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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Grundlagen des Imperialismus

Wie sich dieses Ideal geformt hat, wie es Gemeingut eines Volkes wurde,
das leitet Schulze-Gaevernitz aus der Geschichte Englands ab, und zwar aus
dem Verlauf der politischen Geschichte, wie aus dem der Entwicklungsgeschichte
seiner Bewohner. "England siegte über seine Mitbewerber, nicht nur weil es
den stärkeren Staat, sondern auch weil es den stärkeren Einzelmenschen besaß"
(S. 7). Die natürlichen Vorbedingungen für die Hervorbringung eines besonders
hochstehenden Typus von Menschen waren in England schon gegeben durch seine
natürliche Lage als nordische Insel, die ihre Bewohner durch ständige Berührung
mit dem Meer abhärtet, stählt, selbständig und weitblickend macht. Auf
diesen Menschenschlag wirkten die Umwälzungen besonders stark, welche die
Kirchenreformation England brachte; diese äußerte sich, wie Schulze-Gaevernitz
im Anschluß an Carlvle ausführt, in einer positiven und einer negativen
Richtung. negativ, indem sie den mittelalterlichen Menschen von feiner reli¬
giösen und gesellschaftlichen Gebundenheit befreite und so eine geistige und
staatliche Befreiung des Individuums brachte; positiv, indem sie einen neuen
Menschen schuf, der auf Grund seiner religiösen Selbstbestimmung und Ver¬
antwortung auch für die wirtschaftliche Selbstbestimmung reif gemacht wurde.
Durch eine eingehende Charakteristik dieses religiös neugebildeten Menschen, des
Puritaners, weist Schulze-Gaevernitz, unter Bezugnahme auf die Forschungen
Max Webers, auf die engen Zusammenhänge und die gegenseitige Bedingtheit
des puritanischen und des kapitalistischen Geistes hin -- ein Zusammenhang,
der übrigens auch dichterisch von Johannes V, Imsen in seinem Roman "Das
Rad" (S. 125) erfaßt worden ist. So entstand der kapitalistische Geist der
Neuzeit, dessen religiöses Empfinden sich zunächst auf die Erreichung diesseitiger
und jenseitiger Ziele gleichmäßig verteilte, bis dann allmählich die jenseitigen
verblaßten und die diesseitigen sich beherrschend in den Vordergrund drängten.
Diesem Menschenschlag, der durch jahrhundertelange puritanische Erziehung
Selbstzucht geübt hatte, geistig von der Vollkommenheit seiner Anschauungen,
von der Allgemeingültigkeit seines Ideals überzeugt und wirtschaftlich von
vorwärtsdrängenden kapitalistischen Geist erfüllt war, wurden neue geistige
Ideale aufgepfropft von den Vertretern einer Richtung, die in bewußtem
Gegensatz stand zu der allgemeinen Nützlichkeitslehre der herrschenden Manchester¬
schule. Es war Carlyle, der die Persönlichkeit, den "Helden" und damit auch
den "politischen und geistesgeschichtlichen Faktor in den Vordergrund auch der
Volkswirtschaft" stellte, der durch die Betonung des Wertes der Nation gegen¬
über Rentabilitätsberechnungen, der Pflicht des starken Staates zu kolo¬
nisieren und zu kultuvieren, die Keime zu einer imperialistischen Entwicklung
legte. Diese Gedanken wurden von den Universitäten aufgenommen, in die weiteren
Kreise der Gebildeten übertragen; bis sich in Beaconsfield der Mann fand,
der diese Gedanken in die Tat umzusetzen verstand. So bildete sich das
moderne Geschlecht britischer Imperialisten heraus, das sein Vaterland nicht
mehr allein in dem Vereinigten Königreiche sieht, sondern in einem britischen


