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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Beziehungen des Ljeimatschutzes

rungen der Gegenwart, in einer künstlerischen Durchdringung der Zweckform
und in der Veredelung der neuen Konstruktionsstoffe lebendigen Ausdruck findet.
Jede Kultur muß der Ausdruck ihrer Zeit sein und jede Zeit fordert neue
Lebensbedingungen. So ist auch eine Umwertung gewisser ästhetischer Begriffe
verständlich, die insbesondere den modernen Werken des Eisen- und Eisenbeton¬
stils gegenüber zu einer Revision des Geschmacks geführt hat. Werke, wie die
Brooklyn-Brücke über den Hudson-River in New-Uork oder den Eiffelturm in
Paris verstehen wir jetzt in ihrer Selbstverständlichkeit, im Zweckgefüge ihrer
gewaltigen Gliedmaßen. Wir sehen auch im Ingenieurbau bewußt die schöne
Linie und empfinden ihn letzten Endes als geschlossenes Kunstwerk. So
würde auch der Gedanke der neuen Zeit und Kultur schlecht erfaßt sein,
wenn wir etwa einen modernen Fabrikbau in ein biedermeierisches Gewand
kleiden wollten. Zweckmäßigkeit und Wahrhaftigkeit sind die Grundlagen jener
Kunst, deren Entwicklung mit der des modernen Staatsgedankens das Ringen
nach ethischer Vertiefung und Vereinheitlichung gemein hat. Wir erstreben nicht
eine Kunst im Sinne des "I'art pour I'art", sondern eine völkische Kunst, die
aus der geistigen, kulturellen und staatsbürgerlichen Entwicklung des Volkes ihre
Kraft schöpft.

Als die Heimatsschutzbewegung einsetzte und Boden zu gewinnen begann,
war sie mehr eine Abwehr gegenüber den brutalsten Verunglimpfungen des
Landschaftsbildes, die der Gedankenlosigkeit und Rücksichtslosigkeit, immer aber
dem Mangel einer vertieften Lebensanschauung des überwiegend größten Teiles
der Bevölkerung zu danken waren. Um diese Abwehr einiger zur positiven
Mitwirkung aller werden zu lassen, muß das Endziel sein, diese feinere Empfin¬
dung für die Forderungen der Natur gegenüber der Kultur zum geistigen Be¬
sitze jedes einzelnen zu machen. Wenn nun gesagt worden ist, die Heimat¬
schutzbewegung werde sich mit der Zeit von selbst erübrigen, weil sie --
einmal in die weitverzweigten Kanäle des Volksempfindens übergeleitet --
jedweden zum Hüter dieser Gedanken mache, so möchte demgegenüber betont
werden, daß der tiefere Sinn des Heimatschutzes in der vielgestaltigen Art, wie
uns ihn der hohe Geist Ernst Rudorffs vertraut gemacht hat, als Befruchter
der geistigen und wirtschaftlichen Strömungen des Volkes sich nie überleben
wird. Und zwar wird dieser Gedanke seine stärksten Triebe in dem Streben
unserer Zeit nach sozialem Ausgleich finden, das immer neue Möglichkeiten zur
Bethätigung erschließen wird. Die Wirkungen des Heimatschutzes für das tiefer
verstandene Gesamtgedeihen des Volkes auf sozialpolitischen Gebiete ist recht
eigentlich der Jungborn für die dauernde Berechtigung dieser Bewegung. Die
Natur wird immer das Allheilmittel sein, in dem die reinigenden und er¬
haltenden Mächte beschlossen sind, die -- um mit den Worten Ernst Rudorffs
zu reden -- dem Volksleben dienstbar gemacht, eine Menge sozialen Giftstoffes
nach und nach in der sich neubildenden Atmosphäre resorbieren werden. Dies
führt uns zu den Bestrebungen, deren Ziel ist, die in den Großstädten gedrängt


