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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Anselm Feuerbach und seine Zeit

Rührung lesen. Es ist vom 30. Dezember datiert und als Neujahrsgruß ge¬
dacht. "Da ich die Abschiede nicht leiden kann," meint sie, "sag ich Dir lieber
guten Tag im neuen als Adieu im alten Jahr, ohne Verdruß, ohne Senti¬
mentalität im vollen Verständnis dessen, was fehlt und was Du innerlich
leidest, und doch, nach dem bisher Errungenen, hoffend und in Zuversicht und
im guten Glauben. Die Wege sind offen. Was ich bitten möchte, ist einfach,
Dich möglichst ruhig und unbekümmert zu halten und Deiner künstlerischen
Stimmung in Muße oder in der Tätigkeit freien Raum zu lassen." Und in
der Nachschrift noch sagt sie das tiefste Wort, das letzte, das sie an den Sohn
gerichtet hat: "Das ist mein Trost von einem Jahr zum andern, bis es endlich
zu einer wirklichen Heimat kommt."

Dazu kam es nur zu bald; fünf Tage nachher, am 4. Januar 1880 tritt
Feuerbach der Tod unvermittelt an. Ein Herzschlag fällt ihn in seinem Gast¬
hause in Venedig. -- Sein Leichnam wurde nach Nürnberg gebracht, wo er
aus dem Johannis-Friedhof zur letzten Ruhe beigesetzt ward.

Aber sein Tod beschloß sein Schicksal nicht, er sollte glorreich auferstehen.
Die Mutter, die bald siebzigjährige Frau, beschloß, ein letztes Lebenswerk zu tun
und wie sie das Andenken des Gatten gerettet hatte, so rettete sie nun das des
Sohnes. Sie ging daran, seine Aufzeichnungen und die bedeutendsten Stellen
aus seinen Briefen in ein Buch zusammenzufassen, das von Anselm Feuer¬
bachs edler Art und Kunst Zeugnis geben sollte einer Nation, für die er nicht
gegolten hatte. So entstand, unter unsäglichen Mühen, als Frucht aufopferndsten
Fleißes, Anselm Feuerbachs Vermächtnis, das seinen deutschen Ruhm begründete.
1882 erschien die erste Auflage bei Gerold in Wien und fand sogleich starken
Absatz; eine zweite Auflage mußte in kurzer Frist gedruckt werden. Eine Gesamt¬
ausstellung aller Werke in Berlin hatte endlich gewiesen, wer er war. Der
bayrische Staat erwarb den Nachlaß und setzte der Frau Feuerbach eine lebens¬
längliche Rente aus. Sämtliche Gemälde waren verkauft, nur die "Amazonen¬
schlacht" wollte niemand, da schenkte sie Frau Feuerbach der Stadt Nürnberg.
Es war ihr beschicken, den vollen Ruhm des Sohnes zu erleben. Die Feier
des zehnten Todestages ihres Anselm hatte ihr die letzte Erhebung bereitet:
sie sah das Andenken des Sohnes geehrt, er stand im Ruhm, ihr Werk war
getan, sie konnte scheiden. Knapp vor ihrem achtzigsten Geburtstag, noch
inmitten eifriger geistiger Tätigkeit, am 5. August 1892 entschlief sie zu
Ansbach.

Anselm Feuerbachs Zeit ist heute voll gekommen, die Bücher, die von
seiner Kunst und seinem Leben Zeugnis geben, finden die stärkste Teilnahme,
seine Gestalt erscheint verehrungswert und märtyrhaft und nationaler Stolz
hängt sich nur zu gern an sie. Neben Leiht, Markes, Menzel, Böcklin zählt
er zu den repräsentierenden Männern der deutschen Malkunst im neunzehnten
Jahrhundert und diese Stellung dürfte unverrückbar bleiben. Man könnte
sagen: die Entwicklung habe er nicht mit beeinflußt, ihre Linie gehe nicht über


