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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Beziehungen des Heimatschutzes

Lebens, sondern auch in der Pietät vor den Denkmälern der Vergangenheit,
wie in dem innigen Verhältnisse zur Natur zum Ausdruck kommt.

Wenn der einzelne aus den? Verkehre und dem Vorbilde verfeinerter
Menschen die alltäglichen Lebensformen sich ohne Mühe aneignet, so wird die
Sehnsucht nach den tieferen Fragen des Lebens nur langsam durch aufklärendes
Beispiel in ihm geweckt werden können. Hier hat der Einfluß aller derer ein¬
zusetzen, die gelernt haben, mit offenen Augen die Schönheiten der überlieferten
Kulturwerke zu erfassen, um sie mit freiem Blick für die neuen Aufgaben unserer
Zeit dem Neuzuschaffenden aufzuprägen. Darin liegt die tiefe erziehliche Wirkung
des Heimatschutzes, daß er systematische Aufklärungsarbeit leistet und hierdurch
auf die Gesetzgebung und Verwaltung namentlich nach der volkswirtschaftlichen
Seite hin befruchtend einwirkt. Um diese Aufklärungsarbeit in die Praxis um¬
zusetzen, hat der Heimatschutz durch Schaffung von Beratungsstellen zuerst die
Hebel zu einer Besserung der Auswüchse im Bauwesen eingesetzt, da sich hierin
das wirtschaftliche und kulturelle Leben des Volkes am unmittelbarsten wieder¬
spiegelt.

Mit der Nutzbarmachung der Bauberatung für die Zwecke der städtischen
und staatlichen Baupolizeigeschäfte ist den: Staatsorganismus ein sehr wichtiges
Mittel entstanden, um auf vielen Gebieten des öffentlichen Lebens verbessernd
und fördernd einzugreifen. In Sachsen ist dieser Einfluß der Baupolizeibehörden
im Sinne dieser Bestrebungen ganz allgemein und schon jetzt in seinen günstigen
Wirkungen überall fühlbar. Er erstreckt sich auf die Beurteilung von Bau¬
planungen wie auf die Ausgestaltung von Bebauungsplänen nach den Grund¬
sätzen des modernen Städtebaues. Daneben ist dieser Einfluß am Werk, das
Bauordnungswesen von dem Ballast veralteter Bestimmungen zu befreien und
es den Heimatschutzbestrebungen durch die Aufnahme erleichternder Vorschriften
für die modernen Siedlungsformen sinngemäß anzupassen. In diesem Wirken
vereinigt sich die künstlerische mit der wirtschaftlichen Tendenz, da das Ver¬
ständnis für zweckmäßiges Bauen durch den Hinweis auf die einfache selbst¬
verständliche Formenschönheit der überlieferten Bauweise geweckt wird. Überall
dort, wo ein durch klimatische Verhältnisse und besondere Lebensgewohnheiten
bedingter Wohnungstyp vorhanden ist, wird man die Beibehaltung der boden¬
ständigen ererbten Bauweise, natürlich unter Benutzung aller hygienischen und
technischen Fortschritte, fordern müssen. Freilich wird man sich darüber klar
sein, daß die Anwendung dieser Bauweise da ihre Grenzen findet, wo mit dem
Eindringen völlig veränderter Bedürfnisse -- z. B. durch das Entstehen neuer
Industriezweige -- auch neue Bautypen geschaffen werden oder wo sich durch
Einführung neuer Konstruktionsweisen -- ich nenne nur Eisen und Eisenbeton --
mit notwendiger Konsequenz eine neuartige Formgebung herauskrystallisieren
muß. Für die richtige Bewertung dieser im Wechsel der Zeit fortschreitenden
Bedürfnisse möchte man dem Heimatschutz ewige Jugend wünschen, daß er nicht
im Schema erstarrt, sondern durch eine weitschauende Anpassung an die Förte-


Die Beziehungen des Heimatschutzes

Lebens, sondern auch in der Pietät vor den Denkmälern der Vergangenheit,
wie in dem innigen Verhältnisse zur Natur zum Ausdruck kommt.

