¬
seeischer Kolonien oder mit der Stärkung seiner europäischen Stellung, keine
bestimmte Antwort geben. Es wäre wohl denkbar, daß ein weiteres Vor¬
drängen Rußlands zu einer bewaffneten Auseinandersetzung führte; dann
wäre der Gedanke wohl erwähnenswert, das alte deutsche Siedlungsland, das
dem Deutschtum von Jahr zu Jahr mehr verloren geht, ihm wieder zu ge-


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[0360] Deutscher Imperialismus stärkt, wenn Gegner, die es bedrohten, fortgefallen oder überflügelt sind, wird es in demselben Maße seine auswärtige Aktion steigern können und umgekehrt. Die Frage, ob Deutschland seine überseeischen Engagements überhaupt verstärken soll, beantwortet sich aus der Betrachtung der allgemeinen imperia¬ listischen Grundsätze, wie sie Dirksen aufgestellt hat, und aus der speziellen Betrachtung der Eigenschaften Deutschlands. Der Erwerb von Pflanzungs¬ und Siedlungskolonien, die das Mutterland in seinem Rohstoffbezug unab¬ hängiger machen, die dem Menschenüberschuß Gelegenheit zur Siedlung und zum Gelderwerb, dem Kapitalüberschuß Anlagegelegenheit geben, ist eine der wesentlichen Eigenschaften imperialistischer Politik. Deutschland mit seinem starken Überschuß an Menschen und Kapital, mit seiner hochentwickelten Industrie, bedarf solcher ausländischen Gebiete zu seiner Ergänzung in ganz besonders hohem Maße. Deutschland hat also auch nach dieser Richtung hin zu einer im¬ perialistischen Politik das größte Recht — wenn man bei Lebensnotwendigkeiten des Staates nach Recht und Unrecht fragen will. Die Grundzüge für eine deutsche imperialistische Politik würden also sein: Festigung und Erweiterung seiner Stellung als mitteleuropäische Großmacht und Neuerwerbung überseeischer Gebiete. Man wird nun einwenden, daß auch dies alles nur theoretische Aus¬ führungen feien und wird ihre Übertragung in die Praxis fordern und wird fragen: welches sind nun die überseeischen Gebiete, die Deutschland erwerben soll? Wie ist es möglich, daß Deutschland seine mitteleuropäische Stellung stärken und erweitern soll, ohne sich noch mehr mit nationalen Fremdkörpern zu infizieren? Wenn ich nun diese Frage mit einem: „Das weiß ich nicht" beantworte, so wird man mir nicht vorwerfen können, daß ich Steine statt Brot gegeben habe, daß ich ein blasser Theoretiker sei. Denn der Staats¬ mann, der eine imperialistische Politik Deutschlands in die Tat umsetzen will, kann nicht im voraus ein bestimmtes Programm entwerfen, kann nicht im voraus bestimmen, in welchem Jahre er dieses Gebiet erwerben will, in welchen: jenes. Es muß genügen, daß er folgerichtig nach den Grundlinien eines bestimmten Planes handelt. Wann er handeln muß, wie er handeln muß, das entwickelt sich aus dem Lauf der Begebenheiten, den zu bestimmen in keines Menschen Macht liegt. So bleibt also alles Reden darüber, wo Deutschland anfangen sollte und mit welchen Mitteln es seine Ziele erreichen solle, nur müßiges Bierbankpolitisieren. Daher läßt sich auf die grundlegende, praktische Frage, womit Deutschland seine imperialistische Politik nun beginnen müsse, ob mit dem Erwerb über¬ seeischer Kolonien oder mit der Stärkung seiner europäischen Stellung, keine bestimmte Antwort geben. Es wäre wohl denkbar, daß ein weiteres Vor¬ drängen Rußlands zu einer bewaffneten Auseinandersetzung führte; dann wäre der Gedanke wohl erwähnenswert, das alte deutsche Siedlungsland, das dem Deutschtum von Jahr zu Jahr mehr verloren geht, ihm wieder zu ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/360>, abgerufen am 27.07.2024.