Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Beziehungen des Heimatschutzes

wohnende, vom Lande abgewanderte Bevölkerung "zurück aufs Land" in neuen
Zusammenhang mit der Natur zu bringen. Die Versuche, der Land- und Jn-
dustriearbeiterbevölkerung die Erwerbung von Kleinbesitz zu erleichtern, bilden
den großen Inhalt dieser Anschauungen. Staatliche und kommunale Organe
fangen an, im eigenen wohlverstandenen Interesse diesen Fragen erhöhte Auf¬
merksamkeit entgegenzubringen, da der große moralische Wert solches Klein¬
besitzes durch volkswirtschaftliche Untersuchungen erwiesen ist. Der Besitz der
eigenen Scholle stärkt im Volke das Gefühl für die Zugehörigkeit zum heimat¬
lichen Boden, das in der Vaterlandsliebe den hehrsten Ausdruck findet.

Wenn heute der Heimatschutz das Gebiet der Wohnungsfürsorge zu einer
seiner Hauptaufgaben gemacht hat, so liegt darin die Erfüllung einer wohlver¬
standenen Kulturmission von ungeahnten Perspektiven. Alle die Fragen aber,
die jetzt die öffentliche Meinung -- Volksvertretungen und Presse -- stärker und
dringender als andere sozialpolitische Maßnahmen beschäftigen: die innere Kolo¬
nisation, die Ordnung der Wohnungsverhältnisse durch Reichs- oder Landes¬
gesetzgebung, die Förderung des Kleinwohnungsbaues -- alle diese Fragen
rühren an das, was schon vor dreißig Jahren durch Ernst Rudorff zu uns
gesprochen wurde, der dem Heimatschutze mit seinem literarischen Hauptwerke")
Ziel und Namen gegeben und ihn zu einem Kulturdokument zu wirklich erhabener
Größe gemacht hat.

Wenn wir rückblickend den Wert des Heimatschutzes für das moderne
Staatsleben in dem Maße seines Einflusses auf die Vertiefung des Volks¬
empfindens erkennen, so werden wir die Quelle seiner Lebenskraft und Lebens¬
fähigkeit in dem engen Anschluß an den Geist und die Forderungen der Zeit
suchen müssen; nicht weniger aber in dem treuen Festhalten an dem, was als
der Väter Erbe gut und bewährt in unsere Zeit hineinragt und besteht. Wir
sind heute schon ein gut Teil vorwärts gekommen. Der Heimatschutz hat sich
zu einer Macht im öffentlichen Leben entwickelt und ist in seinen vielgestaltigen
Auswirkungen aus der Struktur des heutigen Staatsgebildes nicht mehr weg¬
zudenken. Helfen wir die zu gewinnen, die jetzt noch lau und verärgert zur
Seite stehen, weil sie in dem vom ästhetischen Snob oft mißbrauchten Worte
Kultur nichts weiter als ein inhaltleeres Schlagwort sehen können. Suchen wir
den Einfluß dieser staatserhaltenden Gedanken immer mehr in unseren, Volke
zu stärken durch werdendes Wort und helfende Tat.





*) Verlag von Georg D. W. Callwey, München, 3. Auflage.
Die Beziehungen des Heimatschutzes

wohnende, vom Lande abgewanderte Bevölkerung „zurück aufs Land" in neuen
Zusammenhang mit der Natur zu bringen. Die Versuche, der Land- und Jn-
dustriearbeiterbevölkerung die Erwerbung von Kleinbesitz zu erleichtern, bilden
den großen Inhalt dieser Anschauungen. Staatliche und kommunale Organe
fangen an, im eigenen wohlverstandenen Interesse diesen Fragen erhöhte Auf¬
merksamkeit entgegenzubringen, da der große moralische Wert solches Klein¬
besitzes durch volkswirtschaftliche Untersuchungen erwiesen ist. Der Besitz der
eigenen Scholle stärkt im Volke das Gefühl für die Zugehörigkeit zum heimat¬
lichen Boden, das in der Vaterlandsliebe den hehrsten Ausdruck findet.

