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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Richard Wagners Parsifal

sinnlichen realen Vorstellung der göttlichen Ewigkeit im affirmativen Sinne".
(X. 261.) Die Erfüllung dieses Verlangens kann -- schon nach Schopenhauer --
nur die Kunst geben. "Das vollendete Gleichnis des edelsten Kunstwerkes dürfte
durch seine erdrückende Wirkung auf das Gemüt sehr deutlich uns das Urbild
(des vollkommenen Genügens, des wahren wünschenswerten Zustandes, also der
Erlösung) auffinden lassen, dessen .Irgendwo' notwendig nur in unserem --
Innern sich offenbaren müßte." Doch muß dazu der Kunst "die vollkommenste
sittliche Weltordnung" zugrunde liegen; "das Gleichnis des Göttlichen" aber
muß sie "der Lebensübung" selbst entnehmen, um "wahrhaft verständlich" und
damit wahrhaft wirksam zu werden. So besteht auch in betreff der christlichen
"Symbole" keinerlei Unklarheit, keinerlei Unebenheit bei Wagner. Als höchstes
Endziel schließlich aller echten Philosophie betrachtet er (eb. 260) "die Anerkennung
einer moralischen Bedeutung der Welt". Mit dieser klaren Formulierung wächst
Wagner hinaus über den banalen Gegensatz von Optimismus und Pessimismus,
eigentlich auch über die allgemeine Stimmung der Lehre Schopenhauers. Er
wird positiv aufbauend, menschheitfördernd im Sinne Hegels und Hebbels, im
Sinne I. G. Fichtes, wie er überhaupt der Lehre des deutschen Idealismus
ganz direkt viel mehr verdankt, als bisher auch nur geahnt wird. Sind diese
Einflüsse erst klar gelegt, so wird die Zeit vorüber sein, wo man Wagner als
unselbständigen Denker wird abtun können. Man wird ihn einreihen unter die
großen deutschen Geister auch unserer intellektuellen Kultur ebenso wie Schiller.
Dazu eine bescheidene Vorarbeit zu liefern, das war meine Absicht.




Zur Einführung in das Verständnis des Parsifal ist zunächst notwendig ein
genaues Studium der betreffenden Schriften R. Wagners selbst, insbesondere:

Parsifal. 27. August bis 30. August 1865 (R. W. Sämtliche Schriften
und Dichtungen, Volksausgabe L. XI S. 395 ff.). Dies ist der für
Ludwig den Zweiten verfaßte Entwurf des Dramas.
Religion und Kunst (eb. 15. X S. 211). Dazu diese Nachträge:
Was nützt diese Erkenntnis?
Erkenne dich selbst.
Heldentum und Christentum (eb.).

Daß dann eine genauere Kenntnis der Philosophie Schopenhauers uner¬
läßlich ist, lehrt mein Aufsatz wohl recht deutlich. Besonders wichtig ist:

Welt als Wille und Vorstellung, drittes Buch: die Vorstellung unab¬
hängig vom Satze des Grundes: die platonische Idee: das Objekt der
Kunst.

Zu Schopenhauer wäre zu empfehlen:

Volkelt: Arthur Schopenhauer. Seine Persönlichkeit, seine Lehre, sein
Glaube. Stuttgart 2. Aufl. 1907.

Richard Wagners Parsifal

sinnlichen realen Vorstellung der göttlichen Ewigkeit im affirmativen Sinne".
(X. 261.) Die Erfüllung dieses Verlangens kann — schon nach Schopenhauer —
nur die Kunst geben. „Das vollendete Gleichnis des edelsten Kunstwerkes dürfte
durch seine erdrückende Wirkung auf das Gemüt sehr deutlich uns das Urbild
(des vollkommenen Genügens, des wahren wünschenswerten Zustandes, also der
Erlösung) auffinden lassen, dessen .Irgendwo' notwendig nur in unserem —
Innern sich offenbaren müßte." Doch muß dazu der Kunst „die vollkommenste
sittliche Weltordnung" zugrunde liegen; „das Gleichnis des Göttlichen" aber
muß sie „der Lebensübung" selbst entnehmen, um „wahrhaft verständlich" und
damit wahrhaft wirksam zu werden. So besteht auch in betreff der christlichen
„Symbole" keinerlei Unklarheit, keinerlei Unebenheit bei Wagner. Als höchstes
Endziel schließlich aller echten Philosophie betrachtet er (eb. 260) „die Anerkennung
einer moralischen Bedeutung der Welt". Mit dieser klaren Formulierung wächst
Wagner hinaus über den banalen Gegensatz von Optimismus und Pessimismus,
eigentlich auch über die allgemeine Stimmung der Lehre Schopenhauers. Er
wird positiv aufbauend, menschheitfördernd im Sinne Hegels und Hebbels, im
Sinne I. G. Fichtes, wie er überhaupt der Lehre des deutschen Idealismus
ganz direkt viel mehr verdankt, als bisher auch nur geahnt wird. Sind diese
Einflüsse erst klar gelegt, so wird die Zeit vorüber sein, wo man Wagner als
unselbständigen Denker wird abtun können. Man wird ihn einreihen unter die
großen deutschen Geister auch unserer intellektuellen Kultur ebenso wie Schiller.
Dazu eine bescheidene Vorarbeit zu liefern, das war meine Absicht.