Anselm Feuerbach und seine Zeit

Rührung lesen. Es ist vom 30. Dezember datiert und als Neujahrsgruß ge¬
dacht. „Da ich die Abschiede nicht leiden kann," meint sie, „sag ich Dir lieber
guten Tag im neuen als Adieu im alten Jahr, ohne Verdruß, ohne Senti¬
mentalität im vollen Verständnis dessen, was fehlt und was Du innerlich
leidest, und doch, nach dem bisher Errungenen, hoffend und in Zuversicht und
im guten Glauben. Die Wege sind offen. Was ich bitten möchte, ist einfach,
Dich möglichst ruhig und unbekümmert zu halten und Deiner künstlerischen
Stimmung in Muße oder in der Tätigkeit freien Raum zu lassen." Und in
der Nachschrift noch sagt sie das tiefste Wort, das letzte, das sie an den Sohn
gerichtet hat: „Das ist mein Trost von einem Jahr zum andern, bis es endlich
zu einer wirklichen Heimat kommt."

Dazu kam es nur zu bald; fünf Tage nachher, am 4. Januar 1880 tritt
Feuerbach der Tod unvermittelt an. Ein Herzschlag fällt ihn in seinem Gast¬
hause in Venedig. — Sein Leichnam wurde nach Nürnberg gebracht, wo er
aus dem Johannis-Friedhof zur letzten Ruhe beigesetzt ward.

Aber sein Tod beschloß sein Schicksal nicht, er sollte glorreich auferstehen.
Die Mutter, die bald siebzigjährige Frau, beschloß, ein letztes Lebenswerk zu tun
und wie sie das Andenken des Gatten gerettet hatte, so rettete sie nun das des
Sohnes. Sie ging daran, seine Aufzeichnungen und die bedeutendsten Stellen
aus seinen Briefen in ein Buch zusammenzufassen, das von Anselm Feuer¬
bachs edler Art und Kunst Zeugnis geben sollte einer Nation, für die er nicht
gegolten hatte. So entstand, unter unsäglichen Mühen, als Frucht aufopferndsten
Fleißes, Anselm Feuerbachs Vermächtnis, das seinen deutschen Ruhm begründete.
1882 erschien die erste Auflage bei Gerold in Wien und fand sogleich starken
Absatz; eine zweite Auflage mußte in kurzer Frist gedruckt werden. Eine Gesamt¬
ausstellung aller Werke in Berlin hatte endlich gewiesen, wer er war. Der
bayrische Staat erwarb den Nachlaß und setzte der Frau Feuerbach eine lebens¬
längliche Rente aus. Sämtliche Gemälde waren verkauft, nur die „Amazonen¬
schlacht" wollte niemand, da schenkte sie Frau Feuerbach der Stadt Nürnberg.
Es war ihr beschicken, den vollen Ruhm des Sohnes zu erleben. Die Feier
des zehnten Todestages ihres Anselm hatte ihr die letzte Erhebung bereitet:
sie sah das Andenken des Sohnes geehrt, er stand im Ruhm, ihr Werk war
getan, sie konnte scheiden. Knapp vor ihrem achtzigsten Geburtstag, noch
inmitten eifriger geistiger Tätigkeit, am 5. August 1892 entschlief sie zu
Ansbach.

Anselm Feuerbachs Zeit ist heute voll gekommen, die Bücher, die von
seiner Kunst und seinem Leben Zeugnis geben, finden die stärkste Teilnahme,
seine Gestalt erscheint verehrungswert und märtyrhaft und nationaler Stolz
hängt sich nur zu gern an sie. Neben Leiht, Markes, Menzel, Böcklin zählt
er zu den repräsentierenden Männern der deutschen Malkunst im neunzehnten
Jahrhundert und diese Stellung dürfte unverrückbar bleiben. Man könnte
sagen: die Entwicklung habe er nicht mit beeinflußt, ihre Linie gehe nicht über


