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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Fürstliche Gegner Bismarcks

Preußens Führung als erstrebenswertes Ziel enthielt; aber ihre Führer legten
keineswegs den Nachdruck auf die Vergrößerung der preußischen Machtstellung.
Sie sahen in der liberalen Organisation Deutschlands, in der Schaffung eines
Reichstages, von Reichsministerien und anderen liberalen Einrichtungen das
Hauptziel. Vor allem aber waren sie überzeugt, daß, wenn sich in Preußen
der Liberalismus durchgesetzt hätte, auch das übrige Deutschland allein schon
durch die alles fortreißende Macht der Ideen und der Volksbewegung zum
Anschluß an die neu zu begründende Reichseinheit gezwungen werden würde.
Trotz der üblen Erfahrungen des Jahres 1848 glaubte man an die Möglichkeit
dieser akademischen Lösung der deutschen Frage und verabscheute jeden Versuch
einer kriegerischen Auseinandersetzung.

Gerade im Interesse der deutschen Einheit hielt man darum den Sturz
des konservativen Regiments in Preußen, den Sturz Bismarcks für unbedingt
notwendig. In seinen kriegerischen Absichten sah man nur eine mutwillige
Störung der in so gutem Fluß befindlichen nationalen Bewegung; ihn selbst
faßte man als Spieler auf, der alles auf eine Karte, auf den Krieg setzte, um
über die inneren Schwierigkeiten hinweg zu kommen.

Der Kronprinz von Preußen befand sich völlig im Banne dieser Gedanken¬
gänge. Im Hinblick aus die Bismarckschen Bestrebungen äußerte er: "Diejenigen,
welche den König, meinen allergnädigsten Herrn, auf solche Wege führen, be¬
trachte ich als die allergefährlichsten Ratgeber für Krone und Vaterland."
"Tollkühnheit und Frivolität" sah er in Bismarcks Verhalten. Und aus seiner
Auffassung, daß nur durch ein den Forderungen der Zeit gemäßes, entschieden
liberales Regiment im Innern die Herrschaft Preußens in Deutschland hergestellt
werden könnte, machte der Kronprinz auch Fernerstehenden gegenüber kein Hehl.

Die Anschauungen seiner Verwandten in Coburg und Karlsruhe und die
seines Freundes, des Herzogs von Augustenburg, bewegten sich auf derselben
Linie. Sie betonten, daß Annexionen in Norddeutschland die deutschen Fürsten
mit dem höchsten Mißtrauen gegen die preußische Politik erfüllen und die
Intervention des Auslandes im Gefolge haben müßten. Schließlich arbeitete
die Königin Victoria in ihrer temperamentvollen Weise gegen den abscheulichen
Menschen, wie sie Bismarck in einem ihrer Privatbriefe nannte.

Von allen Seiten wurde so der Versuch gemacht und immer wieder er¬
neuert, die Friedensliebe des Königs und seine politische Vorliebe für Österreich
gegen den Minister aufzurufen.

Bei diesem Kampf um den König hatte Bismarck nur wenige Getreue
zur Seite. Roon, den Kriegsminister, in erster Linie, dann besonders Gustav
von Alvensleben, den Generaladjutanten, der sich später im Kriege 1870 als
Kommandeur des vierten Armeekorps bei Beaumont auszeichnete. So mußte
Bismarck seine ganze staatsmännische Kunst, zuweilen gepaart mit seinem rück¬
sichtslosen Zorn und seiner vulkanischen Leidenschaft, ins Feld führen, um den
König bewußt oder unbewußt für den Dienst an der nationalen Sache zu


Fürstliche Gegner Bismarcks

Preußens Führung als erstrebenswertes Ziel enthielt; aber ihre Führer legten
keineswegs den Nachdruck auf die Vergrößerung der preußischen Machtstellung.
Sie sahen in der liberalen Organisation Deutschlands, in der Schaffung eines
Reichstages, von Reichsministerien und anderen liberalen Einrichtungen das
Hauptziel. Vor allem aber waren sie überzeugt, daß, wenn sich in Preußen
der Liberalismus durchgesetzt hätte, auch das übrige Deutschland allein schon
durch die alles fortreißende Macht der Ideen und der Volksbewegung zum
Anschluß an die neu zu begründende Reichseinheit gezwungen werden würde.
Trotz der üblen Erfahrungen des Jahres 1848 glaubte man an die Möglichkeit
dieser akademischen Lösung der deutschen Frage und verabscheute jeden Versuch
einer kriegerischen Auseinandersetzung.

Gerade im Interesse der deutschen Einheit hielt man darum den Sturz
des konservativen Regiments in Preußen, den Sturz Bismarcks für unbedingt
notwendig. In seinen kriegerischen Absichten sah man nur eine mutwillige
Störung der in so gutem Fluß befindlichen nationalen Bewegung; ihn selbst
faßte man als Spieler auf, der alles auf eine Karte, auf den Krieg setzte, um
über die inneren Schwierigkeiten hinweg zu kommen.

Der Kronprinz von Preußen befand sich völlig im Banne dieser Gedanken¬
gänge. Im Hinblick aus die Bismarckschen Bestrebungen äußerte er: „Diejenigen,
welche den König, meinen allergnädigsten Herrn, auf solche Wege führen, be¬
trachte ich als die allergefährlichsten Ratgeber für Krone und Vaterland."
„Tollkühnheit und Frivolität" sah er in Bismarcks Verhalten. Und aus seiner
Auffassung, daß nur durch ein den Forderungen der Zeit gemäßes, entschieden
liberales Regiment im Innern die Herrschaft Preußens in Deutschland hergestellt
werden könnte, machte der Kronprinz auch Fernerstehenden gegenüber kein Hehl.

Die Anschauungen seiner Verwandten in Coburg und Karlsruhe und die
seines Freundes, des Herzogs von Augustenburg, bewegten sich auf derselben
Linie. Sie betonten, daß Annexionen in Norddeutschland die deutschen Fürsten
mit dem höchsten Mißtrauen gegen die preußische Politik erfüllen und die
Intervention des Auslandes im Gefolge haben müßten. Schließlich arbeitete
die Königin Victoria in ihrer temperamentvollen Weise gegen den abscheulichen
Menschen, wie sie Bismarck in einem ihrer Privatbriefe nannte.

Von allen Seiten wurde so der Versuch gemacht und immer wieder er¬
neuert, die Friedensliebe des Königs und seine politische Vorliebe für Österreich
gegen den Minister aufzurufen.

Bei diesem Kampf um den König hatte Bismarck nur wenige Getreue
zur Seite. Roon, den Kriegsminister, in erster Linie, dann besonders Gustav
von Alvensleben, den Generaladjutanten, der sich später im Kriege 1870 als
Kommandeur des vierten Armeekorps bei Beaumont auszeichnete. So mußte
Bismarck seine ganze staatsmännische Kunst, zuweilen gepaart mit seinem rück¬
sichtslosen Zorn und seiner vulkanischen Leidenschaft, ins Feld führen, um den
König bewußt oder unbewußt für den Dienst an der nationalen Sache zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/22>, abgerufen am 27.07.2024.