Zur Einführung in das Verständnis des Parsifal ist zunächst notwendig ein
genaues Studium der betreffenden Schriften R. Wagners selbst, insbesondere:

Parsifal. 27. August bis 30. August 1865 (R. W. Sämtliche Schriften
und Dichtungen, Volksausgabe L. XI S. 395 ff.). Dies ist der für
Ludwig den Zweiten verfaßte Entwurf des Dramas.
Religion und Kunst (eb. 15. X S. 211). Dazu diese Nachträge:
Was nützt diese Erkenntnis?
Erkenne dich selbst.
Heldentum und Christentum (eb.).

Daß dann eine genauere Kenntnis der Philosophie Schopenhauers uner¬
läßlich ist, lehrt mein Aufsatz wohl recht deutlich. Besonders wichtig ist:

Welt als Wille und Vorstellung, drittes Buch: die Vorstellung unab¬
hängig vom Satze des Grundes: die platonische Idee: das Objekt der
Kunst.

Zu Schopenhauer wäre zu empfehlen:

Volkelt: Arthur Schopenhauer. Seine Persönlichkeit, seine Lehre, sein
Glaube. Stuttgart 2. Aufl. 1907.

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[0232] Richard Wagners Parsifal sinnlichen realen Vorstellung der göttlichen Ewigkeit im affirmativen Sinne". (X. 261.) Die Erfüllung dieses Verlangens kann — schon nach Schopenhauer — nur die Kunst geben. „Das vollendete Gleichnis des edelsten Kunstwerkes dürfte durch seine erdrückende Wirkung auf das Gemüt sehr deutlich uns das Urbild (des vollkommenen Genügens, des wahren wünschenswerten Zustandes, also der Erlösung) auffinden lassen, dessen .Irgendwo' notwendig nur in unserem — Innern sich offenbaren müßte." Doch muß dazu der Kunst „die vollkommenste sittliche Weltordnung" zugrunde liegen; „das Gleichnis des Göttlichen" aber muß sie „der Lebensübung" selbst entnehmen, um „wahrhaft verständlich" und damit wahrhaft wirksam zu werden. So besteht auch in betreff der christlichen „Symbole" keinerlei Unklarheit, keinerlei Unebenheit bei Wagner. Als höchstes Endziel schließlich aller echten Philosophie betrachtet er (eb. 260) „die Anerkennung einer moralischen Bedeutung der Welt". Mit dieser klaren Formulierung wächst Wagner hinaus über den banalen Gegensatz von Optimismus und Pessimismus, eigentlich auch über die allgemeine Stimmung der Lehre Schopenhauers. Er wird positiv aufbauend, menschheitfördernd im Sinne Hegels und Hebbels, im Sinne I. G. Fichtes, wie er überhaupt der Lehre des deutschen Idealismus ganz direkt viel mehr verdankt, als bisher auch nur geahnt wird. Sind diese Einflüsse erst klar gelegt, so wird die Zeit vorüber sein, wo man Wagner als unselbständigen Denker wird abtun können. Man wird ihn einreihen unter die großen deutschen Geister auch unserer intellektuellen Kultur ebenso wie Schiller. Dazu eine bescheidene Vorarbeit zu liefern, das war meine Absicht. Zur Einführung in das Verständnis des Parsifal ist zunächst notwendig ein genaues Studium der betreffenden Schriften R. Wagners selbst, insbesondere: Parsifal. 27. August bis 30. August 1865 (R. W. Sämtliche Schriften und Dichtungen, Volksausgabe L. XI S. 395 ff.). Dies ist der für Ludwig den Zweiten verfaßte Entwurf des Dramas. Religion und Kunst (eb. 15. X S. 211). Dazu diese Nachträge: Was nützt diese Erkenntnis? Erkenne dich selbst. Heldentum und Christentum (eb.). Daß dann eine genauere Kenntnis der Philosophie Schopenhauers uner¬ läßlich ist, lehrt mein Aufsatz wohl recht deutlich. Besonders wichtig ist: Welt als Wille und Vorstellung, drittes Buch: die Vorstellung unab¬ hängig vom Satze des Grundes: die platonische Idee: das Objekt der Kunst. Zu Schopenhauer wäre zu empfehlen: Volkelt: Arthur Schopenhauer. Seine Persönlichkeit, seine Lehre, sein Glaube. Stuttgart 2. Aufl. 1907.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/232>, abgerufen am 21.12.2024.