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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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An der Wiege des Königreichs Rumänien

Was den französischen Kommissär anbetrifft, so ist seine Lage den soeben
alleruntertänigsten dargestellten Verhältnissen gegenüber eine äußerst schwierige.
Seine Regierung hat unstreitig die Union, und zwar die Union mit dem Hinter¬
gedanken mi den fremden Erbfürsten begünstigt. Sie hat, was man auch immer
sagen mag, diese Idee zuerst provoziert, und scheint sie jetzt im Stiche zu lassen
und England geopfert zu haben. Es ist nach meiner Meinung ganz unmög¬
lich, daß die französische Negierung sich darüber getäuscht haben sollte, daß die
Union unter einem einheimischen Fürsten möglich sei und gewünscht werden
kann, so gut wie ich, so gut wie Euer Königliche Majestät Gesandter und
Allerhöchstdero Konsulen in den Fürstentümern, ebensogut muß Baron Talley-
rand, der französische Ambassadeur in Konstantinopel Mr. Thouvenel, und
müssen die französischen Konsulen in den Fürstentümern gewußt haben, welches
hierüber die Ansichten der Moldauwallachen sind. Ihnen wie uns, und überhaupt
allen denen, die es haben hören wollen, ist tausendmal gesagt worden, daß die
Union mit einem einheimischen Fürsten nur die Fortsetzung im größeren Ma߬
stabe von allen den Übeln sein würde, die heute auf jedem der beiden Länder
einzeln genommen lasten. Es wäre diese Kombination die Intrige in Perma¬
nenz, und die Verewigung jenes Kampfes der Aspiranten zum Thron, der bis
jetzt jede Stabilität unmöglich gemacht hat. Ohne von der Vergangenheit der
Prätendenten, und dein persönlichen Werte derselben sprechen zu wollen, weiß
doch jedermann, der die Zustände in den Fürstentümern nur einigermaßen
kennt, daß es keine einzige Familie in den beiden Ländern gibt, welche
zum Thron gelangen könnte, ohne zugleich den Haß und Neid von
mindestens zehn anderen, gleich mächtigen, oder vielmehr mächtigeren zu wecken,
denn in dem Augenblick, wo der Begünstigte zur Regierung gelangt, ist er
schon in seinem Vermögen durch die Bestechung und die ungeheueren Ausgaben
geschwächt, die er in Konstantinopel hat aufwenden müssen, um über seine
Konkurrenten zu siegen; er muß seine Macht mißbrauchen, um sich Geld zu
schaffen und damit seine Gegner in Schach halten zu können, aber indem er
dieses tut, verliert er den moralischen Kredit, und so schwebt ein solcher Fürst
immer in der Alternative entweder dem Mangel, oder seinen eigenen Mi߬
bräuchen zum Opfer zu fallen. Es ist in der Türkei in neuerer Zeit in dieser
Hinsicht nicht anders geworden als früher. Im Nachlasse des verstorbenen
Kaimakams Batsch haben sich die Papiere über die ungeheueren Summen
gefunden, die er im vorigen Jahre für die Erlangung der Kaimakamie in Kon¬
stantinopel hat verausgaben müssen. Dank dieser Instabilität haben in weniger
als zwanzig Jahren in beiden Fürstentümern schon mehr als fünf verschiedene
Familien geherrscht. Eine solche Veränderlichkeit in der Macht hat die Ambition
und die Zahl der Prätendenten vermehrt und ihre Hoffnungen gesteigert.
Schon jetzt, wo die Hoffnungen auf den fremden Fürsten, bei der Wendung,
die in Frankreich eingetreten ist, im Abnehmen sind, strömen die Konkurrenten
zu diesen Stellen, die Bibesko, Sturdza usw. -- Euer Königliche


