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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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scheinen muß. Wie vielseitig und eindringlich
so die kulturhistorische Bedeutung der zuge¬
hörigen Begriffe beleuchtet wird, geht be¬
sonders aus dem letzten Aufsatz: "Unser
ältestes Christentum" hervor. In Weiter¬
bildung der Rudolf von Rcmmerschen For¬
schungen weist Kluge hier eine ganze und
grundlegende Wortschicht christlichen Inhalts
nach, die vor der lateinischen Missionierung
über die Goten vom Griechischen her auf uns
gekommen ist. Wenn er aber an die Zeitfrage
ihres Eindringens anschließend eine Chrono¬
logie der zweiten Lautverschiebung versucht,
und zwar abweichend von der herrschenden
Auffassung, so verliert sich hier seine Darstel¬
lung für ein Laienpublikum in allzu subtile
und in ihrer gedrängten Form nicht immer
klare Beweisführungen.

Daß die Sprachwissenschaft allmählich auch
ihre gebührende Stellung in der Schule er¬
hält, dafür haben wir einen erfreulichen Be¬
weis in Prof K. Bergmanns Buch: "Der
deutsche Wortschatz" (Alfred Töpelmann
Gießen 1912, brosch. 2,76 M., geb. 3,20 M>.
Hier liegt in der Idee des Buches sein Haupt¬
wert. Die große Darwinsche Zauberformel:
Entwicklung hält endlich ihren Einzug auch
in unsere Sprachstunde", und erfüllt die bisher
geübte unfruchtbare Analhse mit Sinn und
Leben.

Wie sich die organischen Beziehungen un¬
serer Sprache von Zeit zu Zeit und von Volk
zu Volk verwoben, das gibt unserer Jugend
ein Pädagogisch unschätzbares Bild ihres
Wesens. Dagegen tritt die eigene Arbeit des
Verfassers zurück. Sie ist und will nicht
mehr sein als ein systematischer Auszug aus
dem rühmlich bekannten "Deutschen Wörter¬
buch" von Weigand. Um seine Schätze für
die Schule zu heben, legt Bergmann in den
Stoff, der dort äußerlich in alphabetische
Längsschnitte gespalten ist, Querschnitte nach
inneren sachlichen Gründen. Diese sichere
Grundlage verbürgt uns einen gewissenhaft
überarbeiteten Stoff, der nach drei Haupt¬
abschnitten gesichtet wird: die'Bedeutung der
einzelnen Wörter und Wendungen, die Zu¬
sammensetzung des gesamten Wortschatzes und
dann seine Verwandtschaften. Mit Recht
sieht dabei der Verfasser keine Bedenken, auch
vorläufige Hypothesen dieser jungen und

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schwierigen Wissenschaft zu verwenden, die zur
Ordnung unentbehrlich sind, ebenso wie er
auch im einzelnen anfechtbare Daten vor¬
bringen muß, um durch möglichst vielseitige
Anknüpfung seinen Gegenstand voll und rund
zu machen. Darauf kommt es an. Das
Problem in seiner ganzen Schärfe und Aus¬
dehnung überschauen, ist wichtiger, als einige
"gesicherte Resultate" nach Hause zu tragen.

Je bereitwilliger wir anerkennen, daß
auch der Verfasser dieses Hauptziel verfolgt,
um so mehr bedauern wir, daß er seine tüch¬
tige Idee mit schulinännischer Gründlichkeit zu
Tode hetzt. Wenn er in die Einleitung die
Darlegung seiner systematischen Einteilung in
aller Kürze bereits hineinpfropft, um im
Text nur noch "Verzeichnisse" der Beispiele
zu geben, so macht das schon ein beständiges
Hin- und Herblättern nötig. Noch mehr
leidet die Übersichtlichkeit, wenn er in seine
umsichtig gegliederten, sprachtheoretischen Ab¬
teilungen wieder nach Bedarf ein System von
Praktischen Gruppen der behandelten Worte
einschachtelt, um dieses teilweise noch einmal
und noch einmal zu spalten. "So steht S. 111
eine Abteilung, die folgende Nummer hat:
^, II, 24, ^V, I, 7. Bergmann hat schon
einen viel einfacheren Weg gefunden, den er
nur überall hätte einzuschlagen brauchen.
Unter ^, I, 1 bis 8 (S. 25 bis 64) bringt
er das Wortmaterial jeweils alphabetisch in
acht Klassen nach dem theoretischen Gesichts¬
punkt, welche Hilfsmittel zur Erschließung der
Bedeutung vorhanden sind, und läßt dem
eine Ordnung desselben Materials nach prak¬
tischen Gruppen vorausgehen, wo bei jedem
einzelnen, hier leicht auffindbaren Wort auf
den späteren Gesichtspunkt seiner etymolo¬
gischen Erklärung verwiesen wird. Innerhalb
dieser vorausgehenden Inhaltsangaben konnte
da zur besseren Orientierung nach Herzens¬
lust spezialisiert werden, ohne den einheitlichen
Charakter der sprachtheoretischen Klassen aus-
einanderzureißen. Diese verschiedenen Prak¬
tischen Stoffgruppierungen brauchte dann nur
ein Wortregister am Ende des Buches, die
sprachtheoretischen Abschnitte (die Hauptsache),
eine klare Disposition zu Anfang zusammen¬
zufassen statt des heillosen Wirrwarrs von
einem "Sachverzeichnis", wie es jetzt ange¬
hängt ist. Dem entspricht die Fassung der
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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scheinen muß. Wie vielseitig und eindringlich
so die kulturhistorische Bedeutung der zuge¬
hörigen Begriffe beleuchtet wird, geht be¬
sonders aus dem letzten Aufsatz: „Unser
ältestes Christentum" hervor. In Weiter¬
bildung der Rudolf von Rcmmerschen For¬
schungen weist Kluge hier eine ganze und
grundlegende Wortschicht christlichen Inhalts
nach, die vor der lateinischen Missionierung
über die Goten vom Griechischen her auf uns
gekommen ist. Wenn er aber an die Zeitfrage
ihres Eindringens anschließend eine Chrono¬
logie der zweiten Lautverschiebung versucht,
und zwar abweichend von der herrschenden
Auffassung, so verliert sich hier seine Darstel¬
lung für ein Laienpublikum in allzu subtile
und in ihrer gedrängten Form nicht immer
klare Beweisführungen.

