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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Anselm Feuerbach und seine Zeit

er scheitern. Die Kämpfe, die er hier mit den Behörden, dem Unterrichts¬
minister Stremanr, dem Architekten Hansen, dem Akademiedirektor Eitelberger
auszufechten hatte, untergruben seine Gesundheit, verbitterten ihm den Wiener
Aufenthalt völlig. Seine Mutter stand ihm auch hier aufs treueste zur Seite,
sie bestärkte ihn nicht, zu bleiben, sie wußte, daß Wien ihm schädlich war; "ich
hasse Wien," schrieb sie. Er nahm, um ein Ende zu machen, einen Krankheits¬
urlaub nach Italien, von dem er nicht mehr in sein Amt zurückkehrte.

'Was mich betrifft," schreibt er im "Vermächtnis", "so hatte ich Ursache,
die Gemütlichkeit der Wiener etwas ungemütlich zu finden. ... Ich habe voll¬
ständig begriffen, daß ein Lessing oder Goethe in Österreich unmöglich gewesen
wäre; selbst dem bescheidenen Grillparzer hat man den Lorbeer erst auf das
Grab gelegt." Man kann nicht leugnen, daß die Bitterkeit dieser Anklage
berechtigt war. Wien war die letzte und wohl auch schwerste Leidensstation
dieses Künstlerlebens.

Feuerbach hatte seine Mutter überredet, von dem ihr liebgewordenen
Heidelberg fort nach Nürnberg zu ziehen. Dort nahm er selbst für eine Zeit
Aufenthalt, dann ging er wieder nach Italien. In Venedig sieht er die Assunta
wieder, es entsteht das schöne Gemälde: "Das Konzert", das sich heute in
Berlin in der Nationalgalerie befindet. Er kommt wieder nach Rom, seine
Stimmung ist gleichmäßig still, als wäre schon Abendlicht über seinem Leben.
Er hat Lust, die kleine Insel Isca im Venezianischen anzukaufen, er denkt an
ein Hotel, das man einrichten könne, er wolle auf der Insel begraben sein und
seine Grabschrift hätte er sich auch schon gedichtet; sie lautet:

Noch einmal sollte er über die Alpen fahren und die Mutter wiedersehen.
In dieser letzten Zeit überkommt ihn immer stärker eine Müdigkeit an der
Kunst; je friedlicher es ihm im Innern wird, um so stiller wird ihm der Wunsch,
zu schaffen. Als er wieder südwärts reist, hat er abgeschlossen mit allem.
"Wenn man bei mir überhaupt noch von Zukunft sprechen kann," schreibt er
aus Bozen, "so ist das Mißverhältnis so kraß, daß von Heiterkeit keine Rede
sein kann, auch dann, wenn man mir nach unsäglichen Kämpfen zuletzt eine Stellung
gibt. Ich sehe jetzt alles ein und habe keine Illusionen mehr, ich stehe allein
und kann nicht eine kleine Welt in der kurzen Lebenszeit überzeugen." --
Rührend ist, wie die Mutter um ihn sorgt, wie sie ihn bittet, allem Bösen
auszuweichen, nur sich selbst und den innersten Stimmen zu leben. Seine letzten
Briefe aus Venedig sind trüb und müde. Am 21. Dezember 1879 schreibt er
-zum letztenmal an die Mutter. "Einstweilen steht wieder ein großes Kapital in
meinem Atelier", mit einer Hoffnung schließt er auch diesen Brief. Ihr letztes
Schreiben, wieder voll Güte und Treue, wird man nur mit der innigsten


Anselm Feuerbach und seine Zeit

er scheitern. Die Kämpfe, die er hier mit den Behörden, dem Unterrichts¬
minister Stremanr, dem Architekten Hansen, dem Akademiedirektor Eitelberger
auszufechten hatte, untergruben seine Gesundheit, verbitterten ihm den Wiener
Aufenthalt völlig. Seine Mutter stand ihm auch hier aufs treueste zur Seite,
sie bestärkte ihn nicht, zu bleiben, sie wußte, daß Wien ihm schädlich war; „ich
hasse Wien," schrieb sie. Er nahm, um ein Ende zu machen, einen Krankheits¬
urlaub nach Italien, von dem er nicht mehr in sein Amt zurückkehrte.

'Was mich betrifft," schreibt er im „Vermächtnis", „so hatte ich Ursache,
die Gemütlichkeit der Wiener etwas ungemütlich zu finden. ... Ich habe voll¬
ständig begriffen, daß ein Lessing oder Goethe in Österreich unmöglich gewesen
wäre; selbst dem bescheidenen Grillparzer hat man den Lorbeer erst auf das
Grab gelegt." Man kann nicht leugnen, daß die Bitterkeit dieser Anklage
berechtigt war. Wien war die letzte und wohl auch schwerste Leidensstation
dieses Künstlerlebens.

