Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz]

Überschriften: statt ^ die Lehre von der Be¬
deutung

I. Etymologische Hilfsmittel
1. Die Wortfamilie

lesen wir: ^ Die Bedeutung unserer Wörter
und Wendungen

I. Die Lehre von der Grundbedeutung
1. Verzeichnis von Wörtern, deren Grund¬
bedeutung (bzw. ältere Bedeutung)
mit Hilfe der zur gleichen Wort¬
familie gehörigen Wörter erkannt
werden kann.

Alles das berührt aber nur Fvrmwünsche
für eine spätere Auflage, die wir dem Buche
nach seinen inhaltlichen Vorzügen aufrichtig
wünschen.

Ebenfalls der Schulpraxis will Dr. Otto
Srtels: "Deutscher Stil" (B. G. Teuvner,
Leipzig-Berlin, tard. 1,80 M.) dienen. Wenn
er dem reichbestellten Felde der Aussatzreform
noch ein neues Hälmchen abgewinnt, so ver¬
dankt er dies seiner entschiedenen Hinwendung
zum konkreten Vorschlag. Mehr als die
Hälfte des Buches nehmen fertig ausgeführte
Aufsätze ein, in denen er auf seine Stilforde¬
rungen die praktische Probe macht. Besonders
lehrreich ist die Abwandlung eines Stoffes
nach sechs verschiedenen Gesichtspunkten der
Themenstellung. Etwas Preziös gibt darum
Orte! seiner Arbeit den Untertitel: "eine
Handreichung". Es spricht für sein Pädago¬
gisches Empfinden, daß er von dieser Neigung
seines eigenen Stils zum Bewuszt-Literarischen
die Aufsatzproben fast durchgängig freigehalten
hat. (Zur Ausnahme rechne ich: "Mittags¬
zauber" S. 46 bis 48.) Oft ist das Kinder-
tümliche mit glücklichen Humor gepaart.
Freilich entspringt auch er zuweilen einer
reiferen Lebenserfahrung, als das Niveau der
Aufsätze voraussetzt ("Ein Picknick" S. 42 bis
46). Auch der Wert seiner einleitenden Ab¬
handlung liegt mehr darin, daß er immer
aus dem Programm in die Anwendung strebt.
Denn wenn er die Arbeit eines Aufsatzes in
zehn verschiedene Tätigkeiten zergliedert, so
scheint uns daS ebenso ein übertriebener
Schematismus wie die Regelmäßigkeit, mit
der er am Ende eines jeden einzelnen einen
pädagogischen Mehrgewinn herausschlägt. Es
ist aber erfrischend, wie er überall die "Jagd
nach Tatsachen" betont und vor den: un¬

[Spaltenumbruch]

fruchtbaren Zerpflücken klassischer Schriftsteller
warnt. In der Hand eines verständnisvollen
Lehrers wird dus anspruchslose Buch manches
Gute stiften.

