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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Briefe aus der Frühromcmtik

der bekannte Historiker und Schwiegersohn Schellings, zum ersten Male die
Briefe aus dem sorgsam gehüteten Familienarchiv heraus und ließ 1882 eine
zweite Sammlung "Karoline und ihre Freunde" folgen. In diesen Briefen,
die durch ein Beiwort zu typisieren, ihrer lebendigen Einzigartigkeit zu ent¬
kleiden, man Anstand nehmen muß, blühte das Bild der viel bewunderten und
viel gescholtenen Frau in neuer Herrlichkeit auf. Das ursprünglich geschaffene
Kunstwerk ihrer Lebensart, das von keinem Roman erreicht worden wäre,
sprach aus jeder Seite und offenbarte dem Leser, daß in Karolines Frauen-
Persönlichkeit die romantische Lebensform und neu-menschliche Ethik schöpferkräftig
hineingelegt war, so daß sie nicht nur der natürliche Mittelpunkt der romantischen
Schule wurde, deren produktive Fähigkeiten zu ihrem großen Leidwesen so bald
erlöschen sollten, daß sie sogar, man möchte sagen, das wundervollste und
vollendetste Gedicht der Frühromantik war. Daß ihr Leben endigte, wie die
Gesänge der romantischen Schule verhallten und das ruchlos-stolze Beginnen
des geistigen Babel-Turmbaus so kläglich im Mystizismus scheiterte -- diesen
Parallelismus möchte man für mehr als ein Spiel des Zufalls halten.

Unsere von neuromantischen Stimmungen durchhauchte Zeit hat in Neu¬
drucken der Romantikerbriefe auch Karolines Briefe herangezogen, aber in Aus¬
wahl und Bruchstücken (so erst kürzlich Helene Stöcker im Verlage Oesterheld
u. Co., Berlin). Man muß aber diese wundervollen Dokumente ganz und
ungeteilt lesen, um den Lebensatem zu spüren, von dem sie getragen sind. Es
ist das Verdienst Erich Schmidts, nachdem die Waitzschen Ausgaben vergriffen
sind, in der neuen, zweibändigen Ausgabe des Insel-Verlages über den ersten
Herausgeber hinaus zu den teilweis erhaltenen Handschriften zurückgegangen
zu sein, um, bis auf belanglose Alltäglichkeiten, die Briefe so zu geben, wie
sie Karoline einst geschrieben hat/) In seiner wohlgepflegten Philologenart be¬
gleitet Erich Schmidt die Ausgabe mit einer biographischen Einleitung und
sorgfältig zusammengelesenen Anmerkungen, so daß es leicht ist, das Netz von
Beziehungen, das sich von Karoline zu unberühmter, in der Hauptsache aber
berühmten^ Zeitgenossen ausspann, zu überblicken. Briefe an Karoline und
über sie vervollständigen ihr Bild, Beilagen und Anhänge geben, was zu ihr
gehört: dreiunddreißig Briefe Friedrich Schlegels an Karolines Tochter aus
erster Ehe, Auguste Böhmer, die, ein liebliches Kind und der Schwarm aller
Romantiker, unerwartet im Jahre 1800 starb, zwei Gedichte der tief er¬
schütterten Brüder über ihren frühzeitigen Tod, Stanzen Schlegels und Schellings
an Karoline, ihre Verherrlichung in der "Lucinde", Karolines lustige Parodien
der lateinischen Habilitationsthesen Friedrichs, ihre Kritiken, den Entwurf des
erwähnten Romans, Porträts der Briefschreiberin, der Tochter und des einzig
geliebten Gatten Schelling. das Faksimile des Briefes an Goethe, den sie



*) Karoline, Briefe aus der Frühromantik; nach Georg Wcntz vermehrt heraus¬
gegeben von Erich Schmidt. 2 Bde. Leipzig, Insel-Verlag, 1913.
Briefe aus der Frühromcmtik

der bekannte Historiker und Schwiegersohn Schellings, zum ersten Male die
Briefe aus dem sorgsam gehüteten Familienarchiv heraus und ließ 1882 eine
zweite Sammlung „Karoline und ihre Freunde" folgen. In diesen Briefen,
die durch ein Beiwort zu typisieren, ihrer lebendigen Einzigartigkeit zu ent¬
kleiden, man Anstand nehmen muß, blühte das Bild der viel bewunderten und
viel gescholtenen Frau in neuer Herrlichkeit auf. Das ursprünglich geschaffene
Kunstwerk ihrer Lebensart, das von keinem Roman erreicht worden wäre,
sprach aus jeder Seite und offenbarte dem Leser, daß in Karolines Frauen-
Persönlichkeit die romantische Lebensform und neu-menschliche Ethik schöpferkräftig
hineingelegt war, so daß sie nicht nur der natürliche Mittelpunkt der romantischen
Schule wurde, deren produktive Fähigkeiten zu ihrem großen Leidwesen so bald
erlöschen sollten, daß sie sogar, man möchte sagen, das wundervollste und
vollendetste Gedicht der Frühromantik war. Daß ihr Leben endigte, wie die
Gesänge der romantischen Schule verhallten und das ruchlos-stolze Beginnen
des geistigen Babel-Turmbaus so kläglich im Mystizismus scheiterte — diesen
Parallelismus möchte man für mehr als ein Spiel des Zufalls halten.

