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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Grundlagen des Imperialismus
Of, jur, Herbort von Dirksen von in

aß der Imperialismus unter den politischen Fragen der Gegen¬
wart den wichtigsten Platz einnimmt, darüber besteht heute kaun:
noch ein Zweifel; aber warum er diese Rolle spielt -- warum
er sie spielen muß. ob er sie spielen muß --, mit dieser Frage
hat man sich, in Deutschland wenigstens, nicht viel beschäftigt.
Mit andern Worten: die Praxis des Imperialismus ist jedem geläufig; auch
der "man in tre 8dreht" wird um eine Antwort auf die Frage nie verlegen
sein, wie sich der Imperialismus äußert und was für Folgen er hat. Aber
mit der Theorie des Imperialismus haben sich nur wenige abgegeben, und
kaum jemand könnte eine Antwort geben, wenn man ihn fragte: welchen Kräften
und Vorbedingungen verdankt der Imperialismus seine Entstehung? Warum
ist sein Dasein eine innere Notwendigkeit? Und doch wäre es von so außer¬
ordentlicher Bedeutung, die Wurzeln des Imperialismus bloßzulegen. Denn
eine Darlegung seiner geschichtlichen und wirtschaftlichen Entstehungsursachen
müßte zugleich Klarheit darüber verschaffen, ob er nur eine Einzelerscheinung ist,
die für ein bestimmtes Volk unter bestimmten Voraussetzungen Berechtigung hat,
oder ob er eine innere Notwendigkeit, ein Zwang ist -- herausgeboren aus der
unabänderlichen Entwicklung der Menschheit -- dem kein Volk sich entziehen kann,
das seinen Platz behaupten will.

Eine solche Untersuchung über die Grundlagen des Imperialismus hätte
allerdings zur Voraussetzung, daß man ihn, ebenso wie alle geschichtliche Ent¬
wicklung, nicht für das zufällige Ergebnis äußerer Umstände, etwa des Ehrgeizes
von einzelnen politischen Führern hält, sondern daß man ihn als die naturnot-
wendige und im Zusammenhang mit der Vergangenheit zu erklärende Willens¬
äußerung im Leben des Volkes oder der Völker betrachtet. Aber es dürfte heute
wohl kaum noch jemand geben, der so leichtfertig über eine so allgemeine Er¬
scheinung von eindrucksvoller Sinnfälligkeit urteilte, daß er den Imperialismus für
eine vorübergehende Erscheinung hielte, die dem ungemessenen Ehrgeiz der Führer
eines Volkes oder der Habsucht seiner Kapitalisten ihre Entstehung verdankt. Wenn
man die Frage nach den Grundlagen des Imperialismus so stellt, eindringender
u"d umfassender, so ergiebt sich zugleich, daß man sie nur aus einer völligen




Grundlagen des Imperialismus
Of, jur, Herbort von Dirksen von in

aß der Imperialismus unter den politischen Fragen der Gegen¬
wart den wichtigsten Platz einnimmt, darüber besteht heute kaun:
noch ein Zweifel; aber warum er diese Rolle spielt — warum
er sie spielen muß. ob er sie spielen muß —, mit dieser Frage
hat man sich, in Deutschland wenigstens, nicht viel beschäftigt.
Mit andern Worten: die Praxis des Imperialismus ist jedem geläufig; auch
der „man in tre 8dreht" wird um eine Antwort auf die Frage nie verlegen
sein, wie sich der Imperialismus äußert und was für Folgen er hat. Aber
mit der Theorie des Imperialismus haben sich nur wenige abgegeben, und
kaum jemand könnte eine Antwort geben, wenn man ihn fragte: welchen Kräften
und Vorbedingungen verdankt der Imperialismus seine Entstehung? Warum
ist sein Dasein eine innere Notwendigkeit? Und doch wäre es von so außer¬
ordentlicher Bedeutung, die Wurzeln des Imperialismus bloßzulegen. Denn
eine Darlegung seiner geschichtlichen und wirtschaftlichen Entstehungsursachen
müßte zugleich Klarheit darüber verschaffen, ob er nur eine Einzelerscheinung ist,
die für ein bestimmtes Volk unter bestimmten Voraussetzungen Berechtigung hat,
oder ob er eine innere Notwendigkeit, ein Zwang ist — herausgeboren aus der
unabänderlichen Entwicklung der Menschheit — dem kein Volk sich entziehen kann,
das seinen Platz behaupten will.

