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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Grundlagen des Imperialismus

Kenntnis der allgemein menschlichen, der geschichtlichen und wirtschaftlichen Zu¬
sammenhänge heraus ganz beantworten könnte. So ergeben sich dem, der sich an
dieses Thema wagt, die Beschränkungen von selbst. Und wenn in diesem Auf¬
satze den Entstehungsgründen des Imperialismus nachgegangen werden soll, so
geschieht es mehr, um diese Fragen aufzuwerfen und auf die Möglichkeiten ihrer
Lösung hinzudeuten, als um sie zu lösen.

Über den Begriff "Imperialismus" selbst Klarheit zu schaffen, ist nicht
schwer. Denn der moderne Imperialismus ist ein ziemlich fest abgegrenzter
Begriff. Er unterscheidet sich scharf von dem Imperialismus im Sinne des
älteren Staatsrechts, das ihn -- wie es Friedrich Julius Stahl in seiner "Staats¬
lehre" tut -- von dem Begriff der absoluten Monarchie ableitet, deren zwei
Unterarten die absolute Monarchie auf Grund der Legitimität -- die eigentliche
absolute Monarchie -- und die absolute Monarchie auf Grund der Revolution
-- der Imperialismus -- sind. Ebensowenig deckt sich der Begriff Imperialis¬
mus mit dein staatlichen, auf die Errichtung eines Weltreichs gerichteten Streben
zur Zeit des römischen Kaiserreichs, obgleich die Ähnlichkeit groß ist und der
Name dein römischen Imperium seinen Ursprung verdankt. Aber die Verschieden¬
heit der Auffassung vom Wesen des Staates, das Ideal der römischen, aus der
Volksmonarchie abgeleiteten Universalmonarchie mit seiner religiösen Beimischung
bedingt wesentliche Unterschiede von dem heutigen imperialistischen Ideal mit
seinen nationalen und wirtschaftlichen Bestandteilen. So wird man im Sinne
des modernen Sprachgebrauchs den Imperialismus bezeichnen können -- wenn
man die Definition auf die Kürze eines Schlagwortes zurückführen will -- als
das Streben nach Weltherrschaft; oder eingehender und zutreffender definiert:
als das Streben eines Volkes nach möglichst großer Ausdehnung in politischer
oder doch wirtschaftlicher Beziehung, ohne Rücksicht auf die Bedingungen des
eigenen Landes.

Ein überreiches Material bietet sich dem, der aus der praktischen Betätigung
des Imperialismus heraus die Grundzüge seines Wesens und die Vorbedingungen
seines Vorhandenseins ableiten will. Denn fast alle modernen Großstaaten sind
bemüht, ihr politisches und wirtschaftliches Machtgebiet über die Grenzen des
eigenen Staates hinaus möglichst weit und möglichst stark auszudehnen: Eng¬
land, Frankreich, Italien, Rußland, die Vereinigten Staaten, Japan; sogar in
Österreich wird man jetzt von einer imperialistischen Politik sprechen können.

Deutschland ist die einzige Großmacht, deren Politik nicht nach imperialistischen
Gesichtspunkten geleitet wird. Denn die einzelnen Maßnahmen, die man aus
diesem Gesichtspunkt heraus betrachten könnte, die Besetzung Tsingtaus, die
Schaffung einer Flotte, die Fühlungnahme mit der mohammedanischen Welt,
sind zu vereinzelt und von zu ausgesprochenen D6sint6ressementserklärungen
begleitet gewesen, als daß man von einer einheitlichen imperialistischen Politik
Deutschlands sprechen könnte. Auch der Erwerb von Kolonien, die ja in ihrem
wertvolleren Teil noch von Bismarck in einer vorimperialistischen Zeit dem Reich


Grundlagen des Imperialismus

Kenntnis der allgemein menschlichen, der geschichtlichen und wirtschaftlichen Zu¬
sammenhänge heraus ganz beantworten könnte. So ergeben sich dem, der sich an
dieses Thema wagt, die Beschränkungen von selbst. Und wenn in diesem Auf¬
satze den Entstehungsgründen des Imperialismus nachgegangen werden soll, so
geschieht es mehr, um diese Fragen aufzuwerfen und auf die Möglichkeiten ihrer
Lösung hinzudeuten, als um sie zu lösen.

Über den Begriff „Imperialismus" selbst Klarheit zu schaffen, ist nicht
schwer. Denn der moderne Imperialismus ist ein ziemlich fest abgegrenzter
Begriff. Er unterscheidet sich scharf von dem Imperialismus im Sinne des
älteren Staatsrechts, das ihn — wie es Friedrich Julius Stahl in seiner „Staats¬
lehre" tut — von dem Begriff der absoluten Monarchie ableitet, deren zwei
Unterarten die absolute Monarchie auf Grund der Legitimität — die eigentliche
absolute Monarchie — und die absolute Monarchie auf Grund der Revolution
— der Imperialismus — sind. Ebensowenig deckt sich der Begriff Imperialis¬
mus mit dein staatlichen, auf die Errichtung eines Weltreichs gerichteten Streben
zur Zeit des römischen Kaiserreichs, obgleich die Ähnlichkeit groß ist und der
Name dein römischen Imperium seinen Ursprung verdankt. Aber die Verschieden¬
heit der Auffassung vom Wesen des Staates, das Ideal der römischen, aus der
Volksmonarchie abgeleiteten Universalmonarchie mit seiner religiösen Beimischung
bedingt wesentliche Unterschiede von dem heutigen imperialistischen Ideal mit
seinen nationalen und wirtschaftlichen Bestandteilen. So wird man im Sinne
des modernen Sprachgebrauchs den Imperialismus bezeichnen können — wenn
man die Definition auf die Kürze eines Schlagwortes zurückführen will — als
das Streben nach Weltherrschaft; oder eingehender und zutreffender definiert:
als das Streben eines Volkes nach möglichst großer Ausdehnung in politischer
oder doch wirtschaftlicher Beziehung, ohne Rücksicht auf die Bedingungen des
eigenen Landes.