An der Wiege des Königreichs Rumänien

Was den französischen Kommissär anbetrifft, so ist seine Lage den soeben
alleruntertänigsten dargestellten Verhältnissen gegenüber eine äußerst schwierige.
Seine Regierung hat unstreitig die Union, und zwar die Union mit dem Hinter¬
gedanken mi den fremden Erbfürsten begünstigt. Sie hat, was man auch immer
sagen mag, diese Idee zuerst provoziert, und scheint sie jetzt im Stiche zu lassen
und England geopfert zu haben. Es ist nach meiner Meinung ganz unmög¬
lich, daß die französische Negierung sich darüber getäuscht haben sollte, daß die
Union unter einem einheimischen Fürsten möglich sei und gewünscht werden
kann, so gut wie ich, so gut wie Euer Königliche Majestät Gesandter und
Allerhöchstdero Konsulen in den Fürstentümern, ebensogut muß Baron Talley-
rand, der französische Ambassadeur in Konstantinopel Mr. Thouvenel, und
müssen die französischen Konsulen in den Fürstentümern gewußt haben, welches
hierüber die Ansichten der Moldauwallachen sind. Ihnen wie uns, und überhaupt
allen denen, die es haben hören wollen, ist tausendmal gesagt worden, daß die
Union mit einem einheimischen Fürsten nur die Fortsetzung im größeren Ma߬
stabe von allen den Übeln sein würde, die heute auf jedem der beiden Länder
einzeln genommen lasten. Es wäre diese Kombination die Intrige in Perma¬
nenz, und die Verewigung jenes Kampfes der Aspiranten zum Thron, der bis
jetzt jede Stabilität unmöglich gemacht hat. Ohne von der Vergangenheit der
Prätendenten, und dein persönlichen Werte derselben sprechen zu wollen, weiß
doch jedermann, der die Zustände in den Fürstentümern nur einigermaßen
kennt, daß es keine einzige Familie in den beiden Ländern gibt, welche
zum Thron gelangen könnte, ohne zugleich den Haß und Neid von
mindestens zehn anderen, gleich mächtigen, oder vielmehr mächtigeren zu wecken,
denn in dem Augenblick, wo der Begünstigte zur Regierung gelangt, ist er
schon in seinem Vermögen durch die Bestechung und die ungeheueren Ausgaben
geschwächt, die er in Konstantinopel hat aufwenden müssen, um über seine
Konkurrenten zu siegen; er muß seine Macht mißbrauchen, um sich Geld zu
schaffen und damit seine Gegner in Schach halten zu können, aber indem er
dieses tut, verliert er den moralischen Kredit, und so schwebt ein solcher Fürst
immer in der Alternative entweder dem Mangel, oder seinen eigenen Mi߬
bräuchen zum Opfer zu fallen. Es ist in der Türkei in neuerer Zeit in dieser
Hinsicht nicht anders geworden als früher. Im Nachlasse des verstorbenen
Kaimakams Batsch haben sich die Papiere über die ungeheueren Summen
gefunden, die er im vorigen Jahre für die Erlangung der Kaimakamie in Kon¬
stantinopel hat verausgaben müssen. Dank dieser Instabilität haben in weniger
als zwanzig Jahren in beiden Fürstentümern schon mehr als fünf verschiedene
Familien geherrscht. Eine solche Veränderlichkeit in der Macht hat die Ambition
und die Zahl der Prätendenten vermehrt und ihre Hoffnungen gesteigert.
Schon jetzt, wo die Hoffnungen auf den fremden Fürsten, bei der Wendung,
die in Frankreich eingetreten ist, im Abnehmen sind, strömen die Konkurrenten
zu diesen Stellen, die Bibesko, Sturdza usw. — Euer Königliche


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[0236] An der Wiege des Königreichs Rumänien Was den französischen Kommissär anbetrifft, so ist seine Lage den soeben alleruntertänigsten dargestellten Verhältnissen gegenüber eine äußerst schwierige. Seine Regierung hat unstreitig die Union, und zwar die Union mit dem Hinter¬ gedanken mi den fremden Erbfürsten begünstigt. Sie hat, was man auch immer sagen mag, diese Idee zuerst provoziert, und scheint sie jetzt im Stiche zu lassen und England geopfert zu haben. Es ist nach meiner Meinung ganz unmög¬ lich, daß die französische Negierung sich darüber getäuscht haben sollte, daß die Union unter einem einheimischen Fürsten möglich sei und gewünscht werden kann, so gut wie ich, so gut wie Euer Königliche Majestät Gesandter und Allerhöchstdero Konsulen in den Fürstentümern, ebensogut muß Baron Talley- rand, der französische Ambassadeur in Konstantinopel Mr. Thouvenel, und müssen die französischen Konsulen in den Fürstentümern gewußt haben, welches hierüber die Ansichten der Moldauwallachen sind. Ihnen wie uns, und überhaupt allen denen, die es haben hören wollen, ist tausendmal gesagt worden, daß die Union mit einem einheimischen Fürsten nur die Fortsetzung im größeren Ma߬ stabe von allen den Übeln sein würde, die heute auf jedem der beiden Länder einzeln genommen lasten. Es wäre diese Kombination die Intrige in Perma¬ nenz, und die Verewigung jenes Kampfes der Aspiranten zum Thron, der bis jetzt jede Stabilität unmöglich gemacht hat. Ohne von der Vergangenheit der Prätendenten, und dein persönlichen Werte derselben sprechen zu wollen, weiß doch jedermann, der die Zustände in den Fürstentümern nur einigermaßen kennt, daß es keine einzige Familie in den beiden Ländern gibt, welche zum Thron gelangen könnte, ohne zugleich den Haß und Neid von mindestens zehn anderen, gleich mächtigen, oder vielmehr mächtigeren zu wecken, denn in dem Augenblick, wo der Begünstigte zur Regierung gelangt, ist er schon in seinem Vermögen durch die Bestechung und die ungeheueren Ausgaben geschwächt, die er in Konstantinopel hat aufwenden müssen, um über seine Konkurrenten zu siegen; er muß seine Macht mißbrauchen, um sich Geld zu schaffen und damit seine Gegner in Schach halten zu können, aber indem er dieses tut, verliert er den moralischen Kredit, und so schwebt ein solcher Fürst immer in der Alternative entweder dem Mangel, oder seinen eigenen Mi߬ bräuchen zum Opfer zu fallen. Es ist in der Türkei in neuerer Zeit in dieser Hinsicht nicht anders geworden als früher. Im Nachlasse des verstorbenen Kaimakams Batsch haben sich die Papiere über die ungeheueren Summen gefunden, die er im vorigen Jahre für die Erlangung der Kaimakamie in Kon¬ stantinopel hat verausgaben müssen. Dank dieser Instabilität haben in weniger als zwanzig Jahren in beiden Fürstentümern schon mehr als fünf verschiedene Familien geherrscht. Eine solche Veränderlichkeit in der Macht hat die Ambition und die Zahl der Prätendenten vermehrt und ihre Hoffnungen gesteigert. Schon jetzt, wo die Hoffnungen auf den fremden Fürsten, bei der Wendung, die in Frankreich eingetreten ist, im Abnehmen sind, strömen die Konkurrenten zu diesen Stellen, die Bibesko, Sturdza usw. — Euer Königliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/236>, abgerufen am 27.07.2024.