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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Fürstliche Gegner Bismarcks

So brachte es Bismarck nach heißem Bemühen und zuweilen erst nach
drastisch einseitiger Auslegung des Vorgehens und der Pläne der österreichischen
Regierung dahin, daß der König glaubte, Österreich wage, sein Erbe an Macht
und Recht anzutasten, und er sei genötigt, zu seiner Verteidigung das Schwert
zu ziehen.

Die rücksichtslos subjektive Färbung der politischen Absichten des Gegners
und der Erfolg, der nur zu bald zutage trat, erhöhte die leidenschaftliche Ent¬
rüstung seiner politischen Widersacher und verdoppelte ihre Anstrengungen, den
Ministerpräsidenten, von dessen Einfluß auf den König man nicht bloß den
unheilvollsten aller Kriege, sondern eine Katastrophe für den Staat und die
Monarchie befürchtete, zu stürzen.

An der Hand politischer Korrespondenzen, die in wichtigen Teilen unver¬
öffentlichtes Material enthalten, soll die gefährlichste Intrige, die den Sturz
Bismarcks bezweckte, in ihrem Verlauf dargestellt werden. Teilnehmer sind der
Herzog Ernst der Zweite, der österreichische Ministerpräsident Graf Mensdorff,
ein Vetter des Herzogs von Koburg und der Königin von England, der Kron¬
prinz Friedrich Wilhelm und die Königin Augusta.

Am 22. März 1866 übergab der Adjutant des Herzogs von Koburg in
Berlin zwei Schreiben: ein Geburtstagsschreiben an König Wilhelm und einen
Brief an den Kronprinzen von Preußen. Beide Schreiben verfolgen das Ziel,
den gefährdeten Frieden zu erhalten.

Herzog Ernst der Zweite an König Wilhelm.

Gotha, 21. März 66.


Allergnädigster König.

Ich kann nicht umhin, dem Drange meines Herzens zu folgen, Dir für
den festlichen Tag meine ebenso herzlich als wohlgemeinten Glückwünsche zu
Füßen zu legen und Dir meine Freude auszusprechen, daß Du sowohl in körper¬
licher als geistiger Kraft allen den sonst bei viel Jüngeren sich fühlbar machenden
Einflüssen der Jahre so glücklich die Spitze bietest. -- Ein jedes neue Jahr, das
man betritt, soll seinen Charakter an der Stirn tragen. Unser aller sehnlichster
Wunsch liegt diesmal in dem einen Wörtchen "Friede". Möchtest Du in Deinem
neuen Lebensjahr zur Freude Deutschlands und zur Beruhigung ganz Europas
dieses so schwer bedrohte und doch so kostbare Gut uns zu erhalten wissen!

Wir, die wir Dich kennen und die wir so eklatante Proben von Deinem
persönlichen Gerechtigkeitssinn und Deiner kaltblütigen Enthaltsamkeit haben,
wenn es darauf ankam, die Verherrlichung Preußens auf Kosten Deiner Bundes¬
brüder zu suchen, sind fest überzeugt, daß Du allen Verlockungen und allem
Drängen, es zum Zweck der Vergrößerung Preußens durch ein deutsches Erbland
bis zum Bruderkrieg kommen zu lassen, widerstehen wirst. Noch sind alle Deiner
Worte und Deines Handgelübdes in Baden eingedenk, wofür sie Dich damals
gesegnet haben. Wie soll es möglich sein, daß Du dahin gelangen könntest,


Fürstliche Gegner Bismarcks

So brachte es Bismarck nach heißem Bemühen und zuweilen erst nach
drastisch einseitiger Auslegung des Vorgehens und der Pläne der österreichischen
Regierung dahin, daß der König glaubte, Österreich wage, sein Erbe an Macht
und Recht anzutasten, und er sei genötigt, zu seiner Verteidigung das Schwert
zu ziehen.

Die rücksichtslos subjektive Färbung der politischen Absichten des Gegners
und der Erfolg, der nur zu bald zutage trat, erhöhte die leidenschaftliche Ent¬
rüstung seiner politischen Widersacher und verdoppelte ihre Anstrengungen, den
Ministerpräsidenten, von dessen Einfluß auf den König man nicht bloß den
unheilvollsten aller Kriege, sondern eine Katastrophe für den Staat und die
Monarchie befürchtete, zu stürzen.

An der Hand politischer Korrespondenzen, die in wichtigen Teilen unver¬
öffentlichtes Material enthalten, soll die gefährlichste Intrige, die den Sturz
Bismarcks bezweckte, in ihrem Verlauf dargestellt werden. Teilnehmer sind der
Herzog Ernst der Zweite, der österreichische Ministerpräsident Graf Mensdorff,
ein Vetter des Herzogs von Koburg und der Königin von England, der Kron¬
prinz Friedrich Wilhelm und die Königin Augusta.

Am 22. März 1866 übergab der Adjutant des Herzogs von Koburg in
Berlin zwei Schreiben: ein Geburtstagsschreiben an König Wilhelm und einen
Brief an den Kronprinzen von Preußen. Beide Schreiben verfolgen das Ziel,
den gefährdeten Frieden zu erhalten.

Herzog Ernst der Zweite an König Wilhelm.

Gotha, 21. März 66.


Allergnädigster König.

Ich kann nicht umhin, dem Drange meines Herzens zu folgen, Dir für
den festlichen Tag meine ebenso herzlich als wohlgemeinten Glückwünsche zu
Füßen zu legen und Dir meine Freude auszusprechen, daß Du sowohl in körper¬
licher als geistiger Kraft allen den sonst bei viel Jüngeren sich fühlbar machenden
Einflüssen der Jahre so glücklich die Spitze bietest. — Ein jedes neue Jahr, das
man betritt, soll seinen Charakter an der Stirn tragen. Unser aller sehnlichster
Wunsch liegt diesmal in dem einen Wörtchen „Friede". Möchtest Du in Deinem
neuen Lebensjahr zur Freude Deutschlands und zur Beruhigung ganz Europas
dieses so schwer bedrohte und doch so kostbare Gut uns zu erhalten wissen!

Wir, die wir Dich kennen und die wir so eklatante Proben von Deinem
persönlichen Gerechtigkeitssinn und Deiner kaltblütigen Enthaltsamkeit haben,
wenn es darauf ankam, die Verherrlichung Preußens auf Kosten Deiner Bundes¬
brüder zu suchen, sind fest überzeugt, daß Du allen Verlockungen und allem
Drängen, es zum Zweck der Vergrößerung Preußens durch ein deutsches Erbland
bis zum Bruderkrieg kommen zu lassen, widerstehen wirst. Noch sind alle Deiner
Worte und Deines Handgelübdes in Baden eingedenk, wofür sie Dich damals
gesegnet haben. Wie soll es möglich sein, daß Du dahin gelangen könntest,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/24>, abgerufen am 21.12.2024.