Die Beziehungen des Ljeimatschutzes

rungen der Gegenwart, in einer künstlerischen Durchdringung der Zweckform
und in der Veredelung der neuen Konstruktionsstoffe lebendigen Ausdruck findet.
Jede Kultur muß der Ausdruck ihrer Zeit sein und jede Zeit fordert neue
Lebensbedingungen. So ist auch eine Umwertung gewisser ästhetischer Begriffe
verständlich, die insbesondere den modernen Werken des Eisen- und Eisenbeton¬
stils gegenüber zu einer Revision des Geschmacks geführt hat. Werke, wie die
Brooklyn-Brücke über den Hudson-River in New-Uork oder den Eiffelturm in
Paris verstehen wir jetzt in ihrer Selbstverständlichkeit, im Zweckgefüge ihrer
gewaltigen Gliedmaßen. Wir sehen auch im Ingenieurbau bewußt die schöne
Linie und empfinden ihn letzten Endes als geschlossenes Kunstwerk. So
würde auch der Gedanke der neuen Zeit und Kultur schlecht erfaßt sein,
wenn wir etwa einen modernen Fabrikbau in ein biedermeierisches Gewand
kleiden wollten. Zweckmäßigkeit und Wahrhaftigkeit sind die Grundlagen jener
Kunst, deren Entwicklung mit der des modernen Staatsgedankens das Ringen
nach ethischer Vertiefung und Vereinheitlichung gemein hat. Wir erstreben nicht
eine Kunst im Sinne des „I'art pour I'art", sondern eine völkische Kunst, die
aus der geistigen, kulturellen und staatsbürgerlichen Entwicklung des Volkes ihre
Kraft schöpft.

Als die Heimatsschutzbewegung einsetzte und Boden zu gewinnen begann,
war sie mehr eine Abwehr gegenüber den brutalsten Verunglimpfungen des
Landschaftsbildes, die der Gedankenlosigkeit und Rücksichtslosigkeit, immer aber
dem Mangel einer vertieften Lebensanschauung des überwiegend größten Teiles
der Bevölkerung zu danken waren. Um diese Abwehr einiger zur positiven
Mitwirkung aller werden zu lassen, muß das Endziel sein, diese feinere Empfin¬
dung für die Forderungen der Natur gegenüber der Kultur zum geistigen Be¬
sitze jedes einzelnen zu machen. Wenn nun gesagt worden ist, die Heimat¬
schutzbewegung werde sich mit der Zeit von selbst erübrigen, weil sie —
einmal in die weitverzweigten Kanäle des Volksempfindens übergeleitet —
jedweden zum Hüter dieser Gedanken mache, so möchte demgegenüber betont
werden, daß der tiefere Sinn des Heimatschutzes in der vielgestaltigen Art, wie
uns ihn der hohe Geist Ernst Rudorffs vertraut gemacht hat, als Befruchter
der geistigen und wirtschaftlichen Strömungen des Volkes sich nie überleben
wird. Und zwar wird dieser Gedanke seine stärksten Triebe in dem Streben
unserer Zeit nach sozialem Ausgleich finden, das immer neue Möglichkeiten zur
Bethätigung erschließen wird. Die Wirkungen des Heimatschutzes für das tiefer
verstandene Gesamtgedeihen des Volkes auf sozialpolitischen Gebiete ist recht
eigentlich der Jungborn für die dauernde Berechtigung dieser Bewegung. Die
Natur wird immer das Allheilmittel sein, in dem die reinigenden und er¬
haltenden Mächte beschlossen sind, die — um mit den Worten Ernst Rudorffs
zu reden — dem Volksleben dienstbar gemacht, eine Menge sozialen Giftstoffes
nach und nach in der sich neubildenden Atmosphäre resorbieren werden. Dies
führt uns zu den Bestrebungen, deren Ziel ist, die in den Großstädten gedrängt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/350>, abgerufen am 22.12.2024.