Grundlagen des Imperialismus

Wie sich dieses Ideal geformt hat, wie es Gemeingut eines Volkes wurde,
das leitet Schulze-Gaevernitz aus der Geschichte Englands ab, und zwar aus
dem Verlauf der politischen Geschichte, wie aus dem der Entwicklungsgeschichte
seiner Bewohner. „England siegte über seine Mitbewerber, nicht nur weil es
den stärkeren Staat, sondern auch weil es den stärkeren Einzelmenschen besaß"
(S. 7). Die natürlichen Vorbedingungen für die Hervorbringung eines besonders
hochstehenden Typus von Menschen waren in England schon gegeben durch seine
natürliche Lage als nordische Insel, die ihre Bewohner durch ständige Berührung
mit dem Meer abhärtet, stählt, selbständig und weitblickend macht. Auf
diesen Menschenschlag wirkten die Umwälzungen besonders stark, welche die
Kirchenreformation England brachte; diese äußerte sich, wie Schulze-Gaevernitz
im Anschluß an Carlvle ausführt, in einer positiven und einer negativen
Richtung. negativ, indem sie den mittelalterlichen Menschen von feiner reli¬
giösen und gesellschaftlichen Gebundenheit befreite und so eine geistige und
staatliche Befreiung des Individuums brachte; positiv, indem sie einen neuen
Menschen schuf, der auf Grund seiner religiösen Selbstbestimmung und Ver¬
antwortung auch für die wirtschaftliche Selbstbestimmung reif gemacht wurde.
Durch eine eingehende Charakteristik dieses religiös neugebildeten Menschen, des
Puritaners, weist Schulze-Gaevernitz, unter Bezugnahme auf die Forschungen
Max Webers, auf die engen Zusammenhänge und die gegenseitige Bedingtheit
des puritanischen und des kapitalistischen Geistes hin — ein Zusammenhang,
der übrigens auch dichterisch von Johannes V, Imsen in seinem Roman „Das
Rad" (S. 125) erfaßt worden ist. So entstand der kapitalistische Geist der
Neuzeit, dessen religiöses Empfinden sich zunächst auf die Erreichung diesseitiger
und jenseitiger Ziele gleichmäßig verteilte, bis dann allmählich die jenseitigen
verblaßten und die diesseitigen sich beherrschend in den Vordergrund drängten.
Diesem Menschenschlag, der durch jahrhundertelange puritanische Erziehung
Selbstzucht geübt hatte, geistig von der Vollkommenheit seiner Anschauungen,
von der Allgemeingültigkeit seines Ideals überzeugt und wirtschaftlich von
vorwärtsdrängenden kapitalistischen Geist erfüllt war, wurden neue geistige
Ideale aufgepfropft von den Vertretern einer Richtung, die in bewußtem
Gegensatz stand zu der allgemeinen Nützlichkeitslehre der herrschenden Manchester¬
schule. Es war Carlyle, der die Persönlichkeit, den „Helden" und damit auch
den „politischen und geistesgeschichtlichen Faktor in den Vordergrund auch der
Volkswirtschaft" stellte, der durch die Betonung des Wertes der Nation gegen¬
über Rentabilitätsberechnungen, der Pflicht des starken Staates zu kolo¬
nisieren und zu kultuvieren, die Keime zu einer imperialistischen Entwicklung
legte. Diese Gedanken wurden von den Universitäten aufgenommen, in die weiteren
Kreise der Gebildeten übertragen; bis sich in Beaconsfield der Mann fand,
der diese Gedanken in die Tat umzusetzen verstand. So bildete sich das
moderne Geschlecht britischer Imperialisten heraus, das sein Vaterland nicht
mehr allein in dem Vereinigten Königreiche sieht, sondern in einem britischen


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[0272] Grundlagen des Imperialismus Wie sich dieses Ideal geformt hat, wie es Gemeingut eines Volkes wurde, das leitet Schulze-Gaevernitz aus der Geschichte Englands ab, und zwar aus dem Verlauf der politischen Geschichte, wie aus dem der Entwicklungsgeschichte seiner Bewohner. „England siegte über seine Mitbewerber, nicht nur weil es den stärkeren Staat, sondern auch weil es den stärkeren Einzelmenschen besaß" (S. 7). Die natürlichen Vorbedingungen für die Hervorbringung eines besonders hochstehenden Typus von Menschen waren in England schon gegeben durch seine natürliche Lage als nordische Insel, die ihre Bewohner durch ständige Berührung mit dem Meer abhärtet, stählt, selbständig und weitblickend macht. Auf diesen Menschenschlag wirkten die Umwälzungen besonders stark, welche die Kirchenreformation England brachte; diese äußerte sich, wie Schulze-Gaevernitz im Anschluß an Carlvle ausführt, in einer positiven und einer negativen Richtung. negativ, indem sie den mittelalterlichen Menschen von feiner reli¬ giösen und gesellschaftlichen Gebundenheit befreite und so eine geistige und staatliche Befreiung des Individuums brachte; positiv, indem sie einen neuen Menschen schuf, der auf Grund seiner religiösen Selbstbestimmung und Ver¬ antwortung auch für die wirtschaftliche Selbstbestimmung reif gemacht wurde. Durch eine eingehende Charakteristik dieses religiös neugebildeten Menschen, des Puritaners, weist Schulze-Gaevernitz, unter Bezugnahme auf die Forschungen Max Webers, auf die engen Zusammenhänge und die gegenseitige Bedingtheit des puritanischen und des kapitalistischen Geistes hin — ein Zusammenhang, der übrigens auch dichterisch von Johannes V, Imsen in seinem Roman „Das Rad" (S. 125) erfaßt worden ist. So entstand der kapitalistische Geist der Neuzeit, dessen religiöses Empfinden sich zunächst auf die Erreichung diesseitiger und jenseitiger Ziele gleichmäßig verteilte, bis dann allmählich die jenseitigen verblaßten und die diesseitigen sich beherrschend in den Vordergrund drängten. Diesem Menschenschlag, der durch jahrhundertelange puritanische Erziehung Selbstzucht geübt hatte, geistig von der Vollkommenheit seiner Anschauungen, von der Allgemeingültigkeit seines Ideals überzeugt und wirtschaftlich von vorwärtsdrängenden kapitalistischen Geist erfüllt war, wurden neue geistige Ideale aufgepfropft von den Vertretern einer Richtung, die in bewußtem Gegensatz stand zu der allgemeinen Nützlichkeitslehre der herrschenden Manchester¬ schule. Es war Carlyle, der die Persönlichkeit, den „Helden" und damit auch den „politischen und geistesgeschichtlichen Faktor in den Vordergrund auch der Volkswirtschaft" stellte, der durch die Betonung des Wertes der Nation gegen¬ über Rentabilitätsberechnungen, der Pflicht des starken Staates zu kolo¬ nisieren und zu kultuvieren, die Keime zu einer imperialistischen Entwicklung legte. Diese Gedanken wurden von den Universitäten aufgenommen, in die weiteren Kreise der Gebildeten übertragen; bis sich in Beaconsfield der Mann fand, der diese Gedanken in die Tat umzusetzen verstand. So bildete sich das moderne Geschlecht britischer Imperialisten heraus, das sein Vaterland nicht mehr allein in dem Vereinigten Königreiche sieht, sondern in einem britischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/272>, abgerufen am 28.07.2024.