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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Briefe aus der Frühromantik
v Dr. Max Adam i onn

riedrich Schlegel, dessen bewundernder Tiefblick zuerst das geniale
Naturell seiner Schwägerin Karoline erkannte, schrieb einmal in
einem Brief an sie: ihre Naturformen wären Briefe und Rezen¬
sionen, und warnte sie, wenn sie einmal etwas schreiben würde,
andere Formen zu wählen. Die Schwägerin bedürfte dieser
freundschaftlichen Warnung nicht, denn sie dachte nie ernsthaft daran, etwas
anderes als Briefe zu schreiben, höchstens gelegentlich ein paar Rezensionen,
und brachte es nicht fertig, einen geplanten autobiographischen Roman über den
Entwurf einiger Seiten hinaus zu fördern, so sehr die romantischen Freunde,
Friedrich Schlegel und Novalis darum drängten. Friedrich meinte zwar, nach¬
dem ihr Kosegarten 1798 seine Gedichte "mit preislich ausgedrückten Namen"
gewidmet hatte: mit der Weiblichkeit sei es nun doch vorbei, aber hierin irrte
er sehr. Karoline war nie gewillt, aus dem Kreise echtester Weiblichkeit her¬
auszutreten, und als sie wegen vermeintlicher Teilnahme an der französischen
Revolution gefangen gesetzt und ihr Name vorübergehend in den Vordergrund
des politischen Tagesklatsches gestellt wurde, hat sie schwer darunter gelitten
und hätte gern ein Stück ihres Lebens darum gegeben, wie sie an Götter
schreibt (1793), wenn sie nicht aus der weiblichen Sphäre der Unbekanntheit
gerissen worden wäre. "Denk," fleht sie in einem anderen Briefe, "ich sei die
selbe Frau geblieben, die du immer in mir kanntest, geschaffen, um nicht über
die Grenzen stiller Häuslichkeit hinwegzugehen, aber durch ein unbegreifliches
Schicksal aus meiner Sphäre gerissen, ohne die Tugenden derselben eingebüßt
zu haben, ohne Abenteuerin geworden zu sein." Die Romantikerin, die nach
Wilhelm Schlegels späterem Bekenntnis das Zeug zu einer Schriftstellerin ersten
Ranges gehabt hätte, ließ sich nicht wie ihre Zeitgenössinnen Therese Henne,
Dorothea Schlegel, Frau von Stahl, Bettina usw. auf den Markt der Literaten
verlocken, sie zog den stillen Glanz und das geheim-schöpferische Leben an der
Seite Schlegels und Schellings vor -- und doch ist sie schließlich auf eigene
Faust und unter ihrem Vornamen in die Gefilde der Unsterblichkeit hinein¬
gewandelt. Zweiundsechzig Jahre nach ihrem Tode, 1871, gab Georg Waitz,




