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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der vorsichtige Freier

Sie waren wieder allein und schon lange auf holländischem Boden, auf
den er um ihrer beider Sicherheit willen zurückgekehrt war, als sie von Ferne
eine große Menschenmenge in der Ebene sahen. Neugierig kamen sie näher:
da sahen sie Reihen von Karossen und Gepäckwagen, mit vier und sechs Pferden
bespannt am Gehölze stehen, ebenso, von Knechten gehalten, ledige gesattelte
Rosse ohne Zahl; mitten im Felde aber standen gedrängt viele Menschen in
lautloser Stille, während eine ferne Stimme verhallend, unverständlich aus
ihrer Mitte tönte. Herren und Frauen waren köstlich gekleidet; Männer in
Waffen standen mit entblößten Häuptern, die Federhute in Händen; Fahnen
ragten, Schweizer mit bärtigen Gesichtern hielten mit der Hellebarde das
Sammetbarett in der Faust; jetzt scholl ein Glöckchen, alle auf der weiten
Wiese knieten nieder, und nun sahen sie auf einem Altar Kerzen brennen in
freier Luft, und den Priester in weißem goldgestickten Meßgewand, das Barett
auf dem Haupt, von den Offizianten rechts und links gestützt, die Monstranz
erheben; und die kleine Florence glitt vom Pferde und neben ihr kniete
Avinelli hin und sie bekreuzten sich schnell, und ihre Stimmen fielen in den Gesang
ein, der jetzt vom Walde her klang.

Aber ihr Gaul, allein gelassen, der sonst so geduldig stand, streckte sich
wiehernd und galoppierte quer über die weite Wiese auf die vielen anderen Pferde
zu. Dadurch entstand eine leichte Unruhe, und viele Köpfe wendeten sich herüber.

Die Messe war zu Ende, Giulio wollte nach dem Rosse sehen, aber
Florence kniete noch immer auf dem Boden, während inbrünstige Thränen über
ihre Wangen liefen. Und schon waren sie von vielen Fragenden umgeben,
Männern und Frauen, die französisch auf sie einsprachen. Zu Giulios Ver¬
wunderung stand Florence ihnen freudig Rede, als ein prächtig gekleideter
Knabe sich geschäftig durchdrängte, mit gezierten und anmaßenden Bewegungen
die Umstehenden zur Seite schob und den zwei jungen Pilgern ihm zu folgen
winkte. Alles drängte ihnen nach. Ein Gewirr von farbigen Seiden und
Mänteln, kühnen, lachenden, finsteren Gesichtern mit Kinn- und Schnurrbärten
unter Federhüten, langen Degen in bunten Bandolieren, Kanonenstiefeln mit
riesigen Sporen, war um sie, während drüben Trompeten bliesen, Stampfen der
Pferde, Schreien der Kutscher erscholl, da die Wagen am Gehölz sich wieder
in Bewegung setzten. Florence aber sah nur das zarte Gesicht der schönen
Frau mit den blonden Locken, die rechts und links unter dem breiten Hut
herabfielen, die tiefblauen spöttischen Augen, die sogleich ernst geworden waren,
da das Mädchen vor ihr stand. Auch Avinelli sah ihr Gesicht, als er sich aus
seiner tiefen Verbeugung aufrichtete, und ward betroffen. Er verstand kein
Wort, wenn er gleich ahnte, was Florence so unerschrocken erzählte. Er sah
die Dame sich zu ihren Begleitern wenden und etwas sagen, sah sie Florence
die Hand zum Kusse reichen und da ihr vergoldeter Wagen eben vorfuhr, mit
drei Damen und zwei Herren, die ihr beflissen halfen, auf den geräumigen
Seidenkissen Platz nehmen, Florence als siebente hineinwinken und davonfahren.


Der vorsichtige Freier

Sie waren wieder allein und schon lange auf holländischem Boden, auf
den er um ihrer beider Sicherheit willen zurückgekehrt war, als sie von Ferne
eine große Menschenmenge in der Ebene sahen. Neugierig kamen sie näher:
da sahen sie Reihen von Karossen und Gepäckwagen, mit vier und sechs Pferden
bespannt am Gehölze stehen, ebenso, von Knechten gehalten, ledige gesattelte
Rosse ohne Zahl; mitten im Felde aber standen gedrängt viele Menschen in
lautloser Stille, während eine ferne Stimme verhallend, unverständlich aus
ihrer Mitte tönte. Herren und Frauen waren köstlich gekleidet; Männer in
Waffen standen mit entblößten Häuptern, die Federhute in Händen; Fahnen
ragten, Schweizer mit bärtigen Gesichtern hielten mit der Hellebarde das
Sammetbarett in der Faust; jetzt scholl ein Glöckchen, alle auf der weiten
Wiese knieten nieder, und nun sahen sie auf einem Altar Kerzen brennen in
freier Luft, und den Priester in weißem goldgestickten Meßgewand, das Barett
auf dem Haupt, von den Offizianten rechts und links gestützt, die Monstranz
erheben; und die kleine Florence glitt vom Pferde und neben ihr kniete
Avinelli hin und sie bekreuzten sich schnell, und ihre Stimmen fielen in den Gesang
ein, der jetzt vom Walde her klang.

Aber ihr Gaul, allein gelassen, der sonst so geduldig stand, streckte sich
wiehernd und galoppierte quer über die weite Wiese auf die vielen anderen Pferde
zu. Dadurch entstand eine leichte Unruhe, und viele Köpfe wendeten sich herüber.

