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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Grundlagen des Imperialismus

gewonnen wurden, hatte mehr allgemein volkswirtschaftlichen Charakter. Die
Tatsache, daß Deutschland sich nicht an der imperialistischen Politik aller
anderen Großmächte beteiligt, ist um so überraschender, als es -- außer Eng¬
land -- das einzige Land ist, das die inneren Vorbedingungen für eine Ex¬
pansionspolitik hat (drohende Übervölkerung, starke, ausfuhrbedürfttge Industrie,
große, anlagesuchende Kapitalien).




Am deutlichsten ausgeprägt sind die imperialistischen Züge in dem Mutter¬
land des modernen Imperialismus, in England, und es ist daher auch nicht er¬
staunlich, daß dem Studium sowohl der praktischen als auch der theoretischen
Seite des englischen Imperialismus, die eingehendste Beachtung gewidmet
worden ist. So gibt es denn eine kaum übersehbare Reihe von Schriften,
die sich mit der Geschichte, dem Bau, der Ausgestaltung und der inneren
Festigung des englischen Weltreiches beschäftigen, und fast jede Nummer
der politischen englischen Reviews bringt weitere wertvolle Beiträge. Aber auch
der theoretische Teil der Frage ist nicht unbeachtet geblieben; von verschiedenen
Seiten ist mit Erfolg versucht worden, die Wurzeln des englischen Imperia¬
lismus bloßzulegen. Unter den Schriften über dieses Thema hat das Buch des
Professors von Schulze-Gaevernitz: "Britischer Imperialismus und englischer
Freihandel" mit Recht die größte Beachtung gefunden. Schulze - Gaevernitz
definiert in diesem Buche das Ideal des britischen Imperialisten, und er zeigt
wie es kam, daß dieses Ideal Gemeingut des englischen Volkes wurde und
werden mußte. Das Endziel des britischen Imperialisten ist nach seinen Aus¬
führungen in erster Linie nicht die Verwirklichung eines volkswirtschaftlichen
Programms -- also gewissermaßen ein materialistisches Ideal --, sondern als
höchstes Ziel steht dem britischen Imperialisten vor Augen die Schaffung einer,
nationalen, britischen Organisation, die die britischen Kulturideale als die
höchsten, die es überhaupt gibt, zu verwirklichen imstande sei. Daneben seien
es auch Erwägungen wirtschaftlicher Natur, die einen engen Zusammenschluß
der britisch besiedelten Gebiete als geboten erscheinen lassen. Während sich so
das imperialistische Streben der Engländer vor allem den großen, mit Eng¬
ländern besiedelten Gebieten -- Kanada, Australien, Südafrika -- zuwende,
habe diese aktive Politik als solche zusammen mit dem auf Sicherung der alten
Tropenkolonien gerichteten Bestreben auch die Erwerbung einer Reihe von
neuen tropischen Gebieten zur Folge gehabt; so sei -- teils widerwillig, teils
mit voller Absicht -- z. B. Biram, Ägypten, der Sudan, Uganda erobert
worden. -- Der Erhaltung dieses Ideals -- politischer und auch wirtschaftlicher
Zusammenschluß eines englisch redenden Reiches unter dem Anschluß der Pflanzungs¬
kolonien -- seien die anderen imperialistischen Bestrebungen, Stärkung der Wehr¬
kraft, Handels- und Finanzpolitik gewidmet.


Grundlagen des Imperialismus

gewonnen wurden, hatte mehr allgemein volkswirtschaftlichen Charakter. Die
Tatsache, daß Deutschland sich nicht an der imperialistischen Politik aller
anderen Großmächte beteiligt, ist um so überraschender, als es — außer Eng¬
land — das einzige Land ist, das die inneren Vorbedingungen für eine Ex¬
pansionspolitik hat (drohende Übervölkerung, starke, ausfuhrbedürfttge Industrie,
große, anlagesuchende Kapitalien).




