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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Richard Wagners parstfal

Schluß.

So wuchs uns denn das Ganze zu einer großen Einheit zusammen. Das
Christliche, der Heiland, das Gedächtnismahl, der Gral erwiesen sich als
"Symbole -- nein Bilder -- wirkliche Abbilder" der großen und tiefen Ge¬
danken, die dem Genius auf dem Boden der Schopenhauerschen Philosophie
erwachsen waren. Es zeigte sich keine Lücke, kein Zwiespalt, nicht im Parstfal,
nicht zwischen Parstfal und dem früheren Schaffen und Denken Wagners, wohl
eine Entwicklung, eine selbständige Weiterbildung. Das Christliche entspringt nicht
einer Bekehrung, einem Abfall von Schopenhauer, sondern einer ganz originellen,
genialen Vertiefung derLehre des Meisters, einer überraschendenDeutung desLeidens
des Heilands, die ihm den Pessimismus Schopenhauers in neuem Lichte zeigte.
Wagner ist sich wohl bewußt, daß seine "Regenerationslehre", sein sogenannter
Optimismus, durchaus Schopenhauer entspricht (S. 257). "Diese Wege (der Um¬
kehr des mißleiteten Willens), welche sehr wohl zu einer Hoffnung führen können,
sind aber von unseren Philosophen in einem mit den erhabensten Religionen
übereinstimmenden Sinne klar und bestimmt gewiesen worden, und es ist nicht
seine Schuld, wenn ihn die richtige Darstellung der Welt, wie sie ihm einzig
vorlag, so ausschließlich beschäftigen mußte, daß er jene Wege wirklich aufzu¬
finden und zu betreten uns selbst zu überlassen genötigt war; denn sie lassen
sich nicht wandeln als auf eigenen Füßen." Hier gibt Wagner seine Stellung
zu Schopenhauer so klar und deutlich selbst an, daß wir kein Wort hinzuzufügen
brauchen. Inwieweit er "auf eigenen Füßen steht" und inwieweit er abhängig
ist, das zeigt ja auch schon der letzte Teil unserer Darstellung. Ich sehe wirklich
nicht, weshalb man dies Verhältnis nicht mit dem Einfluß Kants aus Schiller
in Parallele setzen sollte; es müßte denn sein, daß man die Bedeutung der Kantischen
Philosophie sür Schillers Dichtung, den vielfach unbewußten Einfluß, weit unter¬
schätzt, wie das ja bisher wohl meist geschieht. Man glaubt recht törichterweise
damit der Genialität der Dichter Abbruch zu tun. Wie wenig muß man da
doch das Wesen künstlerischen Schaffens verstanden haben! Es ist nun einmal
deutscher Dichter und Künstler Art, daß ihre Werke aus dem tiefsten Schachte,
aus den verborgenen Tiefen ihrer Persönlichkeit hervorbrechen. So ist bei allen
Großen des deutschen Geistes Fühlen, Denken und Dichten eine letzte, sast
geheimnisvolle Einheit. In wundervoller Wechselwirkung entspringt ihnen aus
ihrem Schaffen die Einsicht in ihr Wesen und aus diesem Wesen das Wirken.
So entdeckte Schiller durch das Studium Kants die wesentlichen Pflichten seines
Dichterberufes und so wuchs auch seine Kunst zu stolzer Höhe empor, und als
er mit Kantischen Begriffen Goethe über sein innerstes Wesen aufgeklärt hatte,
da erblühte aufs herrlichste dessen Schöpferkraft. In diesem Sinne ist auch
Wagner, gleich Hebbel, ein echter deutscher Meister, eine große deutsche Persönlich¬
keit. Deutsches Denken ist auch bei ihm die Wurzel des Schaffens.

Auch über die Verwendung gerade der "christlichen" Symbole hat sich
Wagner völlig Rechenschaft gegeben. "Nun verlangt aber das Volk nach einer


1ö"
Richard Wagners parstfal

Schluß.