Sprache ist Form des Denkens, Form der
Sprache wieder ist d!e Schrift. Kein Wunder,
daß der neue Wille zur Form sich auch dieses
Feldes bemächtigt hat, das nur allzulange
einer gedankenlosen Wirtschaft überlassen war.
Hoffnungsvoll durchwühlt den trägen Acker
eine tiefspältige Kontroverse, die auch die Auf¬
merksamkeit des Fernstehenden herausgefordert
hat. Bis in den Reichstag hallte unlängst
das Kriegsgeschrei: "Antiqua oder Fraktur?"
Unter diesem Titel veröffentlicht nun Prof.
A. Kirschimmn (als 1. Band der "Mono¬
graphien des Buchgewerbes", Verlag des Deut¬
schen Buchgewerbevereins, Leipzig, broschiert
1,S0 Mark) eine kleine, aber gewichtige Schrift,
an der keiner in Zukunft wird vorübergehen
dürfen, der zu der strittigen Frage Stellung
nehmen will. Die besonnene Distanz des
Philosophen gibt dem Verfasser einen Stand-
Punkt, der sich über das Tagesgeschrei kurz¬
beiniger Phrasenbeweise erhebt. Wer Mer¬
zeugen kann, braucht nicht zu überreden. In
konsequenter Anwendung einer kritisch-optischen
Methode untersucht Kirschmann experimentell
die Lesbarkeit der beiden gebräuchlichen Druck¬
schriften. Bemerkenswert ist die schärfere Ein¬
stellung der Experimente auf den sachlichen
Hergang. Einmal wird im Gegensatz zum
Buchstabieren für das Lesen die Bedeutung
des indirekten Sehens hervorgehoben. Indem
nun durch eine Komplizicrung des Schrift¬
bildes die Vorauserkennung der dem Fixier¬
punkt stetig genäherten Buchstaben erleichtert
erscheint, ist die Überlegenheit der Fraktur
im Prinzip gefunden. Zweitens dehnt Kirsch¬
mann seine Untersuchungen auf ganze Wörter
aus. Wenn einzelne Frakturmajuskeln, die
einander zu ähnlich sind, isoliert im Nachteil
waren, so werden hier diese Ausnahmen be¬
richtigt. Zudem macht Kirschmann auf die
Verbesserungen der neuen Typen (Schwabacher,
Koch usw.) aufmerksam. Die Nachweisung
größerer Flüchtigkeit der spitzwinkligen deutschen
Schreibschrift bildet zum Schluß noch eine
wertvolle Ergänzung. Ebenso wie Kirschmann
in der Methode rein sachlichen Gesetzen folgt,
verschmäht er es, seine guten Ergebnisse agi-

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]

Überschriften: statt ^ die Lehre von der Be¬
deutung

I. Etymologische Hilfsmittel
1. Die Wortfamilie

lesen wir: ^ Die Bedeutung unserer Wörter
und Wendungen

I. Die Lehre von der Grundbedeutung
1. Verzeichnis von Wörtern, deren Grund¬
bedeutung (bzw. ältere Bedeutung)
mit Hilfe der zur gleichen Wort¬
familie gehörigen Wörter erkannt
werden kann.

Alles das berührt aber nur Fvrmwünsche
für eine spätere Auflage, die wir dem Buche
nach seinen inhaltlichen Vorzügen aufrichtig
wünschen.

Ebenfalls der Schulpraxis will Dr. Otto
Srtels: „Deutscher Stil" (B. G. Teuvner,
Leipzig-Berlin, tard. 1,80 M.) dienen. Wenn
er dem reichbestellten Felde der Aussatzreform
noch ein neues Hälmchen abgewinnt, so ver¬
dankt er dies seiner entschiedenen Hinwendung
zum konkreten Vorschlag. Mehr als die
Hälfte des Buches nehmen fertig ausgeführte
Aufsätze ein, in denen er auf seine Stilforde¬
rungen die praktische Probe macht. Besonders
lehrreich ist die Abwandlung eines Stoffes
nach sechs verschiedenen Gesichtspunkten der
Themenstellung. Etwas Preziös gibt darum
Orte! seiner Arbeit den Untertitel: „eine
Handreichung". Es spricht für sein Pädago¬
gisches Empfinden, daß er von dieser Neigung
seines eigenen Stils zum Bewuszt-Literarischen
die Aufsatzproben fast durchgängig freigehalten
hat. (Zur Ausnahme rechne ich: „Mittags¬
zauber" S. 46 bis 48.) Oft ist das Kinder-
tümliche mit glücklichen Humor gepaart.
Freilich entspringt auch er zuweilen einer
reiferen Lebenserfahrung, als das Niveau der
Aufsätze voraussetzt („Ein Picknick" S. 42 bis
46). Auch der Wert seiner einleitenden Ab¬
handlung liegt mehr darin, daß er immer
aus dem Programm in die Anwendung strebt.
Denn wenn er die Arbeit eines Aufsatzes in
zehn verschiedene Tätigkeiten zergliedert, so
scheint uns daS ebenso ein übertriebener
Schematismus wie die Regelmäßigkeit, mit
der er am Ende eines jeden einzelnen einen
pädagogischen Mehrgewinn herausschlägt. Es
ist aber erfrischend, wie er überall die „Jagd
nach Tatsachen" betont und vor den: un¬

[Spaltenumbruch]

fruchtbaren Zerpflücken klassischer Schriftsteller
warnt. In der Hand eines verständnisvollen
Lehrers wird dus anspruchslose Buch manches
Gute stiften.