Am deutlichsten ausgeprägt sind die imperialistischen Züge in dem Mutter¬
land des modernen Imperialismus, in England, und es ist daher auch nicht er¬
staunlich, daß dem Studium sowohl der praktischen als auch der theoretischen
Seite des englischen Imperialismus, die eingehendste Beachtung gewidmet
worden ist. So gibt es denn eine kaum übersehbare Reihe von Schriften,
die sich mit der Geschichte, dem Bau, der Ausgestaltung und der inneren
Festigung des englischen Weltreiches beschäftigen, und fast jede Nummer
der politischen englischen Reviews bringt weitere wertvolle Beiträge. Aber auch
der theoretische Teil der Frage ist nicht unbeachtet geblieben; von verschiedenen
Seiten ist mit Erfolg versucht worden, die Wurzeln des englischen Imperia¬
lismus bloßzulegen. Unter den Schriften über dieses Thema hat das Buch des
Professors von Schulze-Gaevernitz: „Britischer Imperialismus und englischer
Freihandel" mit Recht die größte Beachtung gefunden. Schulze - Gaevernitz
definiert in diesem Buche das Ideal des britischen Imperialisten, und er zeigt
wie es kam, daß dieses Ideal Gemeingut des englischen Volkes wurde und
werden mußte. Das Endziel des britischen Imperialisten ist nach seinen Aus¬
führungen in erster Linie nicht die Verwirklichung eines volkswirtschaftlichen
Programms — also gewissermaßen ein materialistisches Ideal —, sondern als
höchstes Ziel steht dem britischen Imperialisten vor Augen die Schaffung einer,
nationalen, britischen Organisation, die die britischen Kulturideale als die
höchsten, die es überhaupt gibt, zu verwirklichen imstande sei. Daneben seien
es auch Erwägungen wirtschaftlicher Natur, die einen engen Zusammenschluß
der britisch besiedelten Gebiete als geboten erscheinen lassen. Während sich so
das imperialistische Streben der Engländer vor allem den großen, mit Eng¬
ländern besiedelten Gebieten — Kanada, Australien, Südafrika — zuwende,
habe diese aktive Politik als solche zusammen mit dem auf Sicherung der alten
Tropenkolonien gerichteten Bestreben auch die Erwerbung einer Reihe von
neuen tropischen Gebieten zur Folge gehabt; so sei — teils widerwillig, teils
mit voller Absicht — z. B. Biram, Ägypten, der Sudan, Uganda erobert
worden. — Der Erhaltung dieses Ideals — politischer und auch wirtschaftlicher
Zusammenschluß eines englisch redenden Reiches unter dem Anschluß der Pflanzungs¬
kolonien — seien die anderen imperialistischen Bestrebungen, Stärkung der Wehr¬
kraft, Handels- und Finanzpolitik gewidmet.


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[0271] Grundlagen des Imperialismus gewonnen wurden, hatte mehr allgemein volkswirtschaftlichen Charakter. Die Tatsache, daß Deutschland sich nicht an der imperialistischen Politik aller anderen Großmächte beteiligt, ist um so überraschender, als es — außer Eng¬ land — das einzige Land ist, das die inneren Vorbedingungen für eine Ex¬ pansionspolitik hat (drohende Übervölkerung, starke, ausfuhrbedürfttge Industrie, große, anlagesuchende Kapitalien). Am deutlichsten ausgeprägt sind die imperialistischen Züge in dem Mutter¬ land des modernen Imperialismus, in England, und es ist daher auch nicht er¬ staunlich, daß dem Studium sowohl der praktischen als auch der theoretischen Seite des englischen Imperialismus, die eingehendste Beachtung gewidmet worden ist. So gibt es denn eine kaum übersehbare Reihe von Schriften, die sich mit der Geschichte, dem Bau, der Ausgestaltung und der inneren Festigung des englischen Weltreiches beschäftigen, und fast jede Nummer der politischen englischen Reviews bringt weitere wertvolle Beiträge. Aber auch der theoretische Teil der Frage ist nicht unbeachtet geblieben; von verschiedenen Seiten ist mit Erfolg versucht worden, die Wurzeln des englischen Imperia¬ lismus bloßzulegen. Unter den Schriften über dieses Thema hat das Buch des Professors von Schulze-Gaevernitz: „Britischer Imperialismus und englischer Freihandel" mit Recht die größte Beachtung gefunden. Schulze - Gaevernitz definiert in diesem Buche das Ideal des britischen Imperialisten, und er zeigt wie es kam, daß dieses Ideal Gemeingut des englischen Volkes wurde und werden mußte. Das Endziel des britischen Imperialisten ist nach seinen Aus¬ führungen in erster Linie nicht die Verwirklichung eines volkswirtschaftlichen Programms — also gewissermaßen ein materialistisches Ideal —, sondern als höchstes Ziel steht dem britischen Imperialisten vor Augen die Schaffung einer, nationalen, britischen Organisation, die die britischen Kulturideale als die höchsten, die es überhaupt gibt, zu verwirklichen imstande sei. Daneben seien es auch Erwägungen wirtschaftlicher Natur, die einen engen Zusammenschluß der britisch besiedelten Gebiete als geboten erscheinen lassen. Während sich so das imperialistische Streben der Engländer vor allem den großen, mit Eng¬ ländern besiedelten Gebieten — Kanada, Australien, Südafrika — zuwende, habe diese aktive Politik als solche zusammen mit dem auf Sicherung der alten Tropenkolonien gerichteten Bestreben auch die Erwerbung einer Reihe von neuen tropischen Gebieten zur Folge gehabt; so sei — teils widerwillig, teils mit voller Absicht — z. B. Biram, Ägypten, der Sudan, Uganda erobert worden. — Der Erhaltung dieses Ideals — politischer und auch wirtschaftlicher Zusammenschluß eines englisch redenden Reiches unter dem Anschluß der Pflanzungs¬ kolonien — seien die anderen imperialistischen Bestrebungen, Stärkung der Wehr¬ kraft, Handels- und Finanzpolitik gewidmet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/271>, abgerufen am 27.07.2024.