Wenn heute der Heimatschutz das Gebiet der Wohnungsfürsorge zu einer
seiner Hauptaufgaben gemacht hat, so liegt darin die Erfüllung einer wohlver¬
standenen Kulturmission von ungeahnten Perspektiven. Alle die Fragen aber,
die jetzt die öffentliche Meinung — Volksvertretungen und Presse — stärker und
dringender als andere sozialpolitische Maßnahmen beschäftigen: die innere Kolo¬
nisation, die Ordnung der Wohnungsverhältnisse durch Reichs- oder Landes¬
gesetzgebung, die Förderung des Kleinwohnungsbaues — alle diese Fragen
rühren an das, was schon vor dreißig Jahren durch Ernst Rudorff zu uns
gesprochen wurde, der dem Heimatschutze mit seinem literarischen Hauptwerke")
Ziel und Namen gegeben und ihn zu einem Kulturdokument zu wirklich erhabener
Größe gemacht hat.

Wenn wir rückblickend den Wert des Heimatschutzes für das moderne
Staatsleben in dem Maße seines Einflusses auf die Vertiefung des Volks¬
empfindens erkennen, so werden wir die Quelle seiner Lebenskraft und Lebens¬
fähigkeit in dem engen Anschluß an den Geist und die Forderungen der Zeit
suchen müssen; nicht weniger aber in dem treuen Festhalten an dem, was als
der Väter Erbe gut und bewährt in unsere Zeit hineinragt und besteht. Wir
sind heute schon ein gut Teil vorwärts gekommen. Der Heimatschutz hat sich
zu einer Macht im öffentlichen Leben entwickelt und ist in seinen vielgestaltigen
Auswirkungen aus der Struktur des heutigen Staatsgebildes nicht mehr weg¬
zudenken. Helfen wir die zu gewinnen, die jetzt noch lau und verärgert zur
Seite stehen, weil sie in dem vom ästhetischen Snob oft mißbrauchten Worte
Kultur nichts weiter als ein inhaltleeres Schlagwort sehen können. Suchen wir
den Einfluß dieser staatserhaltenden Gedanken immer mehr in unseren, Volke
zu stärken durch werdendes Wort und helfende Tat.