Unsere von neuromantischen Stimmungen durchhauchte Zeit hat in Neu¬
drucken der Romantikerbriefe auch Karolines Briefe herangezogen, aber in Aus¬
wahl und Bruchstücken (so erst kürzlich Helene Stöcker im Verlage Oesterheld
u. Co., Berlin). Man muß aber diese wundervollen Dokumente ganz und
ungeteilt lesen, um den Lebensatem zu spüren, von dem sie getragen sind. Es
ist das Verdienst Erich Schmidts, nachdem die Waitzschen Ausgaben vergriffen
sind, in der neuen, zweibändigen Ausgabe des Insel-Verlages über den ersten
Herausgeber hinaus zu den teilweis erhaltenen Handschriften zurückgegangen
zu sein, um, bis auf belanglose Alltäglichkeiten, die Briefe so zu geben, wie
sie Karoline einst geschrieben hat/) In seiner wohlgepflegten Philologenart be¬
gleitet Erich Schmidt die Ausgabe mit einer biographischen Einleitung und
sorgfältig zusammengelesenen Anmerkungen, so daß es leicht ist, das Netz von
Beziehungen, das sich von Karoline zu unberühmter, in der Hauptsache aber
berühmten^ Zeitgenossen ausspann, zu überblicken. Briefe an Karoline und
über sie vervollständigen ihr Bild, Beilagen und Anhänge geben, was zu ihr
gehört: dreiunddreißig Briefe Friedrich Schlegels an Karolines Tochter aus
erster Ehe, Auguste Böhmer, die, ein liebliches Kind und der Schwarm aller
Romantiker, unerwartet im Jahre 1800 starb, zwei Gedichte der tief er¬
schütterten Brüder über ihren frühzeitigen Tod, Stanzen Schlegels und Schellings
an Karoline, ihre Verherrlichung in der „Lucinde", Karolines lustige Parodien
der lateinischen Habilitationsthesen Friedrichs, ihre Kritiken, den Entwurf des
erwähnten Romans, Porträts der Briefschreiberin, der Tochter und des einzig
geliebten Gatten Schelling. das Faksimile des Briefes an Goethe, den sie



*) Karoline, Briefe aus der Frühromantik; nach Georg Wcntz vermehrt heraus¬
gegeben von Erich Schmidt. 2 Bde. Leipzig, Insel-Verlag, 1913.
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[0297] Briefe aus der Frühromcmtik der bekannte Historiker und Schwiegersohn Schellings, zum ersten Male die Briefe aus dem sorgsam gehüteten Familienarchiv heraus und ließ 1882 eine zweite Sammlung „Karoline und ihre Freunde" folgen. In diesen Briefen, die durch ein Beiwort zu typisieren, ihrer lebendigen Einzigartigkeit zu ent¬ kleiden, man Anstand nehmen muß, blühte das Bild der viel bewunderten und viel gescholtenen Frau in neuer Herrlichkeit auf. Das ursprünglich geschaffene Kunstwerk ihrer Lebensart, das von keinem Roman erreicht worden wäre, sprach aus jeder Seite und offenbarte dem Leser, daß in Karolines Frauen- Persönlichkeit die romantische Lebensform und neu-menschliche Ethik schöpferkräftig hineingelegt war, so daß sie nicht nur der natürliche Mittelpunkt der romantischen Schule wurde, deren produktive Fähigkeiten zu ihrem großen Leidwesen so bald erlöschen sollten, daß sie sogar, man möchte sagen, das wundervollste und vollendetste Gedicht der Frühromantik war. Daß ihr Leben endigte, wie die Gesänge der romantischen Schule verhallten und das ruchlos-stolze Beginnen des geistigen Babel-Turmbaus so kläglich im Mystizismus scheiterte — diesen Parallelismus möchte man für mehr als ein Spiel des Zufalls halten. Unsere von neuromantischen Stimmungen durchhauchte Zeit hat in Neu¬ drucken der Romantikerbriefe auch Karolines Briefe herangezogen, aber in Aus¬ wahl und Bruchstücken (so erst kürzlich Helene Stöcker im Verlage Oesterheld u. Co., Berlin). Man muß aber diese wundervollen Dokumente ganz und ungeteilt lesen, um den Lebensatem zu spüren, von dem sie getragen sind. Es ist das Verdienst Erich Schmidts, nachdem die Waitzschen Ausgaben vergriffen sind, in der neuen, zweibändigen Ausgabe des Insel-Verlages über den ersten Herausgeber hinaus zu den teilweis erhaltenen Handschriften zurückgegangen zu sein, um, bis auf belanglose Alltäglichkeiten, die Briefe so zu geben, wie sie Karoline einst geschrieben hat/) In seiner wohlgepflegten Philologenart be¬ gleitet Erich Schmidt die Ausgabe mit einer biographischen Einleitung und sorgfältig zusammengelesenen Anmerkungen, so daß es leicht ist, das Netz von Beziehungen, das sich von Karoline zu unberühmter, in der Hauptsache aber berühmten^ Zeitgenossen ausspann, zu überblicken. Briefe an Karoline und über sie vervollständigen ihr Bild, Beilagen und Anhänge geben, was zu ihr gehört: dreiunddreißig Briefe Friedrich Schlegels an Karolines Tochter aus erster Ehe, Auguste Böhmer, die, ein liebliches Kind und der Schwarm aller Romantiker, unerwartet im Jahre 1800 starb, zwei Gedichte der tief er¬ schütterten Brüder über ihren frühzeitigen Tod, Stanzen Schlegels und Schellings an Karoline, ihre Verherrlichung in der „Lucinde", Karolines lustige Parodien der lateinischen Habilitationsthesen Friedrichs, ihre Kritiken, den Entwurf des erwähnten Romans, Porträts der Briefschreiberin, der Tochter und des einzig geliebten Gatten Schelling. das Faksimile des Briefes an Goethe, den sie *) Karoline, Briefe aus der Frühromantik; nach Georg Wcntz vermehrt heraus¬ gegeben von Erich Schmidt. 2 Bde. Leipzig, Insel-Verlag, 1913.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/297>, abgerufen am 22.12.2024.