Wenn der einzelne aus den? Verkehre und dem Vorbilde verfeinerter
Menschen die alltäglichen Lebensformen sich ohne Mühe aneignet, so wird die
Sehnsucht nach den tieferen Fragen des Lebens nur langsam durch aufklärendes
Beispiel in ihm geweckt werden können. Hier hat der Einfluß aller derer ein¬
zusetzen, die gelernt haben, mit offenen Augen die Schönheiten der überlieferten
Kulturwerke zu erfassen, um sie mit freiem Blick für die neuen Aufgaben unserer
Zeit dem Neuzuschaffenden aufzuprägen. Darin liegt die tiefe erziehliche Wirkung
des Heimatschutzes, daß er systematische Aufklärungsarbeit leistet und hierdurch
auf die Gesetzgebung und Verwaltung namentlich nach der volkswirtschaftlichen
Seite hin befruchtend einwirkt. Um diese Aufklärungsarbeit in die Praxis um¬
zusetzen, hat der Heimatschutz durch Schaffung von Beratungsstellen zuerst die
Hebel zu einer Besserung der Auswüchse im Bauwesen eingesetzt, da sich hierin
das wirtschaftliche und kulturelle Leben des Volkes am unmittelbarsten wieder¬
spiegelt.

Mit der Nutzbarmachung der Bauberatung für die Zwecke der städtischen
und staatlichen Baupolizeigeschäfte ist den: Staatsorganismus ein sehr wichtiges
Mittel entstanden, um auf vielen Gebieten des öffentlichen Lebens verbessernd
und fördernd einzugreifen. In Sachsen ist dieser Einfluß der Baupolizeibehörden
im Sinne dieser Bestrebungen ganz allgemein und schon jetzt in seinen günstigen
Wirkungen überall fühlbar. Er erstreckt sich auf die Beurteilung von Bau¬
planungen wie auf die Ausgestaltung von Bebauungsplänen nach den Grund¬
sätzen des modernen Städtebaues. Daneben ist dieser Einfluß am Werk, das
Bauordnungswesen von dem Ballast veralteter Bestimmungen zu befreien und
es den Heimatschutzbestrebungen durch die Aufnahme erleichternder Vorschriften
für die modernen Siedlungsformen sinngemäß anzupassen. In diesem Wirken
vereinigt sich die künstlerische mit der wirtschaftlichen Tendenz, da das Ver¬
ständnis für zweckmäßiges Bauen durch den Hinweis auf die einfache selbst¬
verständliche Formenschönheit der überlieferten Bauweise geweckt wird. Überall
dort, wo ein durch klimatische Verhältnisse und besondere Lebensgewohnheiten
bedingter Wohnungstyp vorhanden ist, wird man die Beibehaltung der boden¬
ständigen ererbten Bauweise, natürlich unter Benutzung aller hygienischen und
technischen Fortschritte, fordern müssen. Freilich wird man sich darüber klar
sein, daß die Anwendung dieser Bauweise da ihre Grenzen findet, wo mit dem
Eindringen völlig veränderter Bedürfnisse — z. B. durch das Entstehen neuer
Industriezweige — auch neue Bautypen geschaffen werden oder wo sich durch
Einführung neuer Konstruktionsweisen — ich nenne nur Eisen und Eisenbeton —
mit notwendiger Konsequenz eine neuartige Formgebung herauskrystallisieren
muß. Für die richtige Bewertung dieser im Wechsel der Zeit fortschreitenden
Bedürfnisse möchte man dem Heimatschutz ewige Jugend wünschen, daß er nicht
im Schema erstarrt, sondern durch eine weitschauende Anpassung an die Förte-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/349>, abgerufen am 28.07.2024.