Sprache ist Form des Denkens, Form der
Sprache wieder ist d!e Schrift. Kein Wunder,
daß der neue Wille zur Form sich auch dieses
Feldes bemächtigt hat, das nur allzulange
einer gedankenlosen Wirtschaft überlassen war.
Hoffnungsvoll durchwühlt den trägen Acker
eine tiefspältige Kontroverse, die auch die Auf¬
merksamkeit des Fernstehenden herausgefordert
hat. Bis in den Reichstag hallte unlängst
das Kriegsgeschrei: „Antiqua oder Fraktur?"
Unter diesem Titel veröffentlicht nun Prof.
A. Kirschimmn (als 1. Band der „Mono¬
graphien des Buchgewerbes", Verlag des Deut¬
schen Buchgewerbevereins, Leipzig, broschiert
1,S0 Mark) eine kleine, aber gewichtige Schrift,
an der keiner in Zukunft wird vorübergehen
dürfen, der zu der strittigen Frage Stellung
nehmen will. Die besonnene Distanz des
Philosophen gibt dem Verfasser einen Stand-
Punkt, der sich über das Tagesgeschrei kurz¬
beiniger Phrasenbeweise erhebt. Wer Mer¬
zeugen kann, braucht nicht zu überreden. In
konsequenter Anwendung einer kritisch-optischen
Methode untersucht Kirschmann experimentell
die Lesbarkeit der beiden gebräuchlichen Druck¬
schriften. Bemerkenswert ist die schärfere Ein¬
stellung der Experimente auf den sachlichen
Hergang. Einmal wird im Gegensatz zum
Buchstabieren für das Lesen die Bedeutung
des indirekten Sehens hervorgehoben. Indem
nun durch eine Komplizicrung des Schrift¬
bildes die Vorauserkennung der dem Fixier¬
punkt stetig genäherten Buchstaben erleichtert
erscheint, ist die Überlegenheit der Fraktur
im Prinzip gefunden. Zweitens dehnt Kirsch¬
mann seine Untersuchungen auf ganze Wörter
aus. Wenn einzelne Frakturmajuskeln, die
einander zu ähnlich sind, isoliert im Nachteil
waren, so werden hier diese Ausnahmen be¬
richtigt. Zudem macht Kirschmann auf die
Verbesserungen der neuen Typen (Schwabacher,
Koch usw.) aufmerksam. Die Nachweisung
größerer Flüchtigkeit der spitzwinkligen deutschen
Schreibschrift bildet zum Schluß noch eine
wertvolle Ergänzung. Ebenso wie Kirschmann
in der Methode rein sachlichen Gesetzen folgt,
verschmäht er es, seine guten Ergebnisse agi-