So wuchs uns denn das Ganze zu einer großen Einheit zusammen. Das
Christliche, der Heiland, das Gedächtnismahl, der Gral erwiesen sich als
„Symbole — nein Bilder — wirkliche Abbilder" der großen und tiefen Ge¬
danken, die dem Genius auf dem Boden der Schopenhauerschen Philosophie
erwachsen waren. Es zeigte sich keine Lücke, kein Zwiespalt, nicht im Parstfal,
nicht zwischen Parstfal und dem früheren Schaffen und Denken Wagners, wohl
eine Entwicklung, eine selbständige Weiterbildung. Das Christliche entspringt nicht
einer Bekehrung, einem Abfall von Schopenhauer, sondern einer ganz originellen,
genialen Vertiefung derLehre des Meisters, einer überraschendenDeutung desLeidens
des Heilands, die ihm den Pessimismus Schopenhauers in neuem Lichte zeigte.
Wagner ist sich wohl bewußt, daß seine „Regenerationslehre", sein sogenannter
Optimismus, durchaus Schopenhauer entspricht (S. 257). „Diese Wege (der Um¬
kehr des mißleiteten Willens), welche sehr wohl zu einer Hoffnung führen können,
sind aber von unseren Philosophen in einem mit den erhabensten Religionen
übereinstimmenden Sinne klar und bestimmt gewiesen worden, und es ist nicht
seine Schuld, wenn ihn die richtige Darstellung der Welt, wie sie ihm einzig
vorlag, so ausschließlich beschäftigen mußte, daß er jene Wege wirklich aufzu¬
finden und zu betreten uns selbst zu überlassen genötigt war; denn sie lassen
sich nicht wandeln als auf eigenen Füßen." Hier gibt Wagner seine Stellung
zu Schopenhauer so klar und deutlich selbst an, daß wir kein Wort hinzuzufügen
brauchen. Inwieweit er „auf eigenen Füßen steht" und inwieweit er abhängig
ist, das zeigt ja auch schon der letzte Teil unserer Darstellung. Ich sehe wirklich
nicht, weshalb man dies Verhältnis nicht mit dem Einfluß Kants aus Schiller
in Parallele setzen sollte; es müßte denn sein, daß man die Bedeutung der Kantischen
Philosophie sür Schillers Dichtung, den vielfach unbewußten Einfluß, weit unter¬
schätzt, wie das ja bisher wohl meist geschieht. Man glaubt recht törichterweise
damit der Genialität der Dichter Abbruch zu tun. Wie wenig muß man da
doch das Wesen künstlerischen Schaffens verstanden haben! Es ist nun einmal
deutscher Dichter und Künstler Art, daß ihre Werke aus dem tiefsten Schachte,
aus den verborgenen Tiefen ihrer Persönlichkeit hervorbrechen. So ist bei allen
Großen des deutschen Geistes Fühlen, Denken und Dichten eine letzte, sast
geheimnisvolle Einheit. In wundervoller Wechselwirkung entspringt ihnen aus
ihrem Schaffen die Einsicht in ihr Wesen und aus diesem Wesen das Wirken.
So entdeckte Schiller durch das Studium Kants die wesentlichen Pflichten seines
Dichterberufes und so wuchs auch seine Kunst zu stolzer Höhe empor, und als
er mit Kantischen Begriffen Goethe über sein innerstes Wesen aufgeklärt hatte,
da erblühte aufs herrlichste dessen Schöpferkraft. In diesem Sinne ist auch
Wagner, gleich Hebbel, ein echter deutscher Meister, eine große deutsche Persönlich¬
keit. Deutsches Denken ist auch bei ihm die Wurzel des Schaffens.