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[0329] Anselm Feuerbach und seine Zeit Rührung lesen. Es ist vom 30. Dezember datiert und als Neujahrsgruß ge¬ dacht. „Da ich die Abschiede nicht leiden kann," meint sie, „sag ich Dir lieber guten Tag im neuen als Adieu im alten Jahr, ohne Verdruß, ohne Senti¬ mentalität im vollen Verständnis dessen, was fehlt und was Du innerlich leidest, und doch, nach dem bisher Errungenen, hoffend und in Zuversicht und im guten Glauben. Die Wege sind offen. Was ich bitten möchte, ist einfach, Dich möglichst ruhig und unbekümmert zu halten und Deiner künstlerischen Stimmung in Muße oder in der Tätigkeit freien Raum zu lassen." Und in der Nachschrift noch sagt sie das tiefste Wort, das letzte, das sie an den Sohn gerichtet hat: „Das ist mein Trost von einem Jahr zum andern, bis es endlich zu einer wirklichen Heimat kommt." Dazu kam es nur zu bald; fünf Tage nachher, am 4. Januar 1880 tritt Feuerbach der Tod unvermittelt an. Ein Herzschlag fällt ihn in seinem Gast¬ hause in Venedig. — Sein Leichnam wurde nach Nürnberg gebracht, wo er aus dem Johannis-Friedhof zur letzten Ruhe beigesetzt ward. Aber sein Tod beschloß sein Schicksal nicht, er sollte glorreich auferstehen. Die Mutter, die bald siebzigjährige Frau, beschloß, ein letztes Lebenswerk zu tun und wie sie das Andenken des Gatten gerettet hatte, so rettete sie nun das des Sohnes. Sie ging daran, seine Aufzeichnungen und die bedeutendsten Stellen aus seinen Briefen in ein Buch zusammenzufassen, das von Anselm Feuer¬ bachs edler Art und Kunst Zeugnis geben sollte einer Nation, für die er nicht gegolten hatte. So entstand, unter unsäglichen Mühen, als Frucht aufopferndsten Fleißes, Anselm Feuerbachs Vermächtnis, das seinen deutschen Ruhm begründete. 1882 erschien die erste Auflage bei Gerold in Wien und fand sogleich starken Absatz; eine zweite Auflage mußte in kurzer Frist gedruckt werden. Eine Gesamt¬ ausstellung aller Werke in Berlin hatte endlich gewiesen, wer er war. Der bayrische Staat erwarb den Nachlaß und setzte der Frau Feuerbach eine lebens¬ längliche Rente aus. Sämtliche Gemälde waren verkauft, nur die „Amazonen¬ schlacht" wollte niemand, da schenkte sie Frau Feuerbach der Stadt Nürnberg. Es war ihr beschicken, den vollen Ruhm des Sohnes zu erleben. Die Feier des zehnten Todestages ihres Anselm hatte ihr die letzte Erhebung bereitet: sie sah das Andenken des Sohnes geehrt, er stand im Ruhm, ihr Werk war getan, sie konnte scheiden. Knapp vor ihrem achtzigsten Geburtstag, noch inmitten eifriger geistiger Tätigkeit, am 5. August 1892 entschlief sie zu Ansbach. Anselm Feuerbachs Zeit ist heute voll gekommen, die Bücher, die von seiner Kunst und seinem Leben Zeugnis geben, finden die stärkste Teilnahme, seine Gestalt erscheint verehrungswert und märtyrhaft und nationaler Stolz hängt sich nur zu gern an sie. Neben Leiht, Markes, Menzel, Böcklin zählt er zu den repräsentierenden Männern der deutschen Malkunst im neunzehnten Jahrhundert und diese Stellung dürfte unverrückbar bleiben. Man könnte sagen: die Entwicklung habe er nicht mit beeinflußt, ihre Linie gehe nicht über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/329>, abgerufen am 28.07.2024.