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0208" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325728"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_836" prev="#ID_835"> Überschriften: statt ^ die Lehre von der Be¬<lb/>
deutung</p>
            <list>
              <item> I. Etymologische Hilfsmittel</item>
              <item> 1. Die Wortfamilie</item>
            </list>
            <p xml:id="ID_837"> lesen wir: ^ Die Bedeutung unserer Wörter<lb/>
und Wendungen</p>
            <list>
              <item> I. Die Lehre von der Grundbedeutung</item>
              <item> 1. Verzeichnis von Wörtern, deren Grund¬<lb/>
bedeutung (bzw. ältere Bedeutung)<lb/>
mit Hilfe der zur gleichen Wort¬<lb/>
familie  gehörigen Wörter erkannt<lb/>
werden kann.</item>
            </list>
            <p xml:id="ID_838"> Alles das berührt aber nur Fvrmwünsche<lb/>
für eine spätere Auflage, die wir dem Buche<lb/>
nach seinen inhaltlichen Vorzügen aufrichtig<lb/>
wünschen.</p>
            <p xml:id="ID_839" next="#ID_840"> Ebenfalls der Schulpraxis will Dr. Otto<lb/>
Srtels: &#x201E;Deutscher Stil" (B. G. Teuvner,<lb/>
Leipzig-Berlin, tard. 1,80 M.) dienen. Wenn<lb/>
er dem reichbestellten Felde der Aussatzreform<lb/>
noch ein neues Hälmchen abgewinnt, so ver¬<lb/>
dankt er dies seiner entschiedenen Hinwendung<lb/>
zum konkreten Vorschlag. Mehr als die<lb/>
Hälfte des Buches nehmen fertig ausgeführte<lb/>
Aufsätze ein, in denen er auf seine Stilforde¬<lb/>
rungen die praktische Probe macht. Besonders<lb/>
lehrreich ist die Abwandlung eines Stoffes<lb/>
nach sechs verschiedenen Gesichtspunkten der<lb/>
Themenstellung. Etwas Preziös gibt darum<lb/>
Orte! seiner Arbeit den Untertitel: &#x201E;eine<lb/>
Handreichung". Es spricht für sein Pädago¬<lb/>
gisches Empfinden, daß er von dieser Neigung<lb/>
seines eigenen Stils zum Bewuszt-Literarischen<lb/>
die Aufsatzproben fast durchgängig freigehalten<lb/>
hat. (Zur Ausnahme rechne ich: &#x201E;Mittags¬<lb/>
zauber" S. 46 bis 48.) Oft ist das Kinder-<lb/>
tümliche mit glücklichen Humor gepaart.<lb/>
Freilich entspringt auch er zuweilen einer<lb/>
reiferen Lebenserfahrung, als das Niveau der<lb/>
Aufsätze voraussetzt (&#x201E;Ein Picknick" S. 42 bis<lb/>
46). Auch der Wert seiner einleitenden Ab¬<lb/>
handlung liegt mehr darin, daß er immer<lb/>
aus dem Programm in die Anwendung strebt.<lb/>
Denn wenn er die Arbeit eines Aufsatzes in<lb/>
zehn verschiedene Tätigkeiten zergliedert, so<lb/>
scheint uns daS ebenso ein übertriebener<lb/>
Schematismus wie die Regelmäßigkeit, mit<lb/>
der er am Ende eines jeden einzelnen einen<lb/>
pädagogischen Mehrgewinn herausschlägt. Es<lb/>
ist aber erfrischend, wie er überall die &#x201E;Jagd<lb/>
nach Tatsachen" betont und vor den: un¬</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_840" prev="#ID_839"> fruchtbaren Zerpflücken klassischer Schriftsteller<lb/>
warnt. In der Hand eines verständnisvollen<lb/>
Lehrers wird dus anspruchslose Buch manches<lb/>
Gute stiften.</p>
            <p xml:id="ID_841" next="#ID_842"> Sprache ist Form des Denkens, Form der<lb/>
Sprache wieder ist d!e Schrift. Kein Wunder,<lb/>
daß der neue Wille zur Form sich auch dieses<lb/>
Feldes bemächtigt hat, das nur allzulange<lb/>