Ein überreiches Material bietet sich dem, der aus der praktischen Betätigung
des Imperialismus heraus die Grundzüge seines Wesens und die Vorbedingungen
seines Vorhandenseins ableiten will. Denn fast alle modernen Großstaaten sind
bemüht, ihr politisches und wirtschaftliches Machtgebiet über die Grenzen des
eigenen Staates hinaus möglichst weit und möglichst stark auszudehnen: Eng¬
land, Frankreich, Italien, Rußland, die Vereinigten Staaten, Japan; sogar in
Österreich wird man jetzt von einer imperialistischen Politik sprechen können.

Deutschland ist die einzige Großmacht, deren Politik nicht nach imperialistischen
Gesichtspunkten geleitet wird. Denn die einzelnen Maßnahmen, die man aus
diesem Gesichtspunkt heraus betrachten könnte, die Besetzung Tsingtaus, die
Schaffung einer Flotte, die Fühlungnahme mit der mohammedanischen Welt,
sind zu vereinzelt und von zu ausgesprochenen D6sint6ressementserklärungen
begleitet gewesen, als daß man von einer einheitlichen imperialistischen Politik
Deutschlands sprechen könnte. Auch der Erwerb von Kolonien, die ja in ihrem
wertvolleren Teil noch von Bismarck in einer vorimperialistischen Zeit dem Reich


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[0270] Grundlagen des Imperialismus Kenntnis der allgemein menschlichen, der geschichtlichen und wirtschaftlichen Zu¬ sammenhänge heraus ganz beantworten könnte. So ergeben sich dem, der sich an dieses Thema wagt, die Beschränkungen von selbst. Und wenn in diesem Auf¬ satze den Entstehungsgründen des Imperialismus nachgegangen werden soll, so geschieht es mehr, um diese Fragen aufzuwerfen und auf die Möglichkeiten ihrer Lösung hinzudeuten, als um sie zu lösen. Über den Begriff „Imperialismus" selbst Klarheit zu schaffen, ist nicht schwer. Denn der moderne Imperialismus ist ein ziemlich fest abgegrenzter Begriff. Er unterscheidet sich scharf von dem Imperialismus im Sinne des älteren Staatsrechts, das ihn — wie es Friedrich Julius Stahl in seiner „Staats¬ lehre" tut — von dem Begriff der absoluten Monarchie ableitet, deren zwei Unterarten die absolute Monarchie auf Grund der Legitimität — die eigentliche absolute Monarchie — und die absolute Monarchie auf Grund der Revolution — der Imperialismus — sind. Ebensowenig deckt sich der Begriff Imperialis¬ mus mit dein staatlichen, auf die Errichtung eines Weltreichs gerichteten Streben zur Zeit des römischen Kaiserreichs, obgleich die Ähnlichkeit groß ist und der Name dein römischen Imperium seinen Ursprung verdankt. Aber die Verschieden¬ heit der Auffassung vom Wesen des Staates, das Ideal der römischen, aus der Volksmonarchie abgeleiteten Universalmonarchie mit seiner religiösen Beimischung bedingt wesentliche Unterschiede von dem heutigen imperialistischen Ideal mit seinen nationalen und wirtschaftlichen Bestandteilen. So wird man im Sinne des modernen Sprachgebrauchs den Imperialismus bezeichnen können — wenn man die Definition auf die Kürze eines Schlagwortes zurückführen will — als das Streben nach Weltherrschaft; oder eingehender und zutreffender definiert: als das Streben eines Volkes nach möglichst großer Ausdehnung in politischer oder doch wirtschaftlicher Beziehung, ohne Rücksicht auf die Bedingungen des eigenen Landes. Ein überreiches Material bietet sich dem, der aus der praktischen Betätigung des Imperialismus heraus die Grundzüge seines Wesens und die Vorbedingungen seines Vorhandenseins ableiten will. Denn fast alle modernen Großstaaten sind bemüht, ihr politisches und wirtschaftliches Machtgebiet über die Grenzen des eigenen Staates hinaus möglichst weit und möglichst stark auszudehnen: Eng¬ land, Frankreich, Italien, Rußland, die Vereinigten Staaten, Japan; sogar in Österreich wird man jetzt von einer imperialistischen Politik sprechen können. Deutschland ist die einzige Großmacht, deren Politik nicht nach imperialistischen Gesichtspunkten geleitet wird. Denn die einzelnen Maßnahmen, die man aus diesem Gesichtspunkt heraus betrachten könnte, die Besetzung Tsingtaus, die Schaffung einer Flotte, die Fühlungnahme mit der mohammedanischen Welt, sind zu vereinzelt und von zu ausgesprochenen D6sint6ressementserklärungen begleitet gewesen, als daß man von einer einheitlichen imperialistischen Politik Deutschlands sprechen könnte. Auch der Erwerb von Kolonien, die ja in ihrem wertvolleren Teil noch von Bismarck in einer vorimperialistischen Zeit dem Reich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/270>, abgerufen am 27.07.2024.