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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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An der Wiege des Königreichs Rumänien

L<znnais8e? pas le clerZe ^rec. -- Ich führe dies Gespräch nur allerunter-
tänigst an, weil es zugleich die mala 5las8 des türkischen Kommissars ins
Licht stellt.

Anlangend demnächst den österreichischen Kommissär, so habe ich zunächst
bemerkt, daß derselbe seit Erstattung meines letzten alleruntertänigsten Berichts
sich bemüht hat, aus der Reserve herauszutreten, die er bis dahin gegen mich
beobachtet hat, und die er meinem französischen, russischen und sardinischen
Kollegen gegenüber noch jetzt festhält. Herr von Liebmann hat mir sehr viel
von seiner Privatansicht gesprochen; er hat mir gesagt, daß, wenn man ledig¬
lich vom Gesichtspunkte der Prosperität der Fürstentümer ausgehe, keine Frage
darüber sein könne, daß die Union unter einem fremden Erbfürsten die einzige
angemessene Lösung sei. Allein so liege die Sache leider nicht; es seien andere
Interessen im Spiel, Interessen der Pforte, Interessen Österreichs, vielleicht auch
Interessen anderer Staaten, denen zufolge jene Rücksicht für die Prosperität
der Fürstentümer nicht allein maßgebend sei, und somit in den Hintergrund
träte. Ist es edel und gewissenhaft -- hat er mich gefragt -- diese einmal
obwaltenden Verhältnisse, die ihr Gewicht bei jedem Schritte geltend machen,
zu verkennen und den Fürstentümern mit Eventualitäten zu schmeicheln, die
außerhalb des Bereiches der politischen Möglichkeit liegen, oder ist es nicht viel¬
mehr redlicher und gewissenhafter, Hoffnungen zu unterdrücken und zu ersticken,
die doch nicht erfüllt werden können, und über deren Nichterfüllung alle Welt
einig ist? In dieser letzteren Beziehung habe ich ihn gefragt, wie er zu dieser
Voraussetzung komme, und er hat mir darauf erwidert, daß ich so gut wie er
wohl wissen würde, daß Frankreich den fremden Erbfürsten England zum Opfer
gebracht habe, wobei er sich auf die wiederholten Äußerungen des Mr. Thouvenel
in Konstantinopel und auf vertrauliche Andeutungen bezog, die ihm sein Hof
auf Grund von Nachrichten aus Paris gemacht habe. Sein Kaiser, so fügte
er hinzu, habe ihm bei der Abschiedsaudienz gesagt: "Gehen Sie mit Gerad¬
heit und Offenheit zu Werke und schmeicheln Sie nicht durch Intrigen der
Leidenschaften." Ich führe dies nur alleruntertänigst an, nicht weil ich die
Überzeugung hätte, daß eine solche Politik seitens der österreichischen Agenten
wirklich befolgt würde, sondern um die Sprache anzudeuten, mit der sie sich
gleichsam auf das moralische Pferd setzen. Ich habe vielmehr eine ganz ent¬
gegengesetzte Ansicht von der Sache und weiß aus direkten Mitteilungen des
hiesigen Polizeichefs, der mir aus meiner früheren Wirksamkeit bekannt ist, daß
ihn der österreichische Generalkonsul Göbel hat bewegen wollen, die hiesigen
Verhältnisse als so aufgeregte darzustellen, daß zur Erhaltung der Ruhe eine
fremde Okkupation, d. h. die Wiederkehr der österreichischen Truppen, dringend
erforderlich sei. Ich könnte noch andere Spezialien in diesem Sinne beibringen;
das Erwähnte dürfte indes vollkommen genügen, um darzutun, daß das Ver¬
fahren des Kaimakam und die jetzt minderzurückhaltenden Äußerungen Safret
Effendis in Herrn von Lietzmann einen wesentlichen Anhalt finden.


An der Wiege des Königreichs Rumänien

L<znnais8e? pas le clerZe ^rec. — Ich führe dies Gespräch nur allerunter-
tänigst an, weil es zugleich die mala 5las8 des türkischen Kommissars ins
Licht stellt.