einer gedankenlosen Wirtschaft überlassen war.<lb/>
Hoffnungsvoll durchwühlt den trägen Acker<lb/>
eine tiefspältige Kontroverse, die auch die Auf¬<lb/>
merksamkeit des Fernstehenden herausgefordert<lb/>
hat. Bis in den Reichstag hallte unlängst<lb/>
das Kriegsgeschrei: &#x201E;Antiqua oder Fraktur?"<lb/>
Unter diesem Titel veröffentlicht nun Prof.<lb/>
A. Kirschimmn (als 1. Band der &#x201E;Mono¬<lb/>
graphien des Buchgewerbes", Verlag des Deut¬<lb/>
schen Buchgewerbevereins, Leipzig, broschiert<lb/>
1,S0 Mark) eine kleine, aber gewichtige Schrift,<lb/>
an der keiner in Zukunft wird vorübergehen<lb/>
dürfen, der zu der strittigen Frage Stellung<lb/>
nehmen will. Die besonnene Distanz des<lb/>
Philosophen gibt dem Verfasser einen Stand-<lb/>
Punkt, der sich über das Tagesgeschrei kurz¬<lb/>
beiniger Phrasenbeweise erhebt. Wer Mer¬<lb/>
zeugen kann, braucht nicht zu überreden. In<lb/>
konsequenter Anwendung einer kritisch-optischen<lb/>
Methode untersucht Kirschmann experimentell<lb/>
die Lesbarkeit der beiden gebräuchlichen Druck¬<lb/>
schriften. Bemerkenswert ist die schärfere Ein¬<lb/>
stellung der Experimente auf den sachlichen<lb/>
Hergang. Einmal wird im Gegensatz zum<lb/>
Buchstabieren für das Lesen die Bedeutung<lb/>
des indirekten Sehens hervorgehoben. Indem<lb/>
nun durch eine Komplizicrung des Schrift¬<lb/>
bildes die Vorauserkennung der dem Fixier¬<lb/>
punkt stetig genäherten Buchstaben erleichtert<lb/>
erscheint, ist die Überlegenheit der Fraktur<lb/>
im Prinzip gefunden. Zweitens dehnt Kirsch¬<lb/>
mann seine Untersuchungen auf ganze Wörter<lb/>
aus. Wenn einzelne Frakturmajuskeln, die<lb/>
einander zu ähnlich sind, isoliert im Nachteil<lb/>
waren, so werden hier diese Ausnahmen be¬<lb/>
richtigt. Zudem macht Kirschmann auf die<lb/>
Verbesserungen der neuen Typen (Schwabacher,<lb/>
Koch usw.) aufmerksam. Die Nachweisung<lb/>
größerer Flüchtigkeit der spitzwinkligen deutschen<lb/>
Schreibschrift bildet zum Schluß noch eine<lb/>
wertvolle Ergänzung. Ebenso wie Kirschmann<lb/>
in der Methode rein sachlichen Gesetzen folgt,<lb/>
verschmäht er es, seine guten Ergebnisse agi-</p>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0208] Überschriften: statt ^ die Lehre von der Be¬ deutung I. Etymologische Hilfsmittel 1. Die Wortfamilie lesen wir: ^ Die Bedeutung unserer Wörter und Wendungen I. Die Lehre von der Grundbedeutung 1. Verzeichnis von Wörtern, deren Grund¬ bedeutung (bzw. ältere Bedeutung) mit Hilfe der zur gleichen Wort¬ familie gehörigen Wörter erkannt werden kann. Alles das berührt aber nur Fvrmwünsche für eine spätere Auflage, die wir dem Buche nach seinen inhaltlichen Vorzügen aufrichtig wünschen. Ebenfalls der Schulpraxis will Dr. Otto Srtels: „Deutscher Stil" (B. G. Teuvner, Leipzig-Berlin, tard. 1,80 M.) dienen. Wenn er dem reichbestellten Felde der Aussatzreform noch ein neues Hälmchen abgewinnt, so ver¬ dankt er dies seiner entschiedenen Hinwendung zum konkreten Vorschlag. Mehr als die Hälfte des Buches nehmen fertig ausgeführte Aufsätze ein, in denen er auf seine Stilforde¬ rungen die praktische Probe macht. Besonders lehrreich ist die Abwandlung eines Stoffes nach sechs verschiedenen Gesichtspunkten der Themenstellung. Etwas Preziös gibt darum Orte! seiner Arbeit den Untertitel: „eine