Feuerbach hatte seine Mutter überredet, von dem ihr liebgewordenen
Heidelberg fort nach Nürnberg zu ziehen. Dort nahm er selbst für eine Zeit
Aufenthalt, dann ging er wieder nach Italien. In Venedig sieht er die Assunta
wieder, es entsteht das schöne Gemälde: „Das Konzert", das sich heute in
Berlin in der Nationalgalerie befindet. Er kommt wieder nach Rom, seine
Stimmung ist gleichmäßig still, als wäre schon Abendlicht über seinem Leben.
Er hat Lust, die kleine Insel Isca im Venezianischen anzukaufen, er denkt an
ein Hotel, das man einrichten könne, er wolle auf der Insel begraben sein und
seine Grabschrift hätte er sich auch schon gedichtet; sie lautet:

Noch einmal sollte er über die Alpen fahren und die Mutter wiedersehen.
In dieser letzten Zeit überkommt ihn immer stärker eine Müdigkeit an der
Kunst; je friedlicher es ihm im Innern wird, um so stiller wird ihm der Wunsch,
zu schaffen. Als er wieder südwärts reist, hat er abgeschlossen mit allem.
„Wenn man bei mir überhaupt noch von Zukunft sprechen kann," schreibt er
aus Bozen, „so ist das Mißverhältnis so kraß, daß von Heiterkeit keine Rede
sein kann, auch dann, wenn man mir nach unsäglichen Kämpfen zuletzt eine Stellung
gibt. Ich sehe jetzt alles ein und habe keine Illusionen mehr, ich stehe allein
und kann nicht eine kleine Welt in der kurzen Lebenszeit überzeugen." —
Rührend ist, wie die Mutter um ihn sorgt, wie sie ihn bittet, allem Bösen
auszuweichen, nur sich selbst und den innersten Stimmen zu leben. Seine letzten
Briefe aus Venedig sind trüb und müde. Am 21. Dezember 1879 schreibt er
-zum letztenmal an die Mutter. „Einstweilen steht wieder ein großes Kapital in
meinem Atelier", mit einer Hoffnung schließt er auch diesen Brief. Ihr letztes
Schreiben, wieder voll Güte und Treue, wird man nur mit der innigsten


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[0328] Anselm Feuerbach und seine Zeit er scheitern. Die Kämpfe, die er hier mit den Behörden, dem Unterrichts¬ minister Stremanr, dem Architekten Hansen, dem Akademiedirektor Eitelberger auszufechten hatte, untergruben seine Gesundheit, verbitterten ihm den Wiener Aufenthalt völlig. Seine Mutter stand ihm auch hier aufs treueste zur Seite, sie bestärkte ihn nicht, zu bleiben, sie wußte, daß Wien ihm schädlich war; „ich hasse Wien," schrieb sie. Er nahm, um ein Ende zu machen, einen Krankheits¬ urlaub nach Italien, von dem er nicht mehr in sein Amt zurückkehrte. 'Was mich betrifft," schreibt er im „Vermächtnis", „so hatte ich Ursache, die Gemütlichkeit der Wiener etwas ungemütlich zu finden. ... Ich habe voll¬ ständig begriffen, daß ein Lessing oder Goethe in Österreich unmöglich gewesen wäre; selbst dem bescheidenen Grillparzer hat man den Lorbeer erst auf das Grab gelegt." Man kann nicht leugnen, daß die Bitterkeit dieser Anklage berechtigt war. Wien war die letzte und wohl auch schwerste Leidensstation dieses Künstlerlebens. Feuerbach hatte seine Mutter überredet, von dem ihr liebgewordenen Heidelberg fort nach Nürnberg zu ziehen. Dort nahm er selbst für eine Zeit Aufenthalt, dann ging er wieder nach Italien. In Venedig sieht er die Assunta wieder, es entsteht das schöne Gemälde: „Das Konzert", das sich heute in Berlin in der Nationalgalerie befindet. Er kommt wieder nach Rom, seine Stimmung ist gleichmäßig still, als wäre schon Abendlicht über seinem Leben. Er hat Lust, die kleine Insel Isca im Venezianischen anzukaufen, er denkt an ein Hotel, das man einrichten könne, er wolle auf der Insel begraben sein und seine Grabschrift hätte er sich auch schon gedichtet; sie lautet: Noch einmal sollte er über die Alpen fahren und die Mutter wiedersehen. In dieser letzten Zeit überkommt ihn immer stärker eine Müdigkeit an der Kunst; je friedlicher es ihm im Innern wird, um so stiller wird ihm der Wunsch, zu schaffen. Als er wieder südwärts reist, hat er abgeschlossen mit allem. „Wenn man bei mir überhaupt noch von Zukunft sprechen kann," schreibt er aus Bozen, „so ist das Mißverhältnis so kraß, daß von Heiterkeit keine Rede sein kann, auch dann, wenn man mir nach unsäglichen Kämpfen zuletzt eine Stellung gibt. Ich sehe jetzt alles ein und habe keine Illusionen mehr, ich stehe allein und kann nicht eine kleine Welt in der kurzen Lebenszeit überzeugen." — Rührend ist, wie die Mutter um ihn sorgt, wie sie ihn bittet, allem Bösen auszuweichen, nur sich selbst und den innersten Stimmen zu leben. Seine letzten Briefe aus Venedig sind trüb und müde. Am 21. Dezember 1879 schreibt er -zum letztenmal an die Mutter. „Einstweilen steht wieder ein großes Kapital in meinem Atelier", mit einer Hoffnung schließt er auch diesen Brief. Ihr letztes Schreiben, wieder voll Güte und Treue, wird man nur mit der innigsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/328>, abgerufen am 28.07.2024.