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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der vorsichtige Freier

Dann hob er die Leichte auf sein Pferd und führte es am Zügel, nährend sie
ihm die Richtung wies. In dem Wald, durch den sie kamen, sangen alle Vögel;
über das Gesicht des Mädchens liefen bald die Tränen und bald sah sie forschend
nach ihrem Begleiter. Eine gute Zeit schritt er schweigend neben ihr her, dann,
um sie auf tröftlichere Gedanken zu bringen, begann er ihr Worte seiner Sprache
vorzusagen, wies auf das Roß und nannte es "cavallo", nannte den Bach und
den Himmel, und zuletzt wies er auf sich und sagte "Giulio", und sie wieder¬
holte die weichen Laute; zur Antwort deutete sie mit dem Finger auf ihre Brust
und sagte "Florence"; und staunend bedeutete er ihr mit raschen Worten, daß
sie den Namen seiner Vaterstadt trüge; sie schien es zu wissen, denn sie nickte
ernst. Im Geplauder achteten sie zu wenig des Wegs, bis sie merkten, daß sie
ihn verloren hatten. Die Sonne brannte, als sie vor den Mauern eines Pfarr¬
gartens ankamen; große Hunde bellten, das Tor war fest verschlossen: sie fanden
nicht leicht Einlaß; dann aber, da er fand, daß sie Flüchtige und katholischen
Glaubens waren, nahm der Pfarrherr sie um so freundlicher auf.

Das müde Kind erquickte sich an einem reichen Tisch und gleich nach dem
Essen entschlief es. Indessen verständigte sich der Pfarrherr in lateinischer
Sprache mit seinem Gast, und als er genug erfahren, blickte er nicht ohne Be¬
sorgnis. Für den Toten versprach er eine Messe zu lesen, dann aber warnte
er den jungen Mann: die Versuchung der Jugend sei groß; das Mägdlein so
mit sich durch die Welt zu führen, brächte beiden Gefahr und in jedem Fall
Schaden für ihren Ruf; dagegen gäbe es noch manches unberührte Frauenstift
selbst in dieser bösesten aller Zeiten in der Nähe. Es wäre denn, daß er das
Vertrauen des Toten anders auffassen wollte: dann wäre die Gelegenheit zur
Hand. Avinelli versank in Schweigen; das alles hatte auch er bereits erwogen;
aber ein blutarmes Mädchen ohne Mitgift so unbedacht zum Weibe zu nehmen,
das lag dem Nachfahren alter Handelsgeschlechter fern; der Schein in seinem
Wams über die zwanzigtausend Pfund Silbers, die der Oberst seinem Vater
geschuldet hatte, war Verlust genug; und doch: sich von dem zarten femgliedrigen
Kinde zu trennen, das ihm mit solchem Vertrauen folgte, fiel ihm schwer; sie
legte die kleinen Finger so sicher in seine Hand; zweimal schon hatte er sie im
Arm gehalten, wenn er sie vom Pferde gehoben, und das feine Stimmlein,
mit dem sie "Giulio" zu sagen versuchte, klang ihm noch im Ohr -- er hörte
es eben wieder, da sie schon mit etwas röteren Wangen auf der Gartenbank
im sommerlichen Schatten der Obstbäume erwachte. Er meinte immer noch Zeit
zu haben, ehe er sich entschloß.

Sie verbrachten die Nacht im Pfarrhof und zogen am anderen Morgen
weiter, nicht ohne daß er dem besorgten alten Geistlichen manches versprochen
hätte. Wieder saß Florence auf dem Rücken des grauen Rosses; Schweden
und Kaiserliche hatten längst alle Reit- und Tragtiere der Gegend requiriert:
ein zweites Tier hatte der Pfarrer nicht, aber Wegzehrung genug; und zwei
stämmige Knechte gaben ihnen bis zur Grenze das Geleit.


Der vorsichtige Freier

Dann hob er die Leichte auf sein Pferd und führte es am Zügel, nährend sie
ihm die Richtung wies. In dem Wald, durch den sie kamen, sangen alle Vögel;
über das Gesicht des Mädchens liefen bald die Tränen und bald sah sie forschend
nach ihrem Begleiter. Eine gute Zeit schritt er schweigend neben ihr her, dann,
um sie auf tröftlichere Gedanken zu bringen, begann er ihr Worte seiner Sprache
vorzusagen, wies auf das Roß und nannte es „cavallo", nannte den Bach und
den Himmel, und zuletzt wies er auf sich und sagte „Giulio", und sie wieder¬
holte die weichen Laute; zur Antwort deutete sie mit dem Finger auf ihre Brust
und sagte „Florence"; und staunend bedeutete er ihr mit raschen Worten, daß
sie den Namen seiner Vaterstadt trüge; sie schien es zu wissen, denn sie nickte
ernst. Im Geplauder achteten sie zu wenig des Wegs, bis sie merkten, daß sie
ihn verloren hatten. Die Sonne brannte, als sie vor den Mauern eines Pfarr¬
gartens ankamen; große Hunde bellten, das Tor war fest verschlossen: sie fanden
nicht leicht Einlaß; dann aber, da er fand, daß sie Flüchtige und katholischen
Glaubens waren, nahm der Pfarrherr sie um so freundlicher auf.

Das müde Kind erquickte sich an einem reichen Tisch und gleich nach dem
Essen entschlief es. Indessen verständigte sich der Pfarrherr in lateinischer
Sprache mit seinem Gast, und als er genug erfahren, blickte er nicht ohne Be¬
sorgnis. Für den Toten versprach er eine Messe zu lesen, dann aber warnte
er den jungen Mann: die Versuchung der Jugend sei groß; das Mägdlein so
mit sich durch die Welt zu führen, brächte beiden Gefahr und in jedem Fall
Schaden für ihren Ruf; dagegen gäbe es noch manches unberührte Frauenstift
selbst in dieser bösesten aller Zeiten in der Nähe. Es wäre denn, daß er das
Vertrauen des Toten anders auffassen wollte: dann wäre die Gelegenheit zur
Hand. Avinelli versank in Schweigen; das alles hatte auch er bereits erwogen;
aber ein blutarmes Mädchen ohne Mitgift so unbedacht zum Weibe zu nehmen,
das lag dem Nachfahren alter Handelsgeschlechter fern; der Schein in seinem
Wams über die zwanzigtausend Pfund Silbers, die der Oberst seinem Vater
geschuldet hatte, war Verlust genug; und doch: sich von dem zarten femgliedrigen
Kinde zu trennen, das ihm mit solchem Vertrauen folgte, fiel ihm schwer; sie
legte die kleinen Finger so sicher in seine Hand; zweimal schon hatte er sie im
Arm gehalten, wenn er sie vom Pferde gehoben, und das feine Stimmlein,
mit dem sie „Giulio" zu sagen versuchte, klang ihm noch im Ohr — er hörte
es eben wieder, da sie schon mit etwas röteren Wangen auf der Gartenbank
im sommerlichen Schatten der Obstbäume erwachte. Er meinte immer noch Zeit
zu haben, ehe er sich entschloß.

Sie verbrachten die Nacht im Pfarrhof und zogen am anderen Morgen
weiter, nicht ohne daß er dem besorgten alten Geistlichen manches versprochen
hätte. Wieder saß Florence auf dem Rücken des grauen Rosses; Schweden
und Kaiserliche hatten längst alle Reit- und Tragtiere der Gegend requiriert:
ein zweites Tier hatte der Pfarrer nicht, aber Wegzehrung genug; und zwei
stämmige Knechte gaben ihnen bis zur Grenze das Geleit.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/241>, abgerufen am 27.07.2024.