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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Fürstliche Gegner Bismarcks

Gefahr ist nicht unterschätzt worden; alles ist geschehen, was möglich war.
Frankreich aber wollte durchaus nicht, und allein können wir nichts tun, und
überhaupt will das hiesige Gouvernement nicht in einen Krieg hineingezogen
werden. Victoria-London."

Die russische wohlwollende Neutralität war durch das Verhalten der
preußischen Regierung dem polnischen Aufstand 1863 gegenüber unbedingt sicher.

Ungleich schwieriger war es für Bismarck, die Hemmnisse zu beseitigen,
die sich im Innern Preußens und Deutschlands der Ausführung seiner Pläne
entgegensetzten. Es ist Bismarck wirklich nicht leicht geworden, die Deutschen
seiner Zeit, die in Sentimentalität und Phrasen zu zerfließen drohten, aus ihren
Träumen zu reißen und an seine waffenklirrende, von staatlichem Egoismus
beseelte Politik zu gewöhnen. Einen Vorgeschmack der Schwierigkeiten, die
ihm bei der Durchführung seiner realpolitischen Ziele bevorstanden, erhielt er
bei dem ersten Ministerrat nach dem Tode des dänischen Königs Friedrich des
Siebenten. Als er während der Sitzung den König kurz und schlicht aufforderte,
dem Beispiel seiner Vorfahren zu folgen und durch die Erwerbung der Herzog¬
tümer Schleswig-Holstein das Wachstum Preußens zu fördern, wies der König
nach der Sitzung den Protokollführer an. diese Auslassungen nicht in dem
amtlichen Protokoll anzuführen. "S. M. schien geglaubt zu haben." schreibt
Bismarck, "daß ich unter den bacchischen Eindrücken eines Frühstücks gesprochen
hätte und froh sein würde, nichts weiter davon zu hören. Der Kronprinz
hatte, während ich sprach, die Hände zum Himmel erhoben, als wenn er an
meinen gesunden Sinnen zweifelte ..."

Als Bismarck gar den Krieg mit Österreich als politische Notwendigkeit
forderte, stieß er auf den stärksten Widerstand. Gegen sich hatte er die über¬
wiegende Majorität des preußischen Volkes, soweit sie in der Stimmung der
liberalen Mehrheit des Abgeordnetenhauses zum Ausdruck kam. Nicht einmal
alle konservativen Vertreter, deren Zahl so weit zurückgegangen war, daß sie,
wie der Berliner Witz feststellte, in einem Omnibus zum Dönhoffsplatz fahren
konnten, standen auf seiner Seite. Eine Gruppe konservativer Abgeordneter
sah in der engen Verbindung mit dem konservativen Österreich das einzige
Mittel, dem revolutionären Überschäumen der nationalen Volksbewegung
wirkungsvoll Halt zu gebieten. Und der König selbst stand diesem Gedanken¬
gang nicht fern, zumal wenn in ihm die Erinnerung an die Waffenbrüderschaft
mit Österreich zur Zeit der Befreiungskriege geweckt wurde.

Aber warum fand Bismarck mit seinem politischen Streben keinen Anklang
bei der nationalen Partei? Einigung Deutschlands unter Ausschluß Österreichs
war doch eines ihrer Ideale. Daß er erst Norddeutschland zusammenschließen
wollte, konnte man doch als Etappe zum Ziele gelten lassen. Nun in der
liberalen Volksbewegung, die Anfang der sechziger Jahre im Nationalverein
verkörpert war. lebte noch die Erinnerung an das Programm der Gothaischen
Partei, das eine Einigung Deutschlands mit Ausschluß Österreichs unter


Fürstliche Gegner Bismarcks

Gefahr ist nicht unterschätzt worden; alles ist geschehen, was möglich war.
Frankreich aber wollte durchaus nicht, und allein können wir nichts tun, und
überhaupt will das hiesige Gouvernement nicht in einen Krieg hineingezogen
werden. Victoria-London."

Die russische wohlwollende Neutralität war durch das Verhalten der
preußischen Regierung dem polnischen Aufstand 1863 gegenüber unbedingt sicher.

Ungleich schwieriger war es für Bismarck, die Hemmnisse zu beseitigen,
die sich im Innern Preußens und Deutschlands der Ausführung seiner Pläne
entgegensetzten. Es ist Bismarck wirklich nicht leicht geworden, die Deutschen
seiner Zeit, die in Sentimentalität und Phrasen zu zerfließen drohten, aus ihren
Träumen zu reißen und an seine waffenklirrende, von staatlichem Egoismus
beseelte Politik zu gewöhnen. Einen Vorgeschmack der Schwierigkeiten, die
ihm bei der Durchführung seiner realpolitischen Ziele bevorstanden, erhielt er
bei dem ersten Ministerrat nach dem Tode des dänischen Königs Friedrich des
Siebenten. Als er während der Sitzung den König kurz und schlicht aufforderte,
dem Beispiel seiner Vorfahren zu folgen und durch die Erwerbung der Herzog¬
tümer Schleswig-Holstein das Wachstum Preußens zu fördern, wies der König
nach der Sitzung den Protokollführer an. diese Auslassungen nicht in dem
amtlichen Protokoll anzuführen. „S. M. schien geglaubt zu haben." schreibt
Bismarck, „daß ich unter den bacchischen Eindrücken eines Frühstücks gesprochen
hätte und froh sein würde, nichts weiter davon zu hören. Der Kronprinz
hatte, während ich sprach, die Hände zum Himmel erhoben, als wenn er an
meinen gesunden Sinnen zweifelte ..."

Als Bismarck gar den Krieg mit Österreich als politische Notwendigkeit
forderte, stieß er auf den stärksten Widerstand. Gegen sich hatte er die über¬
wiegende Majorität des preußischen Volkes, soweit sie in der Stimmung der
liberalen Mehrheit des Abgeordnetenhauses zum Ausdruck kam. Nicht einmal
alle konservativen Vertreter, deren Zahl so weit zurückgegangen war, daß sie,
wie der Berliner Witz feststellte, in einem Omnibus zum Dönhoffsplatz fahren
konnten, standen auf seiner Seite. Eine Gruppe konservativer Abgeordneter
sah in der engen Verbindung mit dem konservativen Österreich das einzige
Mittel, dem revolutionären Überschäumen der nationalen Volksbewegung
wirkungsvoll Halt zu gebieten. Und der König selbst stand diesem Gedanken¬
gang nicht fern, zumal wenn in ihm die Erinnerung an die Waffenbrüderschaft
mit Österreich zur Zeit der Befreiungskriege geweckt wurde.

Aber warum fand Bismarck mit seinem politischen Streben keinen Anklang
bei der nationalen Partei? Einigung Deutschlands unter Ausschluß Österreichs
war doch eines ihrer Ideale. Daß er erst Norddeutschland zusammenschließen
wollte, konnte man doch als Etappe zum Ziele gelten lassen. Nun in der
liberalen Volksbewegung, die Anfang der sechziger Jahre im Nationalverein
verkörpert war. lebte noch die Erinnerung an das Programm der Gothaischen
Partei, das eine Einigung Deutschlands mit Ausschluß Österreichs unter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/21>, abgerufen am 27.07.2024.