Auch über die Verwendung gerade der „christlichen" Symbole hat sich
Wagner völlig Rechenschaft gegeben. „Nun verlangt aber das Volk nach einer


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[0231] Richard Wagners parstfal Schluß. So wuchs uns denn das Ganze zu einer großen Einheit zusammen. Das Christliche, der Heiland, das Gedächtnismahl, der Gral erwiesen sich als „Symbole — nein Bilder — wirkliche Abbilder" der großen und tiefen Ge¬ danken, die dem Genius auf dem Boden der Schopenhauerschen Philosophie erwachsen waren. Es zeigte sich keine Lücke, kein Zwiespalt, nicht im Parstfal, nicht zwischen Parstfal und dem früheren Schaffen und Denken Wagners, wohl eine Entwicklung, eine selbständige Weiterbildung. Das Christliche entspringt nicht einer Bekehrung, einem Abfall von Schopenhauer, sondern einer ganz originellen, genialen Vertiefung derLehre des Meisters, einer überraschendenDeutung desLeidens des Heilands, die ihm den Pessimismus Schopenhauers in neuem Lichte zeigte. Wagner ist sich wohl bewußt, daß seine „Regenerationslehre", sein sogenannter Optimismus, durchaus Schopenhauer entspricht (S. 257). „Diese Wege (der Um¬ kehr des mißleiteten Willens), welche sehr wohl zu einer Hoffnung führen können, sind aber von unseren Philosophen in einem mit den erhabensten Religionen übereinstimmenden Sinne klar und bestimmt gewiesen worden, und es ist nicht seine Schuld, wenn ihn die richtige Darstellung der Welt, wie sie ihm einzig vorlag, so ausschließlich beschäftigen mußte, daß er jene Wege wirklich aufzu¬ finden und zu betreten uns selbst zu überlassen genötigt war; denn sie lassen sich nicht wandeln als auf eigenen Füßen." Hier gibt Wagner seine Stellung zu Schopenhauer so klar und deutlich selbst an, daß wir kein Wort hinzuzufügen brauchen. Inwieweit er „auf eigenen Füßen steht" und inwieweit er abhängig ist, das zeigt ja auch schon der letzte Teil unserer Darstellung. Ich sehe wirklich nicht, weshalb man dies Verhältnis nicht mit dem Einfluß Kants aus Schiller in Parallele setzen sollte; es müßte denn sein, daß man die Bedeutung der Kantischen Philosophie sür Schillers Dichtung, den vielfach unbewußten Einfluß, weit unter¬ schätzt, wie das ja bisher wohl meist geschieht. Man glaubt recht törichterweise damit der Genialität der Dichter Abbruch zu tun. Wie wenig muß man da doch das Wesen künstlerischen Schaffens verstanden haben! Es ist nun einmal deutscher Dichter und Künstler Art, daß ihre Werke aus dem tiefsten Schachte, aus den verborgenen Tiefen ihrer Persönlichkeit hervorbrechen. So ist bei allen Großen des deutschen Geistes Fühlen, Denken und Dichten eine letzte, sast geheimnisvolle Einheit. In wundervoller Wechselwirkung entspringt ihnen aus ihrem Schaffen die Einsicht in ihr Wesen und aus diesem Wesen das Wirken. So entdeckte Schiller durch das Studium Kants die wesentlichen Pflichten seines Dichterberufes und so wuchs auch seine Kunst zu stolzer Höhe empor, und als er mit Kantischen Begriffen Goethe über sein innerstes Wesen aufgeklärt hatte, da erblühte aufs herrlichste dessen Schöpferkraft. In diesem Sinne ist auch Wagner, gleich Hebbel, ein echter deutscher Meister, eine große deutsche Persönlich¬ keit. Deutsches Denken ist auch bei ihm die Wurzel des Schaffens. Auch über die Verwendung gerade der „christlichen" Symbole hat sich Wagner völlig Rechenschaft gegeben. „Nun verlangt aber das Volk nach einer 1ö"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/231>, abgerufen am 27.07.2024.