Anlangend demnächst den österreichischen Kommissär, so habe ich zunächst
bemerkt, daß derselbe seit Erstattung meines letzten alleruntertänigsten Berichts
sich bemüht hat, aus der Reserve herauszutreten, die er bis dahin gegen mich
beobachtet hat, und die er meinem französischen, russischen und sardinischen
Kollegen gegenüber noch jetzt festhält. Herr von Liebmann hat mir sehr viel
von seiner Privatansicht gesprochen; er hat mir gesagt, daß, wenn man ledig¬
lich vom Gesichtspunkte der Prosperität der Fürstentümer ausgehe, keine Frage
darüber sein könne, daß die Union unter einem fremden Erbfürsten die einzige
angemessene Lösung sei. Allein so liege die Sache leider nicht; es seien andere
Interessen im Spiel, Interessen der Pforte, Interessen Österreichs, vielleicht auch
Interessen anderer Staaten, denen zufolge jene Rücksicht für die Prosperität
der Fürstentümer nicht allein maßgebend sei, und somit in den Hintergrund
träte. Ist es edel und gewissenhaft — hat er mich gefragt — diese einmal
obwaltenden Verhältnisse, die ihr Gewicht bei jedem Schritte geltend machen,
zu verkennen und den Fürstentümern mit Eventualitäten zu schmeicheln, die
außerhalb des Bereiches der politischen Möglichkeit liegen, oder ist es nicht viel¬
mehr redlicher und gewissenhafter, Hoffnungen zu unterdrücken und zu ersticken,
die doch nicht erfüllt werden können, und über deren Nichterfüllung alle Welt
einig ist? In dieser letzteren Beziehung habe ich ihn gefragt, wie er zu dieser
Voraussetzung komme, und er hat mir darauf erwidert, daß ich so gut wie er
wohl wissen würde, daß Frankreich den fremden Erbfürsten England zum Opfer
gebracht habe, wobei er sich auf die wiederholten Äußerungen des Mr. Thouvenel
in Konstantinopel und auf vertrauliche Andeutungen bezog, die ihm sein Hof
auf Grund von Nachrichten aus Paris gemacht habe. Sein Kaiser, so fügte
er hinzu, habe ihm bei der Abschiedsaudienz gesagt: „Gehen Sie mit Gerad¬
heit und Offenheit zu Werke und schmeicheln Sie nicht durch Intrigen der
Leidenschaften." Ich führe dies nur alleruntertänigst an, nicht weil ich die
Überzeugung hätte, daß eine solche Politik seitens der österreichischen Agenten
wirklich befolgt würde, sondern um die Sprache anzudeuten, mit der sie sich
gleichsam auf das moralische Pferd setzen. Ich habe vielmehr eine ganz ent¬
gegengesetzte Ansicht von der Sache und weiß aus direkten Mitteilungen des
hiesigen Polizeichefs, der mir aus meiner früheren Wirksamkeit bekannt ist, daß
ihn der österreichische Generalkonsul Göbel hat bewegen wollen, die hiesigen
Verhältnisse als so aufgeregte darzustellen, daß zur Erhaltung der Ruhe eine
fremde Okkupation, d. h. die Wiederkehr der österreichischen Truppen, dringend
erforderlich sei. Ich könnte noch andere Spezialien in diesem Sinne beibringen;
das Erwähnte dürfte indes vollkommen genügen, um darzutun, daß das Ver¬
fahren des Kaimakam und die jetzt minderzurückhaltenden Äußerungen Safret
Effendis in Herrn von Lietzmann einen wesentlichen Anhalt finden.


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[0235] An der Wiege des Königreichs Rumänien L<znnais8e? pas le clerZe ^rec. — Ich führe dies Gespräch nur allerunter- tänigst an, weil es zugleich die mala 5las8 des türkischen Kommissars ins Licht stellt. Anlangend demnächst den österreichischen Kommissär, so habe ich zunächst bemerkt, daß derselbe seit Erstattung meines letzten alleruntertänigsten Berichts sich bemüht hat, aus der Reserve herauszutreten, die er bis dahin gegen mich beobachtet hat, und die er meinem französischen, russischen und sardinischen Kollegen gegenüber noch jetzt festhält. Herr von Liebmann hat mir sehr viel von seiner Privatansicht gesprochen; er hat mir gesagt, daß, wenn man ledig¬ lich vom Gesichtspunkte der Prosperität der Fürstentümer ausgehe, keine Frage darüber sein könne, daß die Union unter einem fremden Erbfürsten die einzige angemessene Lösung sei. Allein so liege die Sache leider nicht; es seien andere Interessen im Spiel, Interessen der Pforte, Interessen Österreichs, vielleicht auch Interessen anderer Staaten, denen zufolge jene Rücksicht für die Prosperität der Fürstentümer nicht allein maßgebend sei, und somit in den Hintergrund träte. Ist es edel und gewissenhaft — hat er mich gefragt — diese einmal obwaltenden Verhältnisse, die ihr Gewicht bei jedem Schritte geltend machen, zu verkennen und den Fürstentümern mit Eventualitäten zu schmeicheln, die außerhalb des Bereiches der politischen Möglichkeit liegen, oder ist es nicht viel¬ mehr redlicher und gewissenhafter, Hoffnungen zu unterdrücken und zu ersticken, die doch nicht erfüllt werden können, und über deren Nichterfüllung alle Welt einig ist? In dieser letzteren Beziehung habe ich ihn gefragt, wie er zu dieser Voraussetzung komme, und er hat mir darauf erwidert, daß ich so gut wie er wohl wissen würde, daß Frankreich den fremden Erbfürsten England zum Opfer gebracht habe, wobei er sich auf die wiederholten Äußerungen des Mr. Thouvenel in Konstantinopel und auf vertrauliche Andeutungen bezog, die ihm sein Hof auf Grund von Nachrichten aus Paris gemacht habe. Sein Kaiser, so fügte er hinzu, habe ihm bei der Abschiedsaudienz gesagt: „Gehen Sie mit Gerad¬ heit und Offenheit zu Werke und schmeicheln Sie nicht durch Intrigen der Leidenschaften." Ich führe dies nur alleruntertänigst an, nicht weil ich die Überzeugung hätte, daß eine solche Politik seitens der österreichischen Agenten wirklich befolgt würde, sondern um die Sprache anzudeuten, mit der sie sich gleichsam auf das moralische Pferd setzen. Ich habe vielmehr eine ganz ent¬ gegengesetzte Ansicht von der Sache und weiß aus direkten Mitteilungen des hiesigen Polizeichefs, der mir aus meiner früheren Wirksamkeit bekannt ist, daß ihn der österreichische Generalkonsul Göbel hat bewegen wollen, die hiesigen Verhältnisse als so aufgeregte darzustellen, daß zur Erhaltung der Ruhe eine fremde Okkupation, d. h. die Wiederkehr der österreichischen Truppen, dringend erforderlich sei. Ich könnte noch andere Spezialien in diesem Sinne beibringen; das Erwähnte dürfte indes vollkommen genügen, um darzutun, daß das Ver¬ fahren des Kaimakam und die jetzt minderzurückhaltenden Äußerungen Safret Effendis in Herrn von Lietzmann einen wesentlichen Anhalt finden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/235>, abgerufen am 27.07.2024.