*) Verlag von Georg D. W. Callwey, München, 3. Auflage.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325871"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Beziehungen des Heimatschutzes</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1381" prev="#ID_1380"> wohnende, vom Lande abgewanderte Bevölkerung &#x201E;zurück aufs Land" in neuen<lb/>
Zusammenhang mit der Natur zu bringen. Die Versuche, der Land- und Jn-<lb/>
dustriearbeiterbevölkerung die Erwerbung von Kleinbesitz zu erleichtern, bilden<lb/>
den großen Inhalt dieser Anschauungen. Staatliche und kommunale Organe<lb/>
fangen an, im eigenen wohlverstandenen Interesse diesen Fragen erhöhte Auf¬<lb/>
merksamkeit entgegenzubringen, da der große moralische Wert solches Klein¬<lb/>
besitzes durch volkswirtschaftliche Untersuchungen erwiesen ist. Der Besitz der<lb/>
eigenen Scholle stärkt im Volke das Gefühl für die Zugehörigkeit zum heimat¬<lb/>
lichen Boden, das in der Vaterlandsliebe den hehrsten Ausdruck findet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1382"> Wenn heute der Heimatschutz das Gebiet der Wohnungsfürsorge zu einer<lb/>
seiner Hauptaufgaben gemacht hat, so liegt darin die Erfüllung einer wohlver¬<lb/>
standenen Kulturmission von ungeahnten Perspektiven. Alle die Fragen aber,<lb/>
die jetzt die öffentliche Meinung &#x2014; Volksvertretungen und Presse &#x2014; stärker und<lb/>
dringender als andere sozialpolitische Maßnahmen beschäftigen: die innere Kolo¬<lb/>
nisation, die Ordnung der Wohnungsverhältnisse durch Reichs- oder Landes¬<lb/>
gesetzgebung, die Förderung des Kleinwohnungsbaues &#x2014; alle diese Fragen<lb/>
rühren an das, was schon vor dreißig Jahren durch Ernst Rudorff zu uns<lb/>
gesprochen wurde, der dem Heimatschutze mit seinem literarischen Hauptwerke")<lb/>
Ziel und Namen gegeben und ihn zu einem Kulturdokument zu wirklich erhabener<lb/>
Größe gemacht hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1383"> Wenn wir rückblickend den Wert des Heimatschutzes für das moderne<lb/>
Staatsleben in dem Maße seines Einflusses auf die Vertiefung des Volks¬<lb/>
empfindens erkennen, so werden wir die Quelle seiner Lebenskraft und Lebens¬<lb/>
fähigkeit in dem engen Anschluß an den Geist und die Forderungen der Zeit<lb/>
suchen müssen; nicht weniger aber in dem treuen Festhalten an dem, was als<lb/>
der Väter Erbe gut und bewährt in unsere Zeit hineinragt und besteht. Wir<lb/>
sind heute schon ein gut Teil vorwärts gekommen. Der Heimatschutz hat sich<lb/>
zu einer Macht im öffentlichen Leben entwickelt und ist in seinen vielgestaltigen<lb/>
Auswirkungen aus der Struktur des heutigen Staatsgebildes nicht mehr weg¬<lb/>
zudenken. Helfen wir die zu gewinnen, die jetzt noch lau und verärgert zur<lb/>
Seite stehen, weil sie in dem vom ästhetischen Snob oft mißbrauchten Worte<lb/>
Kultur nichts weiter als ein inhaltleeres Schlagwort sehen können. Suchen wir<lb/>
den Einfluß dieser staatserhaltenden Gedanken immer mehr in unseren, Volke<lb/>
zu stärken durch werdendes Wort und helfende Tat.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_71" place="foot"> *) Verlag von Georg D. W. Callwey, München, 3. Auflage.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0351] Die Beziehungen des Heimatschutzes wohnende, vom Lande abgewanderte Bevölkerung „zurück aufs Land" in neuen Zusammenhang mit der Natur zu bringen. Die Versuche, der Land- und Jn- dustriearbeiterbevölkerung die Erwerbung von Kleinbesitz zu erleichtern, bilden den großen Inhalt dieser Anschauungen. Staatliche und kommunale Organe fangen an, im eigenen wohlverstandenen Interesse diesen Fragen erhöhte Auf¬ merksamkeit entgegenzubringen, da der große moralische Wert solches Klein¬ besitzes durch volkswirtschaftliche Untersuchungen erwiesen ist. Der Besitz der eigenen Scholle stärkt im Volke das Gefühl für die Zugehörigkeit zum heimat¬ lichen Boden, das in der Vaterlandsliebe den hehrsten Ausdruck findet. Wenn heute der Heimatschutz das Gebiet der Wohnungsfürsorge zu einer seiner Hauptaufgaben gemacht hat, so liegt darin die Erfüllung einer wohlver¬ standenen Kulturmission von ungeahnten Perspektiven. Alle die Fragen aber, die jetzt die öffentliche Meinung — Volksvertretungen und Presse — stärker und dringender als andere sozialpolitische Maßnahmen beschäftigen: die innere Kolo¬ nisation, die Ordnung der Wohnungsverhältnisse durch Reichs- oder Landes¬ gesetzgebung, die Förderung des Kleinwohnungsbaues — alle diese Fragen rühren an das, was schon vor dreißig Jahren durch Ernst Rudorff zu uns gesprochen wurde, der dem Heimatschutze mit seinem literarischen Hauptwerke") Ziel und Namen gegeben und ihn zu einem Kulturdokument zu wirklich erhabener Größe gemacht hat. Wenn wir rückblickend den Wert des Heimatschutzes für das moderne Staatsleben in dem Maße seines Einflusses auf die Vertiefung des Volks¬ empfindens erkennen, so werden wir die Quelle seiner Lebenskraft und Lebens¬ fähigkeit in dem engen Anschluß an den Geist und die Forderungen der Zeit suchen müssen; nicht weniger aber in dem treuen Festhalten an dem, was als der Väter Erbe gut und bewährt in unsere Zeit hineinragt und besteht. Wir sind heute schon ein gut Teil vorwärts gekommen. Der Heimatschutz hat sich zu einer Macht im öffentlichen Leben entwickelt und ist in seinen vielgestaltigen Auswirkungen aus der Struktur des heutigen Staatsgebildes nicht mehr weg¬ zudenken. Helfen wir die zu gewinnen, die jetzt noch lau und verärgert zur Seite stehen, weil sie in dem vom ästhetischen Snob oft mißbrauchten Worte Kultur nichts weiter als ein inhaltleeres Schlagwort sehen können. Suchen wir den Einfluß dieser staatserhaltenden Gedanken immer mehr in unseren, Volke zu stärken durch werdendes Wort und helfende Tat. *) Verlag von Georg D. W. Callwey, München, 3. Auflage.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/351
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/351>, abgerufen am 27.07.2024.