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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Beziehungen des Heimatschutzes

Aufsatze über "das Verhältnis des modernen Lebens zur Natur"*) die Heimat-
schutzbewegung einleitete. Er zeigt darin, wie der Konflikt zwischen den realen
und idealen Interessen ausgeglichen werden kann, und wie nur ein Ausgleich
dieser Interessen dazu führen kann, unsere Kultur zu vereinheitlichen. Im
Schillerschen Geiste hofft er, daß uns diese Kultur auf dem Wege der Vernunft
und der Freiheit zur Natur zurückführe. Hchon damals aber hat er die Ge¬
sichtspunkte ästhetischer, ethischer und vor allem auch sozialpolitisch-wirtschaftlicher
Natur hervorgehoben, die heute noch die wesentlichen Merkmale dieser Kultur¬
bewegung sind.

Freilich ein Hauptziel wird der Heimatschutz in der Verfolgung schönheit¬
licher Fragen immer sehen müssen, um der Entstellung des Landschaftsbildes
durch den Schutz der Natur und Baudenkmäler entgegenzuwirken. Aber dieses
ästhetische Ziel kann niemals Selbstzweck sein, weil man bei der Erhaltung eines
gefährdeten Landschaftsbildes stets auch der Bedeutung wirtschaftlicher Fragen
gebührenden Einfluß einräumen wird. Hier beginnt die Rolle, die dem Heimat¬
schutz als dem Förderer der staatsbürgerlichen Erziehung des Volkes zukommt.
In seinen Bestrebungen, die geschichtlich gewordene und natürliche Eigenart des
Landschaftsbildes zu schützen, ist er auf die Mithilfe aller Einsichtigen an¬
gewiesen, die in der gegenseitigen Achtung von Bürger zu Staat und von Bürger
zu Bürger das Ziel dieser Erziehung sehen. So scheint sich der Heimatschutz
am reinsten auswirken zu können, wenn man ihn -- was er letzten Endes auch
ist -- als eine Forderung des Gemeinsinnes auffaßt, als eine Frage, die jeder¬
mann lui Staatswesen in gleicher Weise angeht, weil die Gesamtheit in der
richtigen Bewertung seiner Ziele nur gewinnen kann. Diese Betätigung des
Gemeinsinnes wird sich dann, wenn der Heimatschutzgedanke Allgemeingut
geworden ist, darin beweisen, daß er von der höheren Warte eines verfeinerten
Kulturempfindens die Interessen der Allgemeinheit prüft. Schon jetzt hat sich
durch künstlerische Beeinflussung in vielen Fällen gezeigt, wie ein für eine land¬
schaftlich bevorzugte Gegend bestimmter Nutzbau eine alle Teile befriedigende
Lösung unter gleichzeitiger Berücksichtigung der materiellen und ideellen Interessen
gefunden hat. Dieselben Rücksichten gegen die Allgemeinheit wird man fordern
müssen bei allen Fragen, die -- wie die Stadterweiterungen, Anlage von Über-
landzentralen, Reinhaltung von Flüssen und Bächen von den Schmutzwässern
der Industrie und ähnliches -- über den Rahmen eines Einzelbedürfnisses
hinausgehen. Kaum je wird in diesen Dingen das rechte Gefühl für das
Gemeinwohl versagen, wenn in jeden: einzelnen das Verantwortlichkeitsbewußtsein
für den gewachsenen und überlieferten Boden der Heimat gestärkt wird.

