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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Deutscher Imperialismus

gemeinten Beteuerungen, daß Deutschland hier und dort "desinteressiert" sei,
daß seine Interessen mit denen anderer Mächte nicht kollidierten. Schließlich
beschränkt sich ja die auswärtige Politik Deutschlands -- wenn man aufrichtig
sein will -- darauf, allgemeine Handelsinteressen zu betonen und hin und
wieder die energische Erklärung abzugeben, daß die Verletzung "vitaler" deutscher
Interessen nicht ungerächt bleiben würde. Indessen: was ist vital? Was
Verletzung deutscher Interessen?

Diese Friedfertigkeit ist bereits so weit in Deutschland eingezogen, daß
man mit dem Aussprechen einer Selbstverständlichkeit, wie dieser: daß Deutsch¬
land in Anatolien Interessen habe, deren Verletzung es nicht dulden könne,
als starker Mann gefeiert werden kann.

Noch mehr Schaden, als die Feinde einer deutschen imperialistischen Politik
richten ihre Freunde an, die Deutschland wahllos an jedem nur denkbaren
Punkt der Erde festsetzen möchten. Sie erreichen mit solcher treudeutschen
Offenheit und Planlosigkeit nur das eine, daß der unbegründete Argwohn
anderer Staaten Nahrung erhält.

So ist die Behauptung nicht übertrieben, daß eine Erörterung über
deutschen Imperialismus, d. h. also über eine kräftige, stetige, wachsende Wahr¬
nehmung deutscher Interessen, über eine starke, kraftvolle, auswärtige Politik
auf nur sehr, sehr wenig Verständnis rechnen kann, zumal der politische Takt
die freie Erörterung aller Möglichkeiten verbietet.

Indem ich also den Beweis für das Vorhandensein der theoretischen Vor¬
bedingungen für einen deutschen Imperialismus als durch die Dirksenschen Aus¬
führungen erbracht annehme, will ich versuchen, auf ihre praktische Ausführbar¬
keit hinzudeuten.

Da ist zunächst ein Einwand aus dem Wege zu räumen: Deutschland sei
zu spät gekommen für einen deutschen Imperialismus; die Welt sei schon ver¬
geben. Dieser so oft gehörte Einwurf widerlegt sich am besten durch den Hin¬
weis auf die Entwicklung Englands oder anderer imperialistischer Nationen im
letzten Jahrzehnt. Wieviel Zuwachs haben sie nicht in diesen Jahren erhalten!
Wieviele Länder, die durch eigene Kraft oder durch ein internationales ^toll
me tanZers fremdem Zugriff entrückt zu sein schienen, sind nicht annektiert,
assimiliert worden! In der Tat: auch heute noch werden soviele abgelegene
Länder allein durch die modernen Verkehrsmittel in den Bereich der auswärtigen
Politik gebracht, entgleitet soviel Land den Händen müde gewordener Nationen,
daß der Einwand, die Welt sei schon vergeben, nicht durchgreift. Immer
wieder bietet das ewige Werden und Vergehen der Geschichte dem Starken die
Gelegenheit, seine Stärke zu vergrößern. Nur dann könnte man sagen, Deutsch¬
land komme zu spät, wenn ihm die inneren Voraussetzungen für eine imperia¬
listische Politik abhanden gekommen wäre, wenn ihm die innere Kraft fehlte,
der Wille zur starken Weiterentwicklung, nur dann könnte man mit Recht sagen:
Deutschland ist zu spät gekommen. Aber zu so trüben Schlußfolgerungen liegt


Deutscher Imperialismus

gemeinten Beteuerungen, daß Deutschland hier und dort „desinteressiert" sei,
daß seine Interessen mit denen anderer Mächte nicht kollidierten. Schließlich
beschränkt sich ja die auswärtige Politik Deutschlands — wenn man aufrichtig
sein will — darauf, allgemeine Handelsinteressen zu betonen und hin und
wieder die energische Erklärung abzugeben, daß die Verletzung „vitaler" deutscher
Interessen nicht ungerächt bleiben würde. Indessen: was ist vital? Was
Verletzung deutscher Interessen?

Diese Friedfertigkeit ist bereits so weit in Deutschland eingezogen, daß
man mit dem Aussprechen einer Selbstverständlichkeit, wie dieser: daß Deutsch¬
land in Anatolien Interessen habe, deren Verletzung es nicht dulden könne,
als starker Mann gefeiert werden kann.

Noch mehr Schaden, als die Feinde einer deutschen imperialistischen Politik
richten ihre Freunde an, die Deutschland wahllos an jedem nur denkbaren
Punkt der Erde festsetzen möchten. Sie erreichen mit solcher treudeutschen
Offenheit und Planlosigkeit nur das eine, daß der unbegründete Argwohn
anderer Staaten Nahrung erhält.

So ist die Behauptung nicht übertrieben, daß eine Erörterung über
deutschen Imperialismus, d. h. also über eine kräftige, stetige, wachsende Wahr¬
nehmung deutscher Interessen, über eine starke, kraftvolle, auswärtige Politik
auf nur sehr, sehr wenig Verständnis rechnen kann, zumal der politische Takt
die freie Erörterung aller Möglichkeiten verbietet.