Handreichung". Es spricht für sein Pädago¬ gisches Empfinden, daß er von dieser Neigung seines eigenen Stils zum Bewuszt-Literarischen die Aufsatzproben fast durchgängig freigehalten hat. (Zur Ausnahme rechne ich: „Mittags¬ zauber" S. 46 bis 48.) Oft ist das Kinder- tümliche mit glücklichen Humor gepaart. Freilich entspringt auch er zuweilen einer reiferen Lebenserfahrung, als das Niveau der Aufsätze voraussetzt („Ein Picknick" S. 42 bis 46). Auch der Wert seiner einleitenden Ab¬ handlung liegt mehr darin, daß er immer aus dem Programm in die Anwendung strebt. Denn wenn er die Arbeit eines Aufsatzes in zehn verschiedene Tätigkeiten zergliedert, so scheint uns daS ebenso ein übertriebener Schematismus wie die Regelmäßigkeit, mit der er am Ende eines jeden einzelnen einen pädagogischen Mehrgewinn herausschlägt. Es ist aber erfrischend, wie er überall die „Jagd nach Tatsachen" betont und vor den: un¬ fruchtbaren Zerpflücken klassischer Schriftsteller warnt. In der Hand eines verständnisvollen Lehrers wird dus anspruchslose Buch manches Gute stiften. Sprache ist Form des Denkens, Form der Sprache wieder ist d!e Schrift. Kein Wunder, daß der neue Wille zur Form sich auch dieses Feldes bemächtigt hat, das nur allzulange einer gedankenlosen Wirtschaft überlassen war. Hoffnungsvoll durchwühlt den trägen Acker eine tiefspältige Kontroverse, die auch die Auf¬ merksamkeit des Fernstehenden herausgefordert hat. Bis in den Reichstag hallte unlängst das Kriegsgeschrei: „Antiqua oder Fraktur?" Unter diesem Titel veröffentlicht nun Prof. A. Kirschimmn (als 1. Band der „Mono¬ graphien des Buchgewerbes", Verlag des Deut¬ schen Buchgewerbevereins, Leipzig, broschiert 1,S0 Mark) eine kleine, aber gewichtige Schrift, an der keiner in Zukunft wird vorübergehen dürfen, der zu der strittigen Frage Stellung nehmen will. Die besonnene Distanz des Philosophen gibt dem Verfasser einen Stand- Punkt, der sich über das Tagesgeschrei kurz¬ beiniger Phrasenbeweise erhebt. Wer Mer¬ zeugen kann, braucht nicht zu überreden. In konsequenter Anwendung einer kritisch-optischen Methode untersucht Kirschmann experimentell die Lesbarkeit der beiden gebräuchlichen Druck¬ schriften. Bemerkenswert ist die schärfere Ein¬ stellung der Experimente auf den sachlichen Hergang. Einmal wird im Gegensatz zum Buchstabieren für das Lesen die Bedeutung des indirekten Sehens hervorgehoben. Indem nun durch eine Komplizicrung des Schrift¬ bildes die Vorauserkennung der dem Fixier¬ punkt stetig genäherten Buchstaben erleichtert erscheint, ist die Überlegenheit der Fraktur im Prinzip gefunden. Zweitens dehnt Kirsch¬ mann seine Untersuchungen auf ganze Wörter aus. Wenn einzelne Frakturmajuskeln, die einander zu ähnlich sind, isoliert im Nachteil waren, so werden hier diese Ausnahmen be¬ richtigt. Zudem macht Kirschmann auf die Verbesserungen der neuen Typen (Schwabacher, Koch usw.) aufmerksam. Die Nachweisung größerer Flüchtigkeit der spitzwinkligen deutschen Schreibschrift bildet zum Schluß noch eine wertvolle Ergänzung. Ebenso wie Kirschmann in der Methode rein sachlichen Gesetzen folgt, verschmäht er es, seine guten Ergebnisse agi-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/208
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/208>, abgerufen am 21.12.2024.