Eine solche Untersuchung über die Grundlagen des Imperialismus hätte
allerdings zur Voraussetzung, daß man ihn, ebenso wie alle geschichtliche Ent¬
wicklung, nicht für das zufällige Ergebnis äußerer Umstände, etwa des Ehrgeizes
von einzelnen politischen Führern hält, sondern daß man ihn als die naturnot-
wendige und im Zusammenhang mit der Vergangenheit zu erklärende Willens¬
äußerung im Leben des Volkes oder der Völker betrachtet. Aber es dürfte heute
wohl kaum noch jemand geben, der so leichtfertig über eine so allgemeine Er¬
scheinung von eindrucksvoller Sinnfälligkeit urteilte, daß er den Imperialismus für
eine vorübergehende Erscheinung hielte, die dem ungemessenen Ehrgeiz der Führer
eines Volkes oder der Habsucht seiner Kapitalisten ihre Entstehung verdankt. Wenn
man die Frage nach den Grundlagen des Imperialismus so stellt, eindringender
u»d umfassender, so ergiebt sich zugleich, daß man sie nur aus einer völligen


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[0269] [Abbildung] Grundlagen des Imperialismus Of, jur, Herbort von Dirksen von in aß der Imperialismus unter den politischen Fragen der Gegen¬ wart den wichtigsten Platz einnimmt, darüber besteht heute kaun: noch ein Zweifel; aber warum er diese Rolle spielt — warum er sie spielen muß. ob er sie spielen muß —, mit dieser Frage hat man sich, in Deutschland wenigstens, nicht viel beschäftigt. Mit andern Worten: die Praxis des Imperialismus ist jedem geläufig; auch der „man in tre 8dreht" wird um eine Antwort auf die Frage nie verlegen sein, wie sich der Imperialismus äußert und was für Folgen er hat. Aber mit der Theorie des Imperialismus haben sich nur wenige abgegeben, und kaum jemand könnte eine Antwort geben, wenn man ihn fragte: welchen Kräften und Vorbedingungen verdankt der Imperialismus seine Entstehung? Warum ist sein Dasein eine innere Notwendigkeit? Und doch wäre es von so außer¬ ordentlicher Bedeutung, die Wurzeln des Imperialismus bloßzulegen. Denn eine Darlegung seiner geschichtlichen und wirtschaftlichen Entstehungsursachen müßte zugleich Klarheit darüber verschaffen, ob er nur eine Einzelerscheinung ist, die für ein bestimmtes Volk unter bestimmten Voraussetzungen Berechtigung hat, oder ob er eine innere Notwendigkeit, ein Zwang ist — herausgeboren aus der unabänderlichen Entwicklung der Menschheit — dem kein Volk sich entziehen kann, das seinen Platz behaupten will. Eine solche Untersuchung über die Grundlagen des Imperialismus hätte allerdings zur Voraussetzung, daß man ihn, ebenso wie alle geschichtliche Ent¬ wicklung, nicht für das zufällige Ergebnis äußerer Umstände, etwa des Ehrgeizes von einzelnen politischen Führern hält, sondern daß man ihn als die naturnot- wendige und im Zusammenhang mit der Vergangenheit zu erklärende Willens¬ äußerung im Leben des Volkes oder der Völker betrachtet. Aber es dürfte heute wohl kaum noch jemand geben, der so leichtfertig über eine so allgemeine Er¬ scheinung von eindrucksvoller Sinnfälligkeit urteilte, daß er den Imperialismus für eine vorübergehende Erscheinung hielte, die dem ungemessenen Ehrgeiz der Führer eines Volkes oder der Habsucht seiner Kapitalisten ihre Entstehung verdankt. Wenn man die Frage nach den Grundlagen des Imperialismus so stellt, eindringender u»d umfassender, so ergiebt sich zugleich, daß man sie nur aus einer völligen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/269>, abgerufen am 27.07.2024.