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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der vorsichtige Freier

Jemand führte ihm sein Pferd zu; Leute fanden sich zu ihm, die ihn ver¬
standen, darunter ein Landsmann; er saß auf und schloß sich ihnen an; und
er erfuhr, daß eine Prinzessin des Hauses Frankreich sich zu ihrem Gatten nach
Münster begab, der dort die französische Krone bei den Friedensverhandlungen
vertrat. In Bredevoort, das hinter ihnen lag, hatten Magistrat und Bürger¬
schaft nicht zugeben wollen, daß sie in ihrem Hause die Messe lesen lasse: da
habe die Fürstin den Ketzern zum Trotz auf freiem Felde vor ihrer Stadt
einen Altar ausstellen und, wie er gesehen, unterm Himmel den wahren Gottes¬
dienst feiern lassen. Damit zog, der gesprochen hatte, seinen Degen und brachte
ein Hoch auf Anne von Bourbon aus; alle die Herren schlugen die Degen
aneinander und der Ruf brauste bis an die Spitze des Zuges und wieder zurück.

Avinelli redete wenig aber er dachte viel. In Stadtlahn, wo sie
nächtigten, hielten die Schweizer vor dem Hause der Herzogin ihn zurück; doch
ließ sie ihn am anderen Tage in Koesfeld, wo Mittagrast gehalten wurde,
selbst rufen und sprach gnädig mit ihm. Einen "Lavalier errantö" nannte
sie ihn, nicht Astolf habe schöneres erlebt, und sie freue sich, daß sie solch einem
Abenteuer statt in den Romanen in Wirklichkeit begegnet sei. Für das Mädchen,
dessen Vater einst unter ihrem Oheim gedient, werde sie sorgen. Florence, die
schwarz gekleidet, das Haar zu Locken gedreht und mit seidenen Schleifen ge¬
bunden, ganz verändert in ihrer Nähe stand, trat hervor und reichte ihm mit
scheuer Freude die Hand. "Du kannst ihn besser grüßen, mein Kind," sagte
die Herzogin, und noch viel scheuer bot sie ihm den Mund, den er küßte.
Dann trat sie blutrot zurück, und da alles lächelte, brachen Tränen aus ihren
Augen. Die Herzogin befragte Avinelli indessen, über seine eigene Person; ein
Herr, der ein himmelblaues Ordensband und einen weißen Stern mit einer
silbernen Taube auf der Brust trug, wollte wissen, wieso er gerade in jenem
guten Augenblicke eingetroffen sei? Avinelli dachte an den Schuldschein in
seinem Wams und antwortete nicht gleich. "Durch Gottes gnädige Fügung,
Monsieur," sagte die Herzogin für ihn. Da sie erfuhr, daß er von Beruf
Baumeister und ein Schüler des Cavaliere Bernini in Rom gewesen sei, sagte
sie ihm Arbeit und Empfehlungen in Paris zu, wenn er jetzt oder später mit
ihr dahingehen wollte; vorläufig könnte er sich als zu ihrem Hause gehörig
ansehen. Er dankte für ihre Güte und küßte den Saum ihres Kleides, aber
er sah nur ihre Schönheit und den Liebreiz, die ihn betäubten.

Von allen Seiten beglückwünscht und begönnert kam er wieder auf die
Straße hinaus. Allmählich ward sein Kopf kühl, aber die große Freude wich
uicht aus seiner Seele.

Am Tage darauf, vier Stunden nach Mittag näherten sie sich der Stadt
Münster. Die Kanonen donnerten von den Wällen; eine Schar kaiserlicher
Kürassiere mit klingendem Spiel und viel andere Musik kam ihnen entgegen;
ihre eigenen Trompeten schmetterten; ein langer Zug schwarzgelber Musketiere
rückte unter Trommelwirbel aus; der Bürgermeister mit einer Abordnung des


Der vorsichtige Freier

Jemand führte ihm sein Pferd zu; Leute fanden sich zu ihm, die ihn ver¬
standen, darunter ein Landsmann; er saß auf und schloß sich ihnen an; und
er erfuhr, daß eine Prinzessin des Hauses Frankreich sich zu ihrem Gatten nach
Münster begab, der dort die französische Krone bei den Friedensverhandlungen
vertrat. In Bredevoort, das hinter ihnen lag, hatten Magistrat und Bürger¬
schaft nicht zugeben wollen, daß sie in ihrem Hause die Messe lesen lasse: da
habe die Fürstin den Ketzern zum Trotz auf freiem Felde vor ihrer Stadt
einen Altar ausstellen und, wie er gesehen, unterm Himmel den wahren Gottes¬
dienst feiern lassen. Damit zog, der gesprochen hatte, seinen Degen und brachte
ein Hoch auf Anne von Bourbon aus; alle die Herren schlugen die Degen
aneinander und der Ruf brauste bis an die Spitze des Zuges und wieder zurück.