Indem ich also den Beweis für das Vorhandensein der theoretischen Vor¬
bedingungen für einen deutschen Imperialismus als durch die Dirksenschen Aus¬
führungen erbracht annehme, will ich versuchen, auf ihre praktische Ausführbar¬
keit hinzudeuten.

Da ist zunächst ein Einwand aus dem Wege zu räumen: Deutschland sei
zu spät gekommen für einen deutschen Imperialismus; die Welt sei schon ver¬
geben. Dieser so oft gehörte Einwurf widerlegt sich am besten durch den Hin¬
weis auf die Entwicklung Englands oder anderer imperialistischer Nationen im
letzten Jahrzehnt. Wieviel Zuwachs haben sie nicht in diesen Jahren erhalten!
Wieviele Länder, die durch eigene Kraft oder durch ein internationales ^toll
me tanZers fremdem Zugriff entrückt zu sein schienen, sind nicht annektiert,
assimiliert worden! In der Tat: auch heute noch werden soviele abgelegene
Länder allein durch die modernen Verkehrsmittel in den Bereich der auswärtigen
Politik gebracht, entgleitet soviel Land den Händen müde gewordener Nationen,
daß der Einwand, die Welt sei schon vergeben, nicht durchgreift. Immer
wieder bietet das ewige Werden und Vergehen der Geschichte dem Starken die
Gelegenheit, seine Stärke zu vergrößern. Nur dann könnte man sagen, Deutsch¬
land komme zu spät, wenn ihm die inneren Voraussetzungen für eine imperia¬
listische Politik abhanden gekommen wäre, wenn ihm die innere Kraft fehlte,
der Wille zur starken Weiterentwicklung, nur dann könnte man mit Recht sagen:
Deutschland ist zu spät gekommen. Aber zu so trüben Schlußfolgerungen liegt


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[0358] Deutscher Imperialismus gemeinten Beteuerungen, daß Deutschland hier und dort „desinteressiert" sei, daß seine Interessen mit denen anderer Mächte nicht kollidierten. Schließlich beschränkt sich ja die auswärtige Politik Deutschlands — wenn man aufrichtig sein will — darauf, allgemeine Handelsinteressen zu betonen und hin und wieder die energische Erklärung abzugeben, daß die Verletzung „vitaler" deutscher Interessen nicht ungerächt bleiben würde. Indessen: was ist vital? Was Verletzung deutscher Interessen? Diese Friedfertigkeit ist bereits so weit in Deutschland eingezogen, daß man mit dem Aussprechen einer Selbstverständlichkeit, wie dieser: daß Deutsch¬ land in Anatolien Interessen habe, deren Verletzung es nicht dulden könne, als starker Mann gefeiert werden kann. Noch mehr Schaden, als die Feinde einer deutschen imperialistischen Politik richten ihre Freunde an, die Deutschland wahllos an jedem nur denkbaren Punkt der Erde festsetzen möchten. Sie erreichen mit solcher treudeutschen Offenheit und Planlosigkeit nur das eine, daß der unbegründete Argwohn anderer Staaten Nahrung erhält. So ist die Behauptung nicht übertrieben, daß eine Erörterung über deutschen Imperialismus, d. h. also über eine kräftige, stetige, wachsende Wahr¬ nehmung deutscher Interessen, über eine starke, kraftvolle, auswärtige Politik auf nur sehr, sehr wenig Verständnis rechnen kann, zumal der politische Takt die freie Erörterung aller Möglichkeiten verbietet. Indem ich also den Beweis für das Vorhandensein der theoretischen Vor¬ bedingungen für einen deutschen Imperialismus als durch die Dirksenschen Aus¬ führungen erbracht annehme, will ich versuchen, auf ihre praktische Ausführbar¬ keit hinzudeuten. Da ist zunächst ein Einwand aus dem Wege zu räumen: Deutschland sei zu spät gekommen für einen deutschen Imperialismus; die Welt sei schon ver¬ geben. Dieser so oft gehörte Einwurf widerlegt sich am besten durch den Hin¬ weis auf die Entwicklung Englands oder anderer imperialistischer Nationen im letzten Jahrzehnt. Wieviel Zuwachs haben sie nicht in diesen Jahren erhalten! Wieviele Länder, die durch eigene Kraft oder durch ein internationales ^toll me tanZers fremdem Zugriff entrückt zu sein schienen, sind nicht annektiert, assimiliert worden! In der Tat: auch heute noch werden soviele abgelegene Länder allein durch die modernen Verkehrsmittel in den Bereich der auswärtigen Politik gebracht, entgleitet soviel Land den Händen müde gewordener Nationen, daß der Einwand, die Welt sei schon vergeben, nicht durchgreift. Immer wieder bietet das ewige Werden und Vergehen der Geschichte dem Starken die Gelegenheit, seine Stärke zu vergrößern. Nur dann könnte man sagen, Deutsch¬ land komme zu spät, wenn ihm die inneren Voraussetzungen für eine imperia¬ listische Politik abhanden gekommen wäre, wenn ihm die innere Kraft fehlte, der Wille zur starken Weiterentwicklung, nur dann könnte man mit Recht sagen: Deutschland ist zu spät gekommen. Aber zu so trüben Schlußfolgerungen liegt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/358>, abgerufen am 30.12.2024.