Briefe aus der Frühromantik
v Dr. Max Adam i onn

riedrich Schlegel, dessen bewundernder Tiefblick zuerst das geniale
Naturell seiner Schwägerin Karoline erkannte, schrieb einmal in
einem Brief an sie: ihre Naturformen wären Briefe und Rezen¬
sionen, und warnte sie, wenn sie einmal etwas schreiben würde,
andere Formen zu wählen. Die Schwägerin bedürfte dieser
freundschaftlichen Warnung nicht, denn sie dachte nie ernsthaft daran, etwas
anderes als Briefe zu schreiben, höchstens gelegentlich ein paar Rezensionen,
und brachte es nicht fertig, einen geplanten autobiographischen Roman über den
Entwurf einiger Seiten hinaus zu fördern, so sehr die romantischen Freunde,
Friedrich Schlegel und Novalis darum drängten. Friedrich meinte zwar, nach¬
dem ihr Kosegarten 1798 seine Gedichte „mit preislich ausgedrückten Namen"
gewidmet hatte: mit der Weiblichkeit sei es nun doch vorbei, aber hierin irrte
er sehr. Karoline war nie gewillt, aus dem Kreise echtester Weiblichkeit her¬
auszutreten, und als sie wegen vermeintlicher Teilnahme an der französischen
Revolution gefangen gesetzt und ihr Name vorübergehend in den Vordergrund
des politischen Tagesklatsches gestellt wurde, hat sie schwer darunter gelitten
und hätte gern ein Stück ihres Lebens darum gegeben, wie sie an Götter
schreibt (1793), wenn sie nicht aus der weiblichen Sphäre der Unbekanntheit
gerissen worden wäre. „Denk," fleht sie in einem anderen Briefe, „ich sei die
selbe Frau geblieben, die du immer in mir kanntest, geschaffen, um nicht über
die Grenzen stiller Häuslichkeit hinwegzugehen, aber durch ein unbegreifliches
Schicksal aus meiner Sphäre gerissen, ohne die Tugenden derselben eingebüßt
zu haben, ohne Abenteuerin geworden zu sein." Die Romantikerin, die nach
Wilhelm Schlegels späterem Bekenntnis das Zeug zu einer Schriftstellerin ersten
Ranges gehabt hätte, ließ sich nicht wie ihre Zeitgenössinnen Therese Henne,
Dorothea Schlegel, Frau von Stahl, Bettina usw. auf den Markt der Literaten
verlocken, sie zog den stillen Glanz und das geheim-schöpferische Leben an der
Seite Schlegels und Schellings vor — und doch ist sie schließlich auf eigene
Faust und unter ihrem Vornamen in die Gefilde der Unsterblichkeit hinein¬
gewandelt. Zweiundsechzig Jahre nach ihrem Tode, 1871, gab Georg Waitz,


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[0296] [Abbildung] Briefe aus der Frühromantik v Dr. Max Adam i onn riedrich Schlegel, dessen bewundernder Tiefblick zuerst das geniale Naturell seiner Schwägerin Karoline erkannte, schrieb einmal in einem Brief an sie: ihre Naturformen wären Briefe und Rezen¬ sionen, und warnte sie, wenn sie einmal etwas schreiben würde, andere Formen zu wählen. Die Schwägerin bedürfte dieser freundschaftlichen Warnung nicht, denn sie dachte nie ernsthaft daran, etwas anderes als Briefe zu schreiben, höchstens gelegentlich ein paar Rezensionen, und brachte es nicht fertig, einen geplanten autobiographischen Roman über den Entwurf einiger Seiten hinaus zu fördern, so sehr die romantischen Freunde, Friedrich Schlegel und Novalis darum drängten. Friedrich meinte zwar, nach¬ dem ihr Kosegarten 1798 seine Gedichte „mit preislich ausgedrückten Namen" gewidmet hatte: mit der Weiblichkeit sei es nun doch vorbei, aber hierin irrte er sehr. Karoline war nie gewillt, aus dem Kreise echtester Weiblichkeit her¬ auszutreten, und als sie wegen vermeintlicher Teilnahme an der französischen Revolution gefangen gesetzt und ihr Name vorübergehend in den Vordergrund des politischen Tagesklatsches gestellt wurde, hat sie schwer darunter gelitten und hätte gern ein Stück ihres Lebens darum gegeben, wie sie an Götter schreibt (1793), wenn sie nicht aus der weiblichen Sphäre der Unbekanntheit gerissen worden wäre. „Denk," fleht sie in einem anderen Briefe, „ich sei die selbe Frau geblieben, die du immer in mir kanntest, geschaffen, um nicht über die Grenzen stiller Häuslichkeit hinwegzugehen, aber durch ein unbegreifliches Schicksal aus meiner Sphäre gerissen, ohne die Tugenden derselben eingebüßt zu haben, ohne Abenteuerin geworden zu sein." Die Romantikerin, die nach Wilhelm Schlegels späterem Bekenntnis das Zeug zu einer Schriftstellerin ersten Ranges gehabt hätte, ließ sich nicht wie ihre Zeitgenössinnen Therese Henne, Dorothea Schlegel, Frau von Stahl, Bettina usw. auf den Markt der Literaten verlocken, sie zog den stillen Glanz und das geheim-schöpferische Leben an der Seite Schlegels und Schellings vor — und doch ist sie schließlich auf eigene Faust und unter ihrem Vornamen in die Gefilde der Unsterblichkeit hinein¬ gewandelt. Zweiundsechzig Jahre nach ihrem Tode, 1871, gab Georg Waitz,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/296>, abgerufen am 22.12.2024.