Hier kann uns das Vorbild unserer englischen Vettern dienlich sein, deren
ausgesprochener Gemeinsinn, erzeugt und befestigt durch eine in Jahrhunderten
sich ungestört aufbauende Kultur, nicht nur in allen Fragen des innerpolitischen



Zuerst veröffentlicht im Märzheft 1380 der Preußischen Jahrbücher. Wiederabdruck im
Heimatschutz, Heft 1, 6. Jahrgang, 1910.
Die Beziehungen des Heimatschutzes

Aufsatze über „das Verhältnis des modernen Lebens zur Natur"*) die Heimat-
schutzbewegung einleitete. Er zeigt darin, wie der Konflikt zwischen den realen
und idealen Interessen ausgeglichen werden kann, und wie nur ein Ausgleich
dieser Interessen dazu führen kann, unsere Kultur zu vereinheitlichen. Im
Schillerschen Geiste hofft er, daß uns diese Kultur auf dem Wege der Vernunft
und der Freiheit zur Natur zurückführe. Hchon damals aber hat er die Ge¬
sichtspunkte ästhetischer, ethischer und vor allem auch sozialpolitisch-wirtschaftlicher
Natur hervorgehoben, die heute noch die wesentlichen Merkmale dieser Kultur¬
bewegung sind.

Freilich ein Hauptziel wird der Heimatschutz in der Verfolgung schönheit¬
licher Fragen immer sehen müssen, um der Entstellung des Landschaftsbildes
durch den Schutz der Natur und Baudenkmäler entgegenzuwirken. Aber dieses
ästhetische Ziel kann niemals Selbstzweck sein, weil man bei der Erhaltung eines
gefährdeten Landschaftsbildes stets auch der Bedeutung wirtschaftlicher Fragen
gebührenden Einfluß einräumen wird. Hier beginnt die Rolle, die dem Heimat¬
schutz als dem Förderer der staatsbürgerlichen Erziehung des Volkes zukommt.
In seinen Bestrebungen, die geschichtlich gewordene und natürliche Eigenart des
Landschaftsbildes zu schützen, ist er auf die Mithilfe aller Einsichtigen an¬
gewiesen, die in der gegenseitigen Achtung von Bürger zu Staat und von Bürger
zu Bürger das Ziel dieser Erziehung sehen. So scheint sich der Heimatschutz
am reinsten auswirken zu können, wenn man ihn — was er letzten Endes auch
ist — als eine Forderung des Gemeinsinnes auffaßt, als eine Frage, die jeder¬
mann lui Staatswesen in gleicher Weise angeht, weil die Gesamtheit in der
richtigen Bewertung seiner Ziele nur gewinnen kann. Diese Betätigung des
Gemeinsinnes wird sich dann, wenn der Heimatschutzgedanke Allgemeingut
geworden ist, darin beweisen, daß er von der höheren Warte eines verfeinerten
Kulturempfindens die Interessen der Allgemeinheit prüft. Schon jetzt hat sich
durch künstlerische Beeinflussung in vielen Fällen gezeigt, wie ein für eine land¬
schaftlich bevorzugte Gegend bestimmter Nutzbau eine alle Teile befriedigende
Lösung unter gleichzeitiger Berücksichtigung der materiellen und ideellen Interessen
gefunden hat. Dieselben Rücksichten gegen die Allgemeinheit wird man fordern
müssen bei allen Fragen, die — wie die Stadterweiterungen, Anlage von Über-
landzentralen, Reinhaltung von Flüssen und Bächen von den Schmutzwässern
der Industrie und ähnliches — über den Rahmen eines Einzelbedürfnisses
hinausgehen. Kaum je wird in diesen Dingen das rechte Gefühl für das
Gemeinwohl versagen, wenn in jeden: einzelnen das Verantwortlichkeitsbewußtsein
für den gewachsenen und überlieferten Boden der Heimat gestärkt wird.

Hier kann uns das Vorbild unserer englischen Vettern dienlich sein, deren
ausgesprochener Gemeinsinn, erzeugt und befestigt durch eine in Jahrhunderten
sich ungestört aufbauende Kultur, nicht nur in allen Fragen des innerpolitischen



Zuerst veröffentlicht im Märzheft 1380 der Preußischen Jahrbücher. Wiederabdruck im
Heimatschutz, Heft 1, 6. Jahrgang, 1910.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/348>, abgerufen am 22.12.2024.