Daß die Sprachwissenschaft allmählich auch
ihre gebührende Stellung in der Schule er¬
hält, dafür haben wir einen erfreulichen Be¬
weis in Prof K. Bergmanns Buch: „Der
deutsche Wortschatz" (Alfred Töpelmann
Gießen 1912, brosch. 2,76 M., geb. 3,20 M>.
Hier liegt in der Idee des Buches sein Haupt¬
wert. Die große Darwinsche Zauberformel:
Entwicklung hält endlich ihren Einzug auch
in unsere Sprachstunde», und erfüllt die bisher
geübte unfruchtbare Analhse mit Sinn und
Leben.

Wie sich die organischen Beziehungen un¬
serer Sprache von Zeit zu Zeit und von Volk
zu Volk verwoben, das gibt unserer Jugend
ein Pädagogisch unschätzbares Bild ihres
Wesens. Dagegen tritt die eigene Arbeit des
Verfassers zurück. Sie ist und will nicht
mehr sein als ein systematischer Auszug aus
dem rühmlich bekannten „Deutschen Wörter¬
buch" von Weigand. Um seine Schätze für
die Schule zu heben, legt Bergmann in den
Stoff, der dort äußerlich in alphabetische
Längsschnitte gespalten ist, Querschnitte nach
inneren sachlichen Gründen. Diese sichere
Grundlage verbürgt uns einen gewissenhaft
überarbeiteten Stoff, der nach drei Haupt¬
abschnitten gesichtet wird: die'Bedeutung der
einzelnen Wörter und Wendungen, die Zu¬
sammensetzung des gesamten Wortschatzes und
dann seine Verwandtschaften. Mit Recht
sieht dabei der Verfasser keine Bedenken, auch
vorläufige Hypothesen dieser jungen und

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schwierigen Wissenschaft zu verwenden, die zur
Ordnung unentbehrlich sind, ebenso wie er
auch im einzelnen anfechtbare Daten vor¬
bringen muß, um durch möglichst vielseitige
Anknüpfung seinen Gegenstand voll und rund
zu machen. Darauf kommt es an. Das
Problem in seiner ganzen Schärfe und Aus¬
dehnung überschauen, ist wichtiger, als einige
„gesicherte Resultate" nach Hause zu tragen.

Je bereitwilliger wir anerkennen, daß
auch der Verfasser dieses Hauptziel verfolgt,
um so mehr bedauern wir, daß er seine tüch¬
tige Idee mit schulinännischer Gründlichkeit zu
Tode hetzt. Wenn er in die Einleitung die
Darlegung seiner systematischen Einteilung in
aller Kürze bereits hineinpfropft, um im
Text nur noch „Verzeichnisse" der Beispiele
zu geben, so macht das schon ein beständiges
Hin- und Herblättern nötig. Noch mehr
leidet die Übersichtlichkeit, wenn er in seine
umsichtig gegliederten, sprachtheoretischen Ab¬
teilungen wieder nach Bedarf ein System von
Praktischen Gruppen der behandelten Worte
einschachtelt, um dieses teilweise noch einmal
und noch einmal zu spalten. "So steht S. 111
eine Abteilung, die folgende Nummer hat:
^, II, 24, ^V, I, 7. Bergmann hat schon
einen viel einfacheren Weg gefunden, den er
nur überall hätte einzuschlagen brauchen.
Unter ^, I, 1 bis 8 (S. 25 bis 64) bringt
er das Wortmaterial jeweils alphabetisch in
acht Klassen nach dem theoretischen Gesichts¬
punkt, welche Hilfsmittel zur Erschließung der
Bedeutung vorhanden sind, und läßt dem
eine Ordnung desselben Materials nach prak¬
tischen Gruppen vorausgehen, wo bei jedem
einzelnen, hier leicht auffindbaren Wort auf
den späteren Gesichtspunkt seiner etymolo¬
gischen Erklärung verwiesen wird. Innerhalb
dieser vorausgehenden Inhaltsangaben konnte
da zur besseren Orientierung nach Herzens¬
lust spezialisiert werden, ohne den einheitlichen
Charakter der sprachtheoretischen Klassen aus-
einanderzureißen. Diese verschiedenen Prak¬
tischen Stoffgruppierungen brauchte dann nur
ein Wortregister am Ende des Buches, die
sprachtheoretischen Abschnitte (die Hauptsache),
eine klare Disposition zu Anfang zusammen¬
zufassen statt des heillosen Wirrwarrs von
einem „Sachverzeichnis", wie es jetzt ange¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/207>, abgerufen am 27.07.2024.