Avinelli redete wenig aber er dachte viel. In Stadtlahn, wo sie
nächtigten, hielten die Schweizer vor dem Hause der Herzogin ihn zurück; doch
ließ sie ihn am anderen Tage in Koesfeld, wo Mittagrast gehalten wurde,
selbst rufen und sprach gnädig mit ihm. Einen „Lavalier errantö" nannte
sie ihn, nicht Astolf habe schöneres erlebt, und sie freue sich, daß sie solch einem
Abenteuer statt in den Romanen in Wirklichkeit begegnet sei. Für das Mädchen,
dessen Vater einst unter ihrem Oheim gedient, werde sie sorgen. Florence, die
schwarz gekleidet, das Haar zu Locken gedreht und mit seidenen Schleifen ge¬
bunden, ganz verändert in ihrer Nähe stand, trat hervor und reichte ihm mit
scheuer Freude die Hand. „Du kannst ihn besser grüßen, mein Kind," sagte
die Herzogin, und noch viel scheuer bot sie ihm den Mund, den er küßte.
Dann trat sie blutrot zurück, und da alles lächelte, brachen Tränen aus ihren
Augen. Die Herzogin befragte Avinelli indessen, über seine eigene Person; ein
Herr, der ein himmelblaues Ordensband und einen weißen Stern mit einer
silbernen Taube auf der Brust trug, wollte wissen, wieso er gerade in jenem
guten Augenblicke eingetroffen sei? Avinelli dachte an den Schuldschein in
seinem Wams und antwortete nicht gleich. „Durch Gottes gnädige Fügung,
Monsieur," sagte die Herzogin für ihn. Da sie erfuhr, daß er von Beruf
Baumeister und ein Schüler des Cavaliere Bernini in Rom gewesen sei, sagte
sie ihm Arbeit und Empfehlungen in Paris zu, wenn er jetzt oder später mit
ihr dahingehen wollte; vorläufig könnte er sich als zu ihrem Hause gehörig
ansehen. Er dankte für ihre Güte und küßte den Saum ihres Kleides, aber
er sah nur ihre Schönheit und den Liebreiz, die ihn betäubten.

Von allen Seiten beglückwünscht und begönnert kam er wieder auf die
Straße hinaus. Allmählich ward sein Kopf kühl, aber die große Freude wich
uicht aus seiner Seele.

Am Tage darauf, vier Stunden nach Mittag näherten sie sich der Stadt
Münster. Die Kanonen donnerten von den Wällen; eine Schar kaiserlicher
Kürassiere mit klingendem Spiel und viel andere Musik kam ihnen entgegen;
ihre eigenen Trompeten schmetterten; ein langer Zug schwarzgelber Musketiere
rückte unter Trommelwirbel aus; der Bürgermeister mit einer Abordnung des


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[0243] Der vorsichtige Freier Jemand führte ihm sein Pferd zu; Leute fanden sich zu ihm, die ihn ver¬ standen, darunter ein Landsmann; er saß auf und schloß sich ihnen an; und er erfuhr, daß eine Prinzessin des Hauses Frankreich sich zu ihrem Gatten nach Münster begab, der dort die französische Krone bei den Friedensverhandlungen vertrat. In Bredevoort, das hinter ihnen lag, hatten Magistrat und Bürger¬ schaft nicht zugeben wollen, daß sie in ihrem Hause die Messe lesen lasse: da habe die Fürstin den Ketzern zum Trotz auf freiem Felde vor ihrer Stadt einen Altar ausstellen und, wie er gesehen, unterm Himmel den wahren Gottes¬ dienst feiern lassen. Damit zog, der gesprochen hatte, seinen Degen und brachte ein Hoch auf Anne von Bourbon aus; alle die Herren schlugen die Degen aneinander und der Ruf brauste bis an die Spitze des Zuges und wieder zurück. Avinelli redete wenig aber er dachte viel. In Stadtlahn, wo sie nächtigten, hielten die Schweizer vor dem Hause der Herzogin ihn zurück; doch ließ sie ihn am anderen Tage in Koesfeld, wo Mittagrast gehalten wurde, selbst rufen und sprach gnädig mit ihm. Einen „Lavalier errantö" nannte sie ihn, nicht Astolf habe schöneres erlebt, und sie freue sich, daß sie solch einem Abenteuer statt in den Romanen in Wirklichkeit begegnet sei. Für das Mädchen, dessen Vater einst unter ihrem Oheim gedient, werde sie sorgen. Florence, die schwarz gekleidet, das Haar zu Locken gedreht und mit seidenen Schleifen ge¬ bunden, ganz verändert in ihrer Nähe stand, trat hervor und reichte ihm mit scheuer Freude die Hand. „Du kannst ihn besser grüßen, mein Kind," sagte die Herzogin, und noch viel scheuer bot sie ihm den Mund, den er küßte. Dann trat sie blutrot zurück, und da alles lächelte, brachen Tränen aus ihren Augen. Die Herzogin befragte Avinelli indessen, über seine eigene Person; ein Herr, der ein himmelblaues Ordensband und einen weißen Stern mit einer silbernen Taube auf der Brust trug, wollte wissen, wieso er gerade in jenem guten Augenblicke eingetroffen sei? Avinelli dachte an den Schuldschein in seinem Wams und antwortete nicht gleich. „Durch Gottes gnädige Fügung, Monsieur," sagte die Herzogin für ihn. Da sie erfuhr, daß er von Beruf Baumeister und ein Schüler des Cavaliere Bernini in Rom gewesen sei, sagte sie ihm Arbeit und Empfehlungen in Paris zu, wenn er jetzt oder später mit ihr dahingehen wollte; vorläufig könnte er sich als zu ihrem Hause gehörig ansehen. Er dankte für ihre Güte und küßte den Saum ihres Kleides, aber er sah nur ihre Schönheit und den Liebreiz, die ihn betäubten. Von allen Seiten beglückwünscht und begönnert kam er wieder auf die Straße hinaus. Allmählich ward sein Kopf kühl, aber die große Freude wich uicht aus seiner Seele. Am Tage darauf, vier Stunden nach Mittag näherten sie sich der Stadt Münster. Die Kanonen donnerten von den Wällen; eine Schar kaiserlicher Kürassiere mit klingendem Spiel und viel andere Musik kam ihnen entgegen; ihre eigenen Trompeten schmetterten; ein langer Zug schwarzgelber Musketiere rückte unter Trommelwirbel aus; der Bürgermeister mit einer Abordnung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/243>, abgerufen am 27.07.2024.