Die Messe war zu Ende, Giulio wollte nach dem Rosse sehen, aber
Florence kniete noch immer auf dem Boden, während inbrünstige Thränen über
ihre Wangen liefen. Und schon waren sie von vielen Fragenden umgeben,
Männern und Frauen, die französisch auf sie einsprachen. Zu Giulios Ver¬
wunderung stand Florence ihnen freudig Rede, als ein prächtig gekleideter
Knabe sich geschäftig durchdrängte, mit gezierten und anmaßenden Bewegungen
die Umstehenden zur Seite schob und den zwei jungen Pilgern ihm zu folgen
winkte. Alles drängte ihnen nach. Ein Gewirr von farbigen Seiden und
Mänteln, kühnen, lachenden, finsteren Gesichtern mit Kinn- und Schnurrbärten
unter Federhüten, langen Degen in bunten Bandolieren, Kanonenstiefeln mit
riesigen Sporen, war um sie, während drüben Trompeten bliesen, Stampfen der
Pferde, Schreien der Kutscher erscholl, da die Wagen am Gehölz sich wieder
in Bewegung setzten. Florence aber sah nur das zarte Gesicht der schönen
Frau mit den blonden Locken, die rechts und links unter dem breiten Hut
herabfielen, die tiefblauen spöttischen Augen, die sogleich ernst geworden waren,
da das Mädchen vor ihr stand. Auch Avinelli sah ihr Gesicht, als er sich aus
seiner tiefen Verbeugung aufrichtete, und ward betroffen. Er verstand kein
Wort, wenn er gleich ahnte, was Florence so unerschrocken erzählte. Er sah
die Dame sich zu ihren Begleitern wenden und etwas sagen, sah sie Florence
die Hand zum Kusse reichen und da ihr vergoldeter Wagen eben vorfuhr, mit
drei Damen und zwei Herren, die ihr beflissen halfen, auf den geräumigen
Seidenkissen Platz nehmen, Florence als siebente hineinwinken und davonfahren.


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[0242] Der vorsichtige Freier Sie waren wieder allein und schon lange auf holländischem Boden, auf den er um ihrer beider Sicherheit willen zurückgekehrt war, als sie von Ferne eine große Menschenmenge in der Ebene sahen. Neugierig kamen sie näher: da sahen sie Reihen von Karossen und Gepäckwagen, mit vier und sechs Pferden bespannt am Gehölze stehen, ebenso, von Knechten gehalten, ledige gesattelte Rosse ohne Zahl; mitten im Felde aber standen gedrängt viele Menschen in lautloser Stille, während eine ferne Stimme verhallend, unverständlich aus ihrer Mitte tönte. Herren und Frauen waren köstlich gekleidet; Männer in Waffen standen mit entblößten Häuptern, die Federhute in Händen; Fahnen ragten, Schweizer mit bärtigen Gesichtern hielten mit der Hellebarde das Sammetbarett in der Faust; jetzt scholl ein Glöckchen, alle auf der weiten Wiese knieten nieder, und nun sahen sie auf einem Altar Kerzen brennen in freier Luft, und den Priester in weißem goldgestickten Meßgewand, das Barett auf dem Haupt, von den Offizianten rechts und links gestützt, die Monstranz erheben; und die kleine Florence glitt vom Pferde und neben ihr kniete Avinelli hin und sie bekreuzten sich schnell, und ihre Stimmen fielen in den Gesang ein, der jetzt vom Walde her klang. Aber ihr Gaul, allein gelassen, der sonst so geduldig stand, streckte sich wiehernd und galoppierte quer über die weite Wiese auf die vielen anderen Pferde zu. Dadurch entstand eine leichte Unruhe, und viele Köpfe wendeten sich herüber. Die Messe war zu Ende, Giulio wollte nach dem Rosse sehen, aber Florence kniete noch immer auf dem Boden, während inbrünstige Thränen über ihre Wangen liefen. Und schon waren sie von vielen Fragenden umgeben, Männern und Frauen, die französisch auf sie einsprachen. Zu Giulios Ver¬ wunderung stand Florence ihnen freudig Rede, als ein prächtig gekleideter Knabe sich geschäftig durchdrängte, mit gezierten und anmaßenden Bewegungen die Umstehenden zur Seite schob und den zwei jungen Pilgern ihm zu folgen winkte. Alles drängte ihnen nach. Ein Gewirr von farbigen Seiden und Mänteln, kühnen, lachenden, finsteren Gesichtern mit Kinn- und Schnurrbärten unter Federhüten, langen Degen in bunten Bandolieren, Kanonenstiefeln mit riesigen Sporen, war um sie, während drüben Trompeten bliesen, Stampfen der Pferde, Schreien der Kutscher erscholl, da die Wagen am Gehölz sich wieder in Bewegung setzten. Florence aber sah nur das zarte Gesicht der schönen Frau mit den blonden Locken, die rechts und links unter dem breiten Hut herabfielen, die tiefblauen spöttischen Augen, die sogleich ernst geworden waren, da das Mädchen vor ihr stand. Auch Avinelli sah ihr Gesicht, als er sich aus seiner tiefen Verbeugung aufrichtete, und ward betroffen. Er verstand kein Wort, wenn er gleich ahnte, was Florence so unerschrocken erzählte. Er sah die Dame sich zu ihren Begleitern wenden und etwas sagen, sah sie Florence die Hand zum Kusse reichen und da ihr vergoldeter Wagen eben vorfuhr, mit drei Damen und zwei Herren, die ihr beflissen halfen, auf den geräumigen Seidenkissen Platz nehmen, Florence als siebente hineinwinken und davonfahren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/